Wie kommt man hin?
Inmitten des gewundenen Landpfades, zwischen dem Anlegesteg des kleinen Brazachs und der Ardeluner Hauptstadt Solodgia-zwischen-Baum-und-Feld, biegt, kurz nach der alten Mostmühle, ein von Obstbäumen gesäumter Hohlweg ab, der sich zwischen Heckenrosen und Haseln hinab in ein sanftes Tal von Streuobstwiesen schmiegt. Für große Fuhrwagen weist die Straße nur unzureichende Breite auf – wohin sollten etwaige Ochsengespanne auch fahren? Im Frühling ist die Luft hier schwer von Apfelblüten, im Spätsommer hängt sie süß vom gärenden Fallobst. Am Ende des Weges, wo sich ein kleiner, klarer Bach schlängelt und über eine robust gebaute Steinbrücke führt, lockt endlich das Tavernengehöft „Zum Pfauengarten“ – halb Fachwerk, halb Efeu – ganz verwunschen.
Wer ist Wirt?
Elluard vom Knauf, einst getreuer Recke am tlamanischen Hof, ist heute ein grauhaariger, hagerer Mann mit wettergegerbter Haut und schmalem Gesicht. Trotz seines Alters bewegt er sich mit erhabener Eleganz – als ob jede Geste noch den Geboten von Fechtsaal und Exerzierplatz alter Tage gehorche. Seine Stimme ist leise, aber fest. Die rundklobige Imkerpfeife scheint mit seinem Mundwinkel verwachsen, ihre Schwaden gemahnen an das süß-balsamische Rauchwerk des Südens. Seit dem Austritt bei Hofe vor sechs Jahren und der Rückkehr in seine Heimat pflegt er die Anlage samt umgebender Wiesen, getrieben von stiller, tiefer Achtung vor allem, was wächst und lebt. Was wenige wissen: Der Pfauengarten wurde ihm von seinem letzten liebwerten Schützling, Prinzessin Lenia von Drachenhain-Tlamana, Freifrau von Ardelun, für seine übertreuen Dienste zum Geschenk gemacht.
Wen trifft man hier und aus welchem Grunde?
Reisende Kaufleute, wandernde Spielleute, eifrige Gelehrte mit Zeichenbrettern und nicht zuletzt saumselige Müßiggänger – sie alle suchen den sanften Schatten der Streuobstwiese, den murmelnd erfrischenden Bachlauf, das wirklich exquisite Angebot an Speis’ und Trank und auch das besänftigende Rufen des edlen Federgetiers wie Pfau, Fasan und Rebhuhn, das sich hier frei und ungerührt zwischen Baum und Strauch, Tisch und Stuhl bewegen darf. Vor allem aber kehren hier Barden, Harfner und Lautenspieler ein, die dem Ruf der nahen Werkstätten von Solodgia-zwischen-Baum-und-Feld gefolgt sind, die gerne Besitzer eines solch edlen Instruments werden wollen und hier aufgeregt Zwischenhalt nehmen oder sich glückselig auf dem Heimweg befinden und ein solches Meisterwerk eng am Leibe halten. Denn in ihren namhaften Werkstätten fertigen die anstelligen Instrumentenbauer Solodgias edle Lauten, Zistern und Harfen – aus Birnbaumholz, Nussbaum und geschnitztem Apfelgehölz. Und so stellt sich unter den von kundiger Hand beschnittenen Zweigen wahrlich ein ganz besonderer Geist, eine besondere Haltung zur eitlen Kunst ein: Wer hier musiziert, tut es mit Händen, die achtvollen Respekt haben vor Holz, Klang und Ganzheit.
Was ist geboten? Warum sollte man hier einkehren?
Die Taverne liegt inmitten uralter Streuobstwiesen, die Elluard allezeit mit stillem Stolz hegt. Zur Hand gehen dem alten Ritter eine handverlesene Schar mit dem Ardeluner Land verwurzelter Mägde und Knechte, die fleißig summend, wie die hiesigen Bienenvölker, ihre Arbeit im Kreislauf der Jahreszeiten und nach Tradition und Kenntnis der Altvorderen tun – was hier wächst, wird nicht nur gepflückt und veredelt, es wird verwandelt. Und so werden auf blanken Birnholztafeln, mit saubergeschwungener Handschrift, unter anderem die folgenden Köstlichkeiten feilgeboten:
Himbeer-Lavendel-Trunk mit feiner Honignote Birnenmost mit kandierten Morellen in hohen Gläsern Frisches Quellwasser auf Blütenschaum Viererlei-Apfel-Auflauf mit Cidre-Mandelkruste Geröstetes Kernobstbrot mit Quittenschmalz Hirsekrapfen mit Apfelblütenhonig Zwetschgen-Kirsch-Eis auf Honigwabe
Und dazu: Obstbrände von seltener Reinheit, wie sie nur unter langsamem Feuer in kupfernen Brennblasen entstehen. Besonders geschätzt wird: Pflaumengeist „Zwischen-Baum-und-Feld“ – tief bernsteinfarben, mit Nachhall von Rauch und dunklem Holz, sowie „Elluards Kirschdampf“, süß und klar wie ein Gebirgsbach.
Landauf, landab bekannt ist der Pfauengarten aber insbesondere für seine ausgefallenen Cidre-Arten: „Morgentau“, ein heller Apfel-Birnen-Cidre, mit einem Hauch von Melisse und Blütenhonig. Mildblumig und sanft, wie der erste Tau auf den Wiesen. „Holznebel“, kräftig-herb mit rötlich-trübem Schleier, aus allerlei Holzapfelsorten und einem Quäntchen Anisgeist. Für alle, die das Bittere dem Süßen vorziehen. „Pfauenschrei bei Nacht“, durch zugefügten Brombeerenlikör dunkler, fast violetter, Cidre. Sacht beim ersten Schluck, voll und wild im Nachhall. Wird gern zum Absacker vor dem Zubettgehen bestellt. „Tamaras Träne“, feiner Rosé-Cidre aus Wildrosenblüten und Herbstbirnen, leicht gezuckert. Ehrbezeugung und Reminiszenz an die vormalige Baronin von Tlamana. „Wabenklang“, ein milder Sommer-Cidre, in dem Honigwaben mit vergoren werden. Goldgelb, sirupartig und duftend – ein kulinarisches Harfenstück. „Bergmannskuss“, ein schwerer, gewürzter Cidre, mit einem Schwung Zwetschgenbrand, Zimt und Apfelring. Wird direkt am Tisch auf kleinen Kohlebecken in Kupferkessel erhitzt und dampfend in Zinnbechern ausgeschenkt.
Sobald die Witterung es zulässt, werden die Tische mit weißem Leinen bespannt und unter freiem Himmel aufgestellt – direkt unter das ausladende Blätterdach, in welchem filigrane Windlichter auch in Dämmerung und Dunkelheit warmes Licht spenden. Hier, wo das Gras sanft wiegt und stets der Duft von süßem Obst in der Luft liegt, schreiten die Pfaue und Fasane zwischen den Gästen umher, stolz und gemessen. Niemand jagt sie fort. In feinen Schalen, verteilt unter den Tischen, wird ihnen beste Hirse gereicht, wie es in Ardelun nach alter Väter Sitte Brauch ist. Die Gäste wissen: Wer hier einkehrt, teilt seinen Raum mit edlem Federvieh. Wann immer ein Tier ein Prachtstück seines schmucken Federkleides vor den Füßen eines Gastes abwirft, wird dies als besonderer Glücksfall und hoher Gunstbeweis bewertet. Die bunt leuchtende Feder wird fortan mit großem Stolz am Kopfputz oder im Knopfloch getragen. Winters lockt das behaglich mit vier Eisenöfen beheizte Innere des Pfauengartens. Auf bequemen, filigran gedrechselten Stühlen, an runden, glanzpolierten Tischen lässt es sich, mit Blick auf die märchenhaft vereiste Frostwelt draußen, bei heißem Cidre oder Honig-Grog redlich wohlsein.
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