Wer hätte das gedacht – kaum ein Dutzend Wochen bin ich in den Diensten meines Herrn von Turlach, schon steht eine Expedition von hoher Bedeutung und großer Gefahr an. Nach Norden soll es gehen, ins Umland von Kratorpolis auf die Grenzburg Hadriansblick, die auf der anderen Seite des Flusses, also nicht mehr in Heligonia selbst, liegt! Bereits vor einiger Zeit wurde eine erste Truppe unter Ritter Hadrian von Sarras dorthin geschickt, der die bis dahin als Ruine dastehenden Gemäuer als Lager für Drachenhain aufzubauen begann. Der Fürst schickt nun diese Expedition aus, um die Grenzburg weiter aufzubauen, das Land zu sichern und schließlich mit den Bilchländern zu verhandeln. Diese Bilchländer, ich weiß nicht, was ich von ihnen halten soll: es sind Fremde und sie sollen in dieser Gegend leben – ich hoffe sie meinen es besser mit uns als die Stuerener, diese feigen Feinde des Fürstentums.
1. Tag des 2.Xurl im Jahre 36 n.A.III
Der Fürst persönlich hat uns, die Expedition „Bilchland“ auf der Drachentrutz verabschiedet. Nun geht es also los, es wird eine weite Reise sein.
13. Tag des 3.Xurl im Jahre 36 n.A.III
Von Störenweiler ging es tagelang auf einem Lastkahn flussaufwärts bis nach Kratorpolis. Von dort geht es nun weiter zu Fuß durch sumpfiges Gelände. Einen Tagesmarsch, so heißt es, haben wir noch vor uns. Die Stimmung ist gespannt, schließlich betreten wir fremde Gefilde, aber gut – endlich ist die Untätigkeit vorbei!
14. Tag des 3. Xurl im Jahre 36 n.A.III
Wir haben Hadriansblick erreicht! Doch nicht ohne Zwischenfall: In der Nacht waren wir unterwegs, hatten schon Lichter der Burg gesehen, da trafen wir auf dem Wege zwei bewaffnete Männer, in blauen Waffenröcken gekleidet und schwer gerüstet. Sie wollten uns die Passage verwehren, sagten, ihr Herr – der blaue Wächter – erlaube dies nicht. Es kam zu einer kurzen Diskussion und dann, ohne Vorwarnung, zum Kampf: ein Hinterhalt! Aus den Büschen kamen noch weitere von ihnen hervorgeprescht und griffen uns an. Doch der Trupp verteidigte sich tapfer und schlug den Feind in die Flucht. Sie schienen gewusst zu haben, wann wir kommen und wer wir sind, hörte ich doch den Ruf „Da sind sie, auf die Ritter zuerst!“. Ohne zu verweilen haben wir schnell die letzten Meter hinter uns gebracht und die schützende Burg erreicht. Doch es war nur ein kurzes Gefühl der Erleichterung – kaum trat ich durch das Tor lief mir ein kalter Schauer über den Rücken. Ich weiß nicht was es ist, aber irgendetwas stimmt hier nicht.
Die Besatzung der Burg sagt, die ganze Feste stünde unter dauernder Beobachtung der Bilchländer. Vielleicht ist es das, was mich so irritiert? Stuerener hat die Burgbesatzung aber noch keine gesehen, dass kann uns nur Recht sein. Doch wer waren dann die Männer, die uns angriffen?
Am Abend näherte sich ein primitives Weib – offenbar eine Bilchländerin – der Burg, mit Fellen bekleidet und mit Tierknochen geschmückt. Sie lud uns – in unserer Sprache, wenn auch gebrochen – zur Unterredung mit ihresgleichen in den Wald, den auf die Burg zu kommen lehnen die Bilchländer ab. Als sie anwesende Kinder der Handwerker sah sprach sie mit diesen und deren Mütter und gab ihnen einen Fruchtstein mit den Worten, dass dies ein Geschenk sei, welches über den Winter getrocknet und im Frühjahr ins Essen gerieben die Kinder zu starken Frauen und Männern machen werde. Ein gut gemeintes Geschenk, doch ob man diesem Weib vertrauen kann?
Wir machten uns, von der Frau geführt, nach kurzer Vorbereitung zum Treffen mit den Bilchländern auf, schließlich ist das der Zweck unserer Anwesenheit. Dabei kamen wir an einem schrecklichen Ort vorbei den sie einen „Warnplatz“ nennen: ein Platz, an dem sie die Überreste der von ihnen besiegten Feinde als Warnung belassen. Wir sollen also mit Menschen verhandeln, die Leichen zur Abschreckung auf Pfähle stecken? Ich will es nicht glauben …
Die Unterredung mit den Bilchländern war verwirrend. Sie sprechen unsere Sprache nur schlecht und verwenden Redewendungen, die wir nicht kennen. Sie zeigten sich nur bedingt interessiert an weiteren Verhandlungen, waren sehr zurückhaltend. Man werde einen Boten schicken, wenn man an weiteren Verhandlungen interessiert sei, so ihre lakonisches Versprechen. Ich weiß nicht, ob dies nun ein Erfolg war – immerhin haben wir sie getroffen. Aber wie es weitergehen soll bleibt unbestimmt.
Doch anderes berichteten sie uns, was mir im Moment mehr Sorge macht als die Verhandlungen. Dass die Burg ein verfluchter Ort sei, berichteten sie, und dass ein Reinigungsritual nach den Maßgaben ihrer Schamanin – das Weib das uns in der Burg kontaktierte – nötig sei um zu überleben, auch wenn dieses Ritual nur für kurze Zeit helfen würde. Und als wäre dies nicht genug: noch vor Mitternacht solle dieses Ritual vollbracht sein. Ich frage mich erneut: kann man diesen Bilchländern trauen? Oder wollen sie uns in eine blutige Fallen locken mit ihrer Zauberei?
Als wir gingen fiel mir auf, dass einzelne der Bilchländer immer wieder auf das Schwert meines Herren – das Drachenhainer Schwert, die Insignie des Schwertführers – deuteten und darüber tuschelten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihnen die Bedeutung der Insignie bekannt ist, doch scheinen auch sie die Erhabenheit Drachenhains zu spüren.
Zurück auf der Burg unterhielten sich die Herren, Ritter wie Gelehrte und Geweihte über die Angelegenheit des Fluches. Die Geweihten der Götter versicherten, dass dieser Fluch tatsächlich bestehe und kein Hirngespinst der Bilchländer sei. Aber ob das Reinigungsritual helfen würde oder die Sache noch schlimmer machen könnte? Es war keine einfache Entscheidung und schließlich blieb es jedem selbst überlassen, ob er das Ritual durchführen wollte oder nicht.
Mein Herr nahm an dem Ritual teil, und so taten es auch ich und viele andere. Zu einem fremden Gott – Andruch – sollten wir sprechen, uns reinigen und diesem Gott versichern, den Hass in uns zu besiegen und „dieser“ Schlacht fernzubleiben.
In den frühen Morgenstunde des 15. Tags des 3. Xurl im Jahre 36 n.A.III
Wir waren gerade in der Stube des Ritters Hadrian zusammengesessen als es geschah. Die Götter mögen uns gnädig sein!
Es muss zur Mitternachtsstunde gewesen sein, da machten sich die Bewohner der Burg, die schon vor uns da waren, und wie sich herausstellte all diejenigen, die sich nicht dem Ritual unterzogen hatten wie benebelt auf den Weg in den Hof. Sie unterbrachen plötzlich die Gespräche und Tätigkeiten, reagierten auf keine Ansprache. Auf dem Hof angelangt legten sie sich auf den Boden und waren da wie eingeschlafen. Doch dann bewegten sie sich wieder, vollführten Bewegungen, als ob sie etwas vom Boden aufschlürfen würden. Sie bewegten sich immer schneller und wilder und stießen dabei kehlige Rufe aus. Plötzlich hielten sie ein und erst dann schienen sie sich gegenseitig wahrzunehmen. Sie begrüßten sich, umarmten sich und versicherten sich immer wieder und immer lauter gegenseitig: „Ja, ich spüre es!“ Da rief einer von ihnen aus „Es sind neue Freunde eingetroffen!“ Sie stellten sich im Halbkreis auf und dann trat einer nach dem anderen von den unseren, die das Ritual nicht mitgemacht hatten vor, von zwei anderen festgehalten. Von einem dritten wurden sie gefragt: „Bruder, willst du mit uns sein?“ Und auf die erfolgende Bejahung sprach dieser erneut: „So nimm den Hass in dich auf!“, und schlug mit diesen Worten zu, so dass Blut spitze. Doch der Geschlagene wehrte sich nicht! Im Gegenteil: er reihte sich ein in Ansammlung der wie berauscht wirkenden Menschen. Dann erhob der Kerl, der die Frage stellte noch einmal das Wort: „Bald ist die Nacht gekommen, tut nun, was ihr tun müsst!“ Und dann ging ein jeder Handlungen nach, die für seinen Beruf typisch waren: Krieger übten, Schreiber schrieben, Schmiede schmiedeten … Doch alles mit hasserfüllter Wildheit, die sich mehr und mehr in rohe Ekstase wandelte. Schließlich trafen sich alle wieder im Hof im Halbkreis und der Sprecher sprach: „Geht nun schlafen meine Kinder, die Nacht in der die selben Sterne auf die Zinnen scheinen wird kommen.“ Da gingen die Verfluchten, denn das waren sie!, auseinander und erwachten erst dann langsam wieder aus dieser Benommenheit und schienen sich an nichts zu erinnern! Ich habe dies alles aus der Sicherheit des Haupthauses beobachtet, wo wir uns auf Geheiß der Herren in Sicherheit gebracht hatten. Ein grässlicher Vorfall und spätestens jetzt ist klar, dass wir in großer Gefahr sind! Doch: das uns gezeigte Ritual der Bilchländer war hilfreich und so können wir hoffen, dass sie uns wohl gesonnen sind. Ich trete nun meine Nachtwache an und dann, so die Götter wollen, werde ich noch ein wenig Ruhe finden in dieser Nacht.
15. Tag des 3. Xurl im Jahre 36 n.A.III
Die Herren haben beschlossen, zu verweilen und darauf zu warten, ob sich die Bilchländer wieder melden werden. Derweil soll der Fluch untersucht werden – schließlich sind unsere eigenen Männer davon befallen und das Reinigungsritual wird nur eine Weile vorhalten. Es gilt, diesen unheimlichen Fluch ein für alle mal zu brechen. Nur wie?
Am Vormittag trafen zwei recht abgehalftert aussehende Ritter in der Burg ein. Sie berichteten, sie seien aufgrund eines Vergehens von ihrem Lehnsherrn damit bestraft worden, sich über ein Jahr hinweg fern der Heimat je einmal in sieben Tagen in einem Zweikampf auf Gnade oder Ungnade mit fremden Rittern zu messen. Finden sie niemanden, der sie für ehrenhaft genug hält, so erzählten sie, so müssten sie gegeneinander zum Zweikampf auf Leben und Tod antreten. Dies wollten sie natürlich nicht, und nun befanden sie sich in der Notlage, dass sie bereits seit sechs Tagen keinen Gegner finden konnten, als sie nun diese Burg hier entdeckten. Deshalb baten sie die anwesenden Herren, sich in einem ehrenhaften Zweikampf mit ihnen zu messen. Die Herren diskutierten darüber – es kam ihnen natürlich seltsam vor, dass diese Ritter so mitten in der Einöde plötzlich auftauchen. Doch es wurde der Beschluss gefasst, diesen Ehrenmännern in ihrer Not zu helfen. So gab es zwei ehrenhafte Zweikämpfe und die Ritter konnten weiter ihres Weges ziehen. Ich bin froh, dass diesen Männern geholfen werden konnte.
Am Mittag tauchte ein weiterer seltsamer Kerl auf, ein zerlumpter Gesell, der sich neugierig umsehen wollte. Natürlich wurde er von den Wachen befragt, wer er sei und was sein Begehr wäre. Er stellt sich als „der Grenzgänger“ vor, was immer das bedeuten soll. Genauer äußerte er sich dazu nicht, und wenn, dann nur sehr geheimnisvoll. Aber er wusste von dem Fluch auf dieser Burg, schien sich aber nicht vor ihm zu fürchten. Und auch er wurde auf das Drachenhainer Schwert des Herrn von Turlach aufmerksam und fragte diesen in seiner seltsamen Art darüber aus – wie es hieße, woher es käme und was mein Herr damit zu tun gedenke. Ein seltsamer Kauz, doch da er keine Gefahr darstellt und mehr zu wissen scheint, haben die Herren beschlossen, ihn auf der Burg zu tolerieren.
Im Laufe des Tages wurden Hinweise gefunden, wie der Fluch zu brechen ist. Es gilt nun, dies vorzubereiten.
Ein Pfeil wurde über die Burgmauern hinweg in den Hof geschossen. An ihm war ein Zettel mit einer Botschaft befestigt. Doch es sind nur Bilder darauf zu sehen. Nachdem diese studiert wurden scheint es, als wolle irgendjemand uns mit dieser Nachricht vor einem Angriff warnen, der um die Mittagsstunde stattfinden soll. Wer warnt uns da? Und wer soll der Angreifer sein?
Der Angriff hat wie vorhergesagt um die Mittagsstunde stattgefunden! Ein Trupp von einem halben Dutzend, mit Bögen, Armbrüsten, Schild und Schwert bewaffnet. Sie waren weder wie die Männer in den blauen Waffenröcken noch wie die Bilchländer gekleidet. Doch ihr Angriff wurde schnell zurückgeschlagen, sie hatten zu keinem Zeitpunkt eine Chance, uns zu überwältigen. Schnell flohen sie in die umliegenden Wälder. Was soll ein solcher hoffnungsloser Angriff?
Nach dem Mittagsmahl ist erneut ein Pfeil mit einer Botschaft im Burghof gelandet. Der Schütze war nicht aufzufinden. Ein seltsames Bild, das eine Flussbiegung, ein Boot und einen Schatz zeigt. Wir sind uns nicht klar, was das bedeuten soll. Da es eine Flussbiegung am Fuße des Berges gibt, wird eine Gruppe ausgesandt, diese Sache zu untersuchen.
Mir ist schrecklich übel und die Feder zu führen fällt mir schwer. Ich bin von Bauchkrämpfen geplagt – so wie fast alle anderen Anwesenden! Jemand muss das Essen vergiftet haben, denn nur denen, die nichts zu Mittag aßen, geht es gut! Wir haben einen Feind in den eigenen Reihen!
Die ausgesandte Gruppe kommt von der Flussbiegung zurück. Es war dort nichts Außergewöhnliches zu finden, weshalb sie ihre Untersuchung beendeten.
Die Giftmischerin ist gefunden! Dank der Untersuchung anwesender Herren wurde sie geschnappt und verhört. Es war eine Frau, die die ganze Zeit Teil der Expedition war. Sie gab zu eine Stuerenerin zu sein, verriet aber sonst nichts über ihren Hintergrund. Es war kaum etwas aus ihr herauszubekommen – mit ihrer Enttarnung scheint sie nun keine Hoffnung zu besitzen, von ihrem Herrn verschont zu werden, so dass es nichts bringt ihr zu drohen. Wie mit ihr nun umzugehen ist wird beraten.
Am Nachmittag traf eine Gruppe Fremder auf der Burg ein. Mehrere waren verletzt. Sie erzählten, dass sie Flussschiffer seien, die von Flusspiraten angegriffen wurden und auf ihrer Flucht nun hier landeten. Doch schnell zeigte sich, dass diese Geschichte eine Lüge ist. Sie widersprachen sich und einige von ihnen wurden sogar dabei erwischt, wie sie versuchten, Eigentum des Burgvogtes zu stehlen. Daraufhin wurden die Fremden festgesetzt, ein paar von ihnen konnten leider entkommen. Seltsam, wie viele und welche Gestalten sich in dieser Gegend herumtreiben …
Um den Fluch zu brechen wird eine besondere Pflanze, ein Nachtlichtgewächs, benötigt. Es wird deshalb eine Truppe ausgesandt, diese zu finden.
Ein Händler tauchte am späten Nachmittag auf der Burg auf. Er sagte er handelt mit Kräutern und Pflanzen, die er in Betis an Alchimisten verkaufe. Zudem berichtete er, dass er eine Kundin habe, die dringend sogenannte „Kraftherznüsse“ benötigte, um ihre kränklichen Zwillinge zu stärken und dass diese oftmals im Besitz der Bilchländer seien, die sie ihm aber nicht verkaufen würden. Wie der Zufall will handelt es sich bei den Kraftherznüssen um eben jene Fruchtsteine, die die Schamanin bei unserer Ankunft den anwesenden Müttern für ihre Kinder als Geschenk gab. Als der Händler davon hörte wollte er diese sogleich erwerben und es entspann sich eine lebhafte Diskussion. Doch der Händler schien eher gierig zu sein, als dass er diesen angeblichen Zwillingen helfen wollte, und so entschloss man sich, ihm die Nüsse nicht zu verkaufen – schließlich handelt es sich ja auch um ein Geschenk der Schamanin. Daraufhin zog der Händler wieder von dannen.
Etwa zeitgleich mit dem Händler fand sich eine weitere Reisegruppe an den Burgtoren ein – und das war eine wahrlich seltsame Gesellschaft! Vier Bauern waren es, die sich in einem Streit um einen wirren Vorfall befanden, in dem des einen Hund bellte, der andere sich verletzte, weil sein Gaul durchging, der dritte unglücklich über den am Boden liegenden zweiten fiel und des vierten Kuh sich bei all dem Ungemach von der Weide machte. Nun erhofften sie sich von den anwesenden Gelehrten einen Schiedsspruch. Ich muss zugeben: zu sehr ermüdete mich diese Streiterei, so dass ich ihrem Ausgang nicht folgte. Doch sprachen die Gelehrten ein weises Urteil, in dem ein jeder seine Verantwortung tragen musste und sein Schaden aufgewogen wurde, so dass die Bauern guter Dinge wieder von dannen zogen. Zu betonen, dass dies eine wahrlich seltsame Begebenheit war erspare ich mir an dieser Stelle.
Die Truppe, die nach dem Nachtlichtgewächs ausgesandt wurde kehrte gerade zurück. Doch: angegriffen wurde sie bei ihrer Suche nach dem Gewächs! Es waren die blau berockten Männer, denen unsere Mannen entgegen standen. Sie konnten erneut geschlagen werden, doch knapp war es, so wird gesagt! Aber sie hatten Erfolg, die Pflanze ist gefunden! So kann man nun daran gehen, den Fluch zu brechen, denn in der Zwischenzeit haben die Gelehrten alles weitere vorbereitet. Ich fürchte es wird erneut ein seltsames Ritual werden und wieder wird zu fremden Gottheiten gesprochen werden.
Nachdem alle Vorbereitungen beendet waren ging es am Abend daran, den Fluch zu brechen. Seltsames, oh weh!, mussten wir tun, uns gegenseitig mit Schnüren aneinander halten, die Waffen niederlegen, Sprüche sprechen! Und dann, plötzlich, waren diese ganzen Geräusche zu hören, das war nicht von dieser Welt, das ist sicher! Mir wurde ganz schwindlig, alles verschwamm, der Boden unter meinen Füßen schien sich weggezogen zu werden. Und dann: Stille. Nur langsam rappelte ich mich hoch und dann begannen Diskussionen, Gespräche und Untersuchungen. Es scheint, als ob das Brechen des Fluches gelungen sei!
Man erzählte mir, vor vielen Jahrhunderten sei jener Fluch einmal in den Jahren des langen Krieges zwischen Stuerenern und Bilchländern unter der Selbstaufopferung zahlreicher ihrer Schamanen gewirkt worden, um diese Bastion des Feindes auf immer zu verderben, auf dass die Herrschaft des Umlandes wieder in ihre Hände falle.
Kaum war der Fluch gebrochen, da waren Hornsignale und laute Stimmen zu hören: ein Angriff! Das konnte kein Zufall sein! So schnell wir konnten nahmen wir die Waffen zur Hand und verteidigten das Burgtor gegen den Feind: die blau berockten! Es war eine große Truppe, die mit schwerem Gerät große Preschen in unsere Reihen schlug. Ein grässliches Gemetzel, und jeder wusste: diese machen keine Gefangenen! Alle standen wir zusammen, ob Kämpfer oder Gelehrter, und verteidigten gemeinsam unser Leben! Nicht viel hätte gefehlt, und ich hätte diese Zeilen nicht mehr schreiben können. Doch das Schlachtglück blieb uns hold, auch wenn wir schwere Verluste zu beklagen hatten. Lange wird dies so nicht weitergehen!
Gerade sind die schlimmsten Wunden versorgt, da taucht die Schamanin der Bilchländer wieder auf. Sie sagt, dass ein hoher Anführer der Bilchländer – „Paran“ nennt sie ihn – eingetroffen sei um mit uns zu sprechen. Wir sollen uns sofort zum Treffpunkt aufmachen. Drum heißt es nun, sich zu rüsten und diese Gelegenheit zu nutzen, auch wenn der Feind – Stueren! – überall auf uns lauern kann.
Den Göttern danke ich! Ich lebe noch! Ich spürte schon Gwons Schwingen, das kann ich wahrlich bezeugen, doch noch ist es nicht so weit … Aber eines nach dem Anderen.
An der Lichtung, an der uns die Bilchländer treffen wollten angekommen, sahen wir sogleich, dass diese mit einem Kreis aus Fackeln beleuchtet war. Einige Bilchländer – ich weiß nun, dass sie Borharcôner genannt werden wollen – waren anwesend, darunter auch der Paran der Maroncu, wie sie ihren Stamm nennen. Dieser erklärte uns, dass all die seltsamen Begegnungen im Laufe des Tages – die Ritter, der hoffnungslose Angriff, die Bauern, der Händler, und wer weiß was noch – kein Zufall gewesen waren, sondern von den Bilchländern selbst inszeniert worden seien, um uns auf Herz und Nieren zu prüfen: ob wir ehrenvoll seien, klug, aufmerksam, gerecht. Sie befanden uns für würdig und erläuterten sogleich, wozu.
Es gibt eine Weissagung der Bilchländer, dass der letzte Spross der Sorebramorer, welches untergegangene Kriegsfürsten der Bilchländer seien, die Bilchländer eines Tages doch noch zum Sieg über die Stuerener führen werde, sofern dieser „seinen siebzehnten Sommer sieht“. Dieser Junge, ein einjähriges Balg mit Namen Meorte, sei ihre letzte Hoffnung. Doch wüssten die Stuerener von der Weissagung und machten darum Jagd auf ihn. Deshalb suchten die Bilchländer nach Schutz und ihre Weissagung sah ihnen voraus, dass wir Drachenhainer auf der Burg, die wir Hadriansblick nennen, auftauchen werden und ihnen helfen können. Drum prüften sie uns, um sicherzustellen, dass wir die Richtigen seien. Bereits zuvor hatte der Paran dafür gesorgt, dass das Kind hierher gebracht würde, doch waren ihnen die Stuerener – aber nicht die blau gewandeten, gegen die wir uns bei unserer Anreise erwehren mussten, sondern der berüchtigte „Rote Jäger“, von dem die Bilchländer in großer Furcht sprachen – bereits auf der Spur.
Da sie uns für würdig erachteten war es also nun so weit, die neue Freundschaft zwischen Bilchländern – Borharcôner heißt es! Werde ich mich je daran gewöhnen? – und Drachenhainern zu besiegeln: Die Borharcôner vertrauten uns das Wichtigste an, das sie haben: das Kind Meorte, ihre einzige Hoffnung! Wir sollen ihn schützen bis zu dem Tag, da er seinen siebzehnten Sommer sieht und die Weissagung erfüllen kann. Eine schwere Bürde, doch ehrenvoll und unumgänglich! Eine Amme und eine Leibwächterin wird das Kind begleiten. Wo es untergebracht werden soll, das wird wohl nur der Fürst selbst entscheiden können.
Gerade wurde diese neue Freundschaft besiegelt und man machte sich daran, alles Weitere zu besprechen, da stürmte aus den Wäldern erneut der Feind – der „Rote Jäger“! Mit Gebrüll und dem Ruf „Gebt uns die Prophezeiung!“ preschten sie heran. Doch warteten sie auf keine Antwort, sondern ließen ihre Klingen die Verhandlung führen. Es war ein harter Kampf, der gerade so gewonnen wurde, doch das Schlimmste war ein anders: einen weiteren Verräter hatten wir in unseren Reihen, der die Gunst des Moments nutze, sich an die Bilchländer und den Balg, den jungen Meorte, heranschlich und eben diesen zu ermorden trachtete. Nur dadurch, dass die Schamanin – Araslá in ihrer Sprache – ihr eigenes Leben gab konnte sie das Kind retten. Eine edle Tat, die ich dieser Frau in Fell und Knochen nie zugetraut hätte. Ich schäme mich für alles Abfällige, dass ich über sie gedacht habe.
Dann kehrte Ruhe ein und Wunden konnten versorgt werden. Eine Vernehmung des Verräters war nicht möglich, gerade wollte man dazu schreiten, da warf er sich in eine unbedacht gehaltene Klinge der Anwesenden, was alle Hoffnung auf weiteres Wissen zu Nichte machte.
Weitere Unterredungen gab es noch mit den Borharcônern. Einer unserer Geweihten, der Erwählte der Poena Witold Rhyannon, bot sich gar an, mit seinem Sohn als Botschafter mit ihnen zu gehen um so den Kontakt zu halten, was diese annahmen.
Zurück auf der Burg machte ich mich bereits auf den Weg auf meine Pritsche, da sah ich noch einmal diesen zerlumpten Kerl, der sich selbst Grenzgänger nennt und den ganzen Tag auf der Burg herumgelungert hatte. Noch immer wollte er nicht beantworten, wer er sei, doch sagte er uns, dass die Gefahr der Stuerener vor Ort vorerst gebannt sei, wir uns aber beeilen sollten, das Kind in Sicherheit zu bringen. Ich weiß nicht, woher er von all diesen Dingen weiß, und vielleicht will ich es gar nicht wissen. Ich bin müde und will nur noch schlafen.