während der ersten beiden Poenamonde 30 n.A. III

Nach eingehenden Vorbereitungen in der Bibliothek brachen Magister Londae, Magister Arwed sowie dessen Lehrling Ealdor nach Betis auf, um sich dort mit Magistra Tiziana di Rosa und deren Begleiter Felice an der Academia der Schönen Künste zu treffen.
Im Zuge unserer Erkundigungen im Vorfeld hatten wir auch über Magistra Mira von den Schwestern des Saarkaschreins bei Burg Talwacht erfahren, daß es dort wohl vor rund 100 Jahren einen Zwischenfall mit einem ceridischen Missionar gegeben hatte. Für eine Unterredung mit den dort lebenden Schwestern gab uns Magistra Mira ein entsprechendes Schreiben mit.
Unser Weg zu unserem ersten Anhaltspunkt, führte uns am Bannkreuzlerkloster Murbach vorbei; Magistra Tiziana unterhielt sich mit den dortigen Ceriden, jedoch besaßen sie weder Informationen über einen frühen Ceriden noch frühceridische Gegenstände, die aus der Zeit von Hilarius stammen könnten.
Als wir schließlich den Saarkahain bei den Mauerresten von Burg Talwacht erreichten, wurden wir von einer der Saarkani begrüßt. Nachdem wir uns vorgestellt und das Schreiben von Magistra Mira ausgehändigt hatten, erhielten wir freundlich Auskunft. Die Geschichte des durchreisenden Ceriden war ihr entfernt bekannt; genaue Auskunft könnten wir aber von der ältesten der im Schrein ansässigen Saarkani erhalten. Diese würde sich aber im Moment in Seranhest bei den Festivitäten anläßlich der Minenöffnung aufhalten.
Also führte uns unsere Reise weiter nach Seranhest. Unser Weg führteuns in die Nähe der Niemandsschlucht – die örtlichen Legenden besagen, daß sich am Grunde der Schlucht eine Geisterstadt, regiert von einem Geisterkönig befände; niemand, der die Schlucht hinuntergeklettert wäre, sei je zurückgekommen.
Nachdem wir in Seranhest ein Quartier bezogen hatten, inspizierte Tiziana die Stadt; wir fanden jedoch weder alte ceridische Artefakte noch sonstige Spuren von Aspitanius. Am nächsten Morgen sollte ein großes Saarka-Ritual stattfinden, wo wir hofften, die Tochter der Saarka aus Talwacht anzutreffen. Das Ritual sollte mit einem Gottesdienst beginnen, gefolgt von einem Mysterienspiel.
Eine große Menschenmenge hatte sich zu dem Spektakel eingefunden. Umso größer war die Unruhe, als das Ritual auch eine halbe Stunde nach der angekündigten Zeit noch immer nicht begonnen hatte. Mit knapp einer Stunde Verspätung begann das Ritual, gefolgt von dem Schauspiel.
Nun trafen wir auch endlich die von uns gesuchte Saarkani an. Sie erzählte uns, daß sie selbst die Geschichte von ihrer Vorgängerin erfahren hatte – diese mußte sie wohl selbst erlebt haben. Aspitanius sei eines Tages an ihrem Schrein
aufgetaucht. Dabei hatte er eine große Steinplatte auf einem Esel. Außerdem trug er ein Kreuz um den Hals, und mehrere Bücher, die er mit sich führte, waren ebenfalls mit dem Ceridenkreuz verziert. Aspitanius versuchte, die Saarkani zu bekehren.
Schließlich zog er vier Steinplatten, die die ogedischen Göttersymbole trugen, hervor – er bezeichnete sie als sein privates Eigentum. Letztlich wurde es den Schwestern zuviel und sie verjagten ihn – die Steinplatten nahmen sie ihm ab und legten sie in ihren Schrein. Aspitanius zog nach Osten weiter. Die Platte, die Aspitanius auf seinem Esel trug, wurde wie folgt beschrieben: Sie war groß, aus dunklem Stein; auf ihr war das Ceridenkreuz aufgemalt, außerdem stand auf ihr ein Text geschrieben. Wir gingen bereits zu diesem Zeitpunkt davon aus, daß es sich hierbei um den jetzigen Grabstein von Aspitanius handeln mußte.
Wir beschlossen, den Versuch der Rekonstruktion von Aspitanius‘ Reiseweg zu unternehmen. Dazu reisten wir zurück nach Talwacht; in jedem Dorf unterwegs fragten wir die älteren Dorfbewohner, ob Geschichten über einen wundersamen Mann, der eine Steinplatte auf einem Esel transportierte, aus der entsprechenden Zeit bekannt sei. In mehreren Dörfern erinnerten sich Einwohner an eine solche Erzählung – der Wanderer wirkte verwirrt und nicht ganz bei sich. Die Erzählungen ließen sich alle auf eine Zeit datieren, kurz bevor Hilarius bekannt wurde. Eine weitere Geschichte berichtete davon, daß Aspitanius in einer Höhle im Schlangenkamm von einem Erdrutsch verschüttet wurde; in dieser aussichtslosen Situation hatte er ein helles Licht gesehen und die Stimme des Einen gehört, der ihn errettete.
Am Saarkaschrein angekommen, versuchten wir die Spur zu verfolgen. In vielen Dörfern fanden wir nichts, so daß wir davon ausgingen, daß Aspitanius das Land nicht systematisch bereist hatte, sondern nur eine Strecke entlanggezogen war. Der Weg führte vom Saarkahain parallel zum Parimawald bis zu dem Wald nördlich von Seranhest; dort bog die Spur in den Wald ein, führte durch Seranhest durch, um schließlich – parallel zur Grenze des Schlangenkamms – direkt nach Gregorsruh zu führen.
In Gregorsruh sahen wir uns schließlich das Grab aus der Nähe an. Nach der Art der Schrift vermuten Tiziana und Arwed, daß der Text vor etwas mehr als 100 Jahren verfaßt wurde – also zu Lebzeiten von Aspitanius.
In der Nähe des Grabes trafen wir Sabrizius, den Abt des dortigen Ceridenklosters an. Er berichtete uns von der Geschichte, wie Aspitanius hier beerdigt wurde: Ein Unbekannter, der bereits den Glauben an den Einen angenommen hatte, wurde auf seiner Reise an diesem Ort erschlagen aufgefunden. Das einzige, was er noch bei sich hatte, war die Steinplatte, die man dem Unbekannten kurzer-hand als Grabstein setzte.
Der Abt hatte diesen Ort schon immer gern gemocht und sich hierher zu Gebeten oder zum Nachdenken zurückgezogen. Als er vor dem großen Ceridenkonvent wieder einmal hier saß, sei er plötzlich von großem inneren Frieden erfüllt worden; eine Stimme sprach zu ihm: „Sei ohne Furcht, denn ich bin der Eine, dem Du Dein Leben geweiht hast. Gehe hin zur Stadt der Erleuchteten und trage Sorge, daß der Ort der Erkenntnis allen Erkenntnis bringe.“ Für ihn war damals klar gewesen, daß die „Stadt der Erleuchteten“ der Hauptsitz der ceridischen Kirche war; und da ihm der Platz beim Stein Erkenntnis gebracht hatte, mußte dies wohl ein Zeichen sein, den Ceridenconvent in Gregorsruh abzuhalten.
Nach den Untersuchungen in Gregorsruh reisten wir abermals zurück nach Talwacht, um die Spur Aspitanius‘ in die Gegenrichtung zu verfolgen. Dies war schwieriger als die andere Wegrichtung; die Berichte über den verwirrten Mann mit der Steinplatte ließen sich bis in die Provinz Escandra zu dem „Fingerfelsen“ zurückverfolgen, an dem auch Hilarius erleuchtet worden war. Der Fingerfelsen schien aus demselben Gestein zu bestehen wie die Grabplatte auf dem Grab von Aspitanius. Als sich hinter dem Fingerfelsen die Spur verlor, gaben wir unsere Suche auf und reisten zurück.

Niedergeschrieben von Arwed von Lauenburg
im 3. Poena 30 n.A.

Erschienen in Portal 17,