31. Tag 3. Helios 46, abends
Nach Einbruch der Nacht erreiche ich die Karawanserei „Zur großen Linde“. Ich will gerade nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen, da ist von draußen Geschrei und Geklirr zu hören. Unmittelbar darauf stürmen mehrere Söldner in die Taverne, entwaffnen und durchsuchen alle Anwesenden, dann werden sämtliche Gäste aus dem Außenbereich in die Taverne getrieben und ebenfalls festgesetzt. Die Söldner tragen schwarze Kleidung und das neue Wappen Arobens: Links den beridhanischen Bär auf rotem Grund, rechts den schwarzen Raben auf weißem Grund. Ein Hauptmann namens Valerian erklärt die Taverne zu seinem neuen Hauptquartier. Auf einen Zwischenruf, was das alles bedeute, antwortet er: „Der Herr will prüfen, ob man ihm hier ergeben ist.“ Ein Magus in schwarzgoldener Robe betritt den Raum, fuchtelt mit einem Dolch herum und macht einen eher hysterischen Eindruck, als würde er unter großem Druck oder auch einer Portion Rauschkraut stehen. Der Hauptmann erklärt, der Herr hier würde sich nun umsehen, ob jemand von uns nützliche Fähigkeiten habe. Ist also mit „Herr“ nicht Aroben, sondern dieser Magier gemeint? Der legt dem Nächstbesten die Hand auf die Schulter und sieht ihm in die Augen. Ist er ein Mentalist? Es muß bei dem Verdacht bleiben, da ich zum Glück unbehelligt bleibe.

Nach etwa einer halben Stunde ist plötzlich Lärm zu hören. Offensichtlich gibt es draußen Schwierigkeiten! Wir nutzen die Ablenkung für ein kleines Handgemenge und öffnen die Tavernentür: Zu meiner großen Verblüffung ist soeben ein heligonischer Truppenverband eingetroffen! Neben den O’Brians, den Magistern Quendan und Mira Mabignon und einigen anderen Bekannten ist zu meiner großen Freude auch der Orden des Lichts unter Martin Dorn dabei. Angeführt wird die ganze Gruppe von Ritter Ewald von Hüttstatt aus Tlamana, den allerdings ein vergifteter Dolch (des Magiers?) schwer verletzt hat. Magister Quendan erzählt mir, dass sie über ein magisches Tor im angrenzenden Wald angereist seien, allerdings wären die auf der Vjoshavener Seite stationierten Magister verschwunden, und alles habe wie eine magische Explosion ausgesehen. Es sei zweifelhaft, ob man von hier aus durch dieses Tor zurückkehren könne.

Kurz darauf trifft eine weitere Söldnergruppe ein, deren Befehl lautet, sich hier mit Hauptmann Valerian zu treffen. Sie haben eine zerlegte Ballista und mehrere Korbflaschen bei sich. Schnell entsteht ein weiteres Scharmützel, bei dem eine der Flaschen eingesetzt wird: Zerbrochen verbreitet sie einen furchtbaren Gestank, der die Kämpfer zu starkem Husten reizt und so außer Gefecht setzt. Als wirksames Gegenmittel stellt sich Pfefferminztee oder –öl heraus. Der Kampf ist zum Glück schnell zu unseren Gunsten entschieden. Von einem gefangenen Söldner erfahre ich, dass er vor kurzem von diesen „Rabentruppen“ angeheuert worden war, wie viele andere in den Dörfern, und man sich hier und heute sammeln solle. Versprochen waren ordentlicher Sold, Verpflegung, Stiefel und alles, was so dazugehört. Der Herr hätte Geld und habe in letzter Zeit bei den Nachbarn ordentlich eingekauft. Er will in sein Land zurück und seine rechtmäßigen Ländereien zurückerobern. Und jetzt geht es eben endlich los. Morgen sei er da. Mehr wußte er nicht zu sagen. Aroben also doch im Anmarsch! Da die Länder östlich und westlich von Corenia kaum Bedeutung haben, kann es sich bei den „Nachbarn“ eigentlich nur um den Süden handeln, das sogenannte Reich der Mitte. Dies deckt sich auch mit Arobens Ausruf beim Adelstreffen „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ Gut vorstellbar, dass das Reich der Mitte jede Gelegenheit wahrnimmt, reichsfremde Unruhestifter zu unterstützen, um in Heligonia Chaos zu verbreiten. Von meinem Kontaktmann erfahre ich noch am Abend, dass das Tor im Wald bis gestern nur ein „Riß“ gewesen sei, Valerians Truppen aber heute erst Stelen zur Stabilisierung aufgestellt hatten. Es scheint, dass dieser Riß von Aroben erst vor kurzem entdeckt worden ist, und nun hier das Hauptquartier errichtet werden soll, von dem aus seine Truppen nach Heligonia übergesetzt werden sollen. Dies gilt es nun zu verhindern.

01. Tag 1. Xurl 46, vormittags

Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht tauchen immer wieder einzelne Gruppen von Söldnern auf, die sich mehr oder weniger einfach abwehren lassen.

Mehrere Leute im Lager erzählen von ähnlichen Träumen: Sie sahen drei Personen um eine Art Liege mit einem Gefangenen. An ihm wurde ein Apparatus angebracht, der ihm unter Schmerzen die Lebensenergie oder Seele entzog. Sie wurde darauf einem neuen Körper eingegeben. Einige sprachen auch von Totenerweckung, jedenfalls erinnerte die Schilderung stark an den Essenzapparat von Aroben. Keine der drei Personen sah allerdings wie Aroben auf meinem Steckbrief aus!

NB. Aus einigen Wassergefäßen und Muscheln ist Rauschen und Flüstern zu hören, das einige Leute als Gebet an Xurl verifizieren. Die Meinung der Geweihten und Schamanen geht dahin, dass das Wasser des Ortes durch irgend etwas unrein geworden ist und gereinigt werden müsse.
Auch ein anwesender Barde hatte vor einiger Zeit eine Eingebung für ein Lied, das ich mir anhöre: Es handelt von den Wasserwesen Alalusa, die ein friedliches Volk waren, bis sie eines Tages vom Reich der Mitte überrannt wurden. In ihrer Not taten sich die Schamanen mit ihrer Kraft zusammen, und der große Alalusa kam vom Himmel herab. Er brachte drei Lanzen, mit deren Hilfe das Reich der Mitte zurückgedrängt werden konnte. Als ich kurz danach mit dem Wirt rede, spricht dieser plötzlich mit anderer Stimme zu mir: ‚Dass der große Alalusa von seinem Meer oben auf das Meer herunten sah, und etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten, ein gefiedertes Wesen ist hier und verbreitet Chaos (Rabe?). Und unsere Kinder haben die Ahnen vergessen.‘ Ich frage nach diesen Kindern, und er beschreibt die Corenier. Magistra Mira bestätigt mir darauf, dass aus diesen Menschen offenbar gerade alte Alalusa sprechen. Magister Quendan äußert auch die Vermutung, dass diese drei Lanzen oder Artefakte bis heute einen Schutz vor dem Reich aufrecht erhalten, dieser aber nun irgendwie geschwächt wurde. Wie auch immer, hier ist in der Tat etwas aus den Fugen!

Die Apparatus-Träume bestätigen sich, als ein Mann auftaucht, in dessen Körper offenbar zwei Seelen stecken: Die eine bekämpft panisch jede Erinnerung an „das Ding“, an das der Körper angeschlossen war, die andere gibt sich arrogant und überheblich. Auch als einige gefangene Söldner verhört werden, stellt sich eine gewisse Verstocktheit heraus: Sie haben keinerlei Angst vor dem Tod, da sie „der Herr“ jederzeit wieder in einen neuen Körper stecken kann. Entsprechend nutzlos ist auch der Versuch einer Abwerbung: Das Versprechen der Unsterblichkeit ist weitaus interessanter als mehr Sold.

In der Tat wird bei einem weiteren Angriff vom Orden des Lichts ein Apparatus erbeutet, der schnell als „Absauger“ bezeichnet wird. Nach einer Untersuchung von Herrn Quendan ist klar, dass keine Seelen enthalten sind, es muß also einen weiteren Apparatus geben. Kann er über Resonanz gefunden werden? Eine interessante Analyse von Magister Quendan: Der Apparatus hat sowohl magische als auch religiöse Komponenten. „Jemand, der sich damit auskennt, hat von Allem etwas Nützliches genommen und zu einem unguten Mischmasch zusammengestöpselt.“
Dieser Jemand erhält bald einen Namen: Magister Exordus Brechnuss! Dieser Magus lebte zu Zeiten Arobens und wurde offenbar ebenfalls von Rabe aus der Vergangenheit ins Leben zurückgeholt. Auf Wunsch Arobens? Er scheint für seine Pläne Spezialisten für Apparati, magische Tore und dergleichen zu benötigen und greift dafür auf alte Bekannte zurück…

Mittags:
Nun soll endlich das Tor im Wald erforscht werden. Natürlich wird es gut verteidigt, und letztendlich wird die Stele, die die Stabilisierung gewährleistet hat, vom Feind selbst zerstört. Es handelte sich auch hier um eine Mischung aus arkaner und religiöser Macht. Das Tor beginnt sich hierauf wieder zu einem Riß zu verschließen und wird äußerst instabil. Magister Quendan rät von einem Durchschreiten dringend ab. Immerhin ist es nun für beide Parteien eine Patt-Situation: Keiner kommt jetzt durch das Tor nach Heligonia.
Als wir zurückkehren, waren inzwischen drei Geweihte im Lager, die darüber klagten, dass ihnen vor einiger Zeit drei Artefakte aus ihren Schreinen gestohlen wurden. Einige erinnern sich, im Traum auf dem Apparatus eine leuchtende Kugel gesehen zu haben. Dies bestätigt unsere Vermutung, dass von Arobens Spezialisten gezielt Artefakte mit göttlicher Macht „besorgt“ und mit arkaner Magie verbunden werden. ( Anm.: Gibt es hier einen Zusammenhang zu der ungeklärten Diebstahlserie einiger religiöser Gegenstände vor etlichen Jahren in Heligonia?)

Nachmittags:
Unmittelbar darauf werden wir von einer großen Gruppe Rabensöldner attackiert. Brechnuss und ein truhengroßer Apparatus sind ebenfalls vor Ort, auf ihm die leuchtende Kugel! Trotz mehrerer tapferer Angriffe scheint eine Eroberung des Apparatus aussichtslos, wir müssen uns notgedrungen auf eine Verteidigungsstellung zurückziehen. Dennoch war Brechnuss offenbar gezwungen, seine zahlreichen Toten zu schnell wiederzubeleben, so dass der Apparatus zunehmend überhitzt: Schließlich gibt es einen lauten Knall, eine Explosion, und alle verlieren das Bewußtsein.
Das Gefühl, aufzustehen und seinen Körper weiterhin liegen zu sehen, ist schwer zu beschreiben. Sind wir tot? Während wir einem inneren Zwang folgen, zur Taverne zurückzukehren, ziehen sich die Geister der Feinde maulend ebenfalls zurück: ‚Nicht schon wieder!‘ oder ‚Er hat uns versprochen, dass das nicht mehr passiert!‘ ist zu hören. Scheint so, als ob Apparatus-Magie nicht Brechnuss‘ Stärke wäre.

Obwohl Herr Evertun, Geweihter des Helios, ein Gebet an Gwon spricht, müssen wir nach einiger Zeit feststellen, dass dieser auf sich warten läßt. Weil hier Rabe noch an der Macht ist? Oder passiert hier etwas ganz anderes? Im Laufe mehrerer Stunden erleben alle „Toten“ eine Reihe von teils verwirrenden, teils skurrilen Aufgaben, die sich aus verschiedenen Jenseitsvorstellungen zusammensetzen, überwiegend jedoch ogedischen Glaubens. Das Ganze kommt einer „Seelenreise“ recht nahe: Empfang, Prüfung des Lebens, Beurteilung, Sendung. Tatsächlich mündet der Bewußtseinszustand nach erfolgter Prüfung wieder in der Wirklichkeit, in die man (wenigstens körperlich) unversehrt zurückkehrt.
Zuvor aber begleitet mich ein Alalusa einige Schritte. Er entschuldigt sich vielmals für das, was geschehen ist, aber sie hätten keine andere Möglichkeit gesehen, mit uns in Kontakt zu treten. Es tut ihnen leid, dass sie diese Bilder wählen mußten, aber sie glauben, dass sie dadurch am besten mit uns reden konnten und wir verstehen. Sie hätten damals die Drei Lanzen nicht zurückgegeben, das sei ein Fehler gewesen. Und ihre Kinder hätten nun ihre Ahnen vergessen und so vieles andere. Als Wiedergutmachung gibt er mir eine Frage frei, die ich den Alalusa bei Bedarf stellen könne.
Außerdem sei der Aroben, den ich suche, tatsächlich hier im Land Corenia, aber nicht in der Nähe. Aber derjenige, der mit den Artefakten herumgespielt habe, sie nun nicht mehr hier.
Schließlich wache ich auf. Der vermeintliche Tod war, wie sich später herausstellt, eine tiefe Bewußtlosigkeit.

Abends:
Im Lager erfahre ich, dass offenbar alle zurückgekehrt sind und eine Frage frei bekommen haben. Allerdings hatten wohl nur Herr Evertun und ich die Ehre, vom „Hauptmann der Alalusa“ persönlich zurückbegleitet zu werden, wofür ich leider keinen befriedigenden Grund weiß.

Während der Zeit unserer Bewusstlosigkeit sorgten die wenigen Frauen des Lagers, die die Explosion nicht erreicht hatte, dafür, dass die drei gestohlenen Artefakte den Geweihten zurückgegeben wurden. Die Reinheit des Ortes kann also wieder hergestellt werden.

Nach einiger Beratung beschließt der Orden des Lichts, die Suche nach Aroben in Corenia noch einige Zeit fortzuführen, während ich in wenigen Tagen zu den Schiffen zurückkehren muß. Da sich Ritter Ewald zunehmend erholt, wird es sicher in den nächsten Tagen eine Entscheidung zu Verbleib oder Rückkehr geben. Hier in Walgenhain wurde der Beginn einer Invasion jedenfalls verhindert; Aroben muß nun erst einen neuen, brauchbaren Riß finden. Für dessen Stabilisierung benötigt er einen fähigen Magus, was nach dem Verschwinden bzw. Tod von Brechnuss zumindest zu einem zeitlichen Aufschub führen könnte. Die Gefahr eines Einmarsches ist aber leider nicht gebannt, sei es durch ein weiteres Tor oder – ganz profan – mithilfe einer Flotte.

Nav. Elisabeth Wolkenstein

Erschienen in Helios-Bote 81, Herzöglich-Ostarische Hofgazette