Gestattet mir zuerst mich vorzustellen: Bruder Videtus, Mitglied der
Gemeinschaft des Heiligen Hilarius zu Rodi in Hohenforingen unter Führung
unseres ehrwürdigen Vaters Einfried.

So lasst mich denn nun erzählen von den Dingen, die mir bei meiner Reise
widerfuhren: Ich kehrte gerade zurück von einer Reise zu verschiedenen
Abteien und Klöstern in Drachenhain, zu denen ich mit Grüßen, Anschreiben
und kleineren Aufträgen unseres ehrwürdigen Vaters aufgebrochen war. Erlaubt,
dass ich die Inhalte verschweige; weniger als um deren Heimlichkeit, sondern
vielmehr um den geneigten Leser nicht mit Einzelheiten des klösterlichen
Austausches zu ermüden.

Ich schiffte mich daher in Jolberg aus, um den Weg durch den finstern
Ehlerwald zu nehmen. Ich dankte den braven Schiffersleuten für ihre
Gastlichkeit und versprach, sie in meine Gebete einzuschliessen.
Wohl gäbe es den Kanal; aber zuerst wäre eine Fahrtgelegenheit auszumachen
und dann müsste ich immer noch ein Stück über den Emeransee, den Ilfur hinauf
und dort, wo er nicht mehr schiffbar ist, weiter über Land ziehen. Also
gedachte ich, den Weg auf ein gutes Maß abzuschneiden und die direkte Strecke
zu gehen. Sorgen machte ich mir keine: ich war ja nur ein Mönch auf
Wanderschaft, kein reicher Händler.

Ein gut Teil der Strecke war geschafft, und ich befand mich auf der Höhe von
Waldstedt, vielleicht noch zwei oder drei Wegstunden bis zum Waldrand. Es
dämmerte bereits, doch ich war frohgemut und hoffte auf eine Unterkunft in
einem Gehöfte oder einer der Holzfällerhütten, die es verschiedentlich in der
Nähe des Waldes gibt. Im Moment waren aber nur vereinzeltes Vogelgezwitscher
und ein Rascheln im Laub hie und da meine Begleiter.

Als ich ein Knacken von Ästen hörte, machte ich mir keine Gedanken, denn die
wilden Tiere meiden die Menschen und als armer Klosterbruder war ich
vermeintlich kein Ziel für Räuber. Doch ich sollte mich irren. Vor mir und
hinter mir tauchten plötzlich wilde und zerlumpte Gestalten auf. Sie hielten
dicke Knüttel in ihren rauhen Händen und schüttelten Sie drohend. Ich
stammelte, dass ich kein Geld besitze, doch der ungehobelte Anführer,
erkenntlich daran, dass er anstatt eines Knüttels ein rostiges Schwert hielt
und vor mich trat, beschimpfte mich als „fettes faules Klosterschwein“ (obwohl
ich eine normale Statur habe und meinen Pflichten im Alltag regelmäßig
nachkomme).

Die Burschen machten Anstalten, mich zu verprügeln und hoben ihre Knüttel;
die Schläge prasselten sogleich auf mich ein und ich glaubte meinem letzten
Stündlein entgegen zu sehen. Ich hob die Arme schützend über den Kopf.
Dann hörten sie nach vielleicht einem Dutzend Schlägen auf. Der Anführer
fragte wieder nach Geld und ich beteuerte, dass ich keinen Kreuzer bei mir
führte; dies entsprach auch der Wahrheit, da ich bei meiner Reise auf die
Mildtätigkeit der Leute und Gastlichkeit der Klöster und Gehöfte angewiesen
war. Darauf machte der Räuberhauptmann ein Zeichen und die Knüttel hoben sich
erneut.

Doch bevor diese abermals auf mich herunterdroschen, rief einer von ihnen laut.
Ich sah mich um und bemerkte von fern ein helles Licht nahen. War es
ein Reisender mit einer hellen Laterne? Oder gar eine Patrouille der
Ehlerwaldkavallerie? Auf jeden Fall liessen die Kerle von mir ab und
zerstreuten sich wie auf Geheiss im Wald, viel schneller als sie kurz zuvor
herausgekrochen kamen.

Ich stand still und sah das Licht weiter auf mich zu kommen. Nicht gelb oder
rot wie eine Laterne oder Fackel; nein – weiss und strahlend schien es mir.
Und als weder Baum noch Gebüsch zwischen uns stand, erkannte ich in diesem
Schein den Heiligen Adrian.

Ich fiel auf die Knie, wollte meinem überirdischen Retter danken; und doch
brachte ich keinen Ton heraus, sondern starrte nur. Da lächelte der Heilige
mild und legte mir seine Hand auf den Kopf. Sofort liessen meine Schmerzen
nach und die größten der blauen Flecke verschwanden. Schliesslich brachte
ich ein Gestammel des Dankes hervor. Bruder Adrian lächelte noch einmal,
drehte sich um und ging zwischen den Bäumen hindurch wieder tiefer in den
Wald.

Ich blickte noch lange seinem Leuchten hinterher. Doch dann, gestärkt durch
die Hand des Heiligen, gürtete ich mich und eilte auf den Waldrand zu. Nach
etwa zwei Stunden langte ich bei einer Holzfällerhütte an, deren Bewohner
mich gastlich aufnahmen. Als ich nach einem kurzen Mahl, das mir die
Holzfäller anboten und das aus Gerstengrütze bestand, meine Geschichte
erzählte, gafften mich die meisten nur staunend an. Einer aber nahm mich
beiseite, liess sich den Heiligen ausführlich beschreiben und vertraute mir
an, dass er diesen selbst schon einmal erblickt hatte, und dass Bruder Adrian
ihm den Weg gewiesen habe, als er zu tief in den Wald gegangen
war und von der Nacht überrascht wurde. Erstaunt fragte ich ihn, ob denn
noch andere diese Begegnung gehabt hätten; der Holzfäller aber schwieg.

Und nun will auch ich schweigen und euch Gelegenheit geben in euch zu gehen
und über die wundersamen Taten des großen Heiligen nachzudenken.

Bruder Videtus, Mitglied der Gemeinschaft des Heiligen Hilarius zu Rodi in Hohenforingen

Erschienen in Helios-Bote 80