In den Studentenkneipen der Oase Gebeh, dem Haupthaus des Ordo Mechanicus, hört man so manches. Wie unter allen Studenten üblich, werden die gängigen Späße getrieben, obskure Spiele gespielt und gewisse Rituale gepflegt, die wohl jeder von uns während seiner Lehrzeit miterlebt hat. Wie es unter Studenten so üblich ist, kreisen aber auch Geschichten von besonders kühnen, dreisten oder dummen Taten, die Kommilitonen oder Magister leisteten. Viele jener Geschichten sind schon so alt, daß keiner mehr sagen kann, was daran echt und was Ausschmückung ist, aber das ist auch nicht wichtig, denn allein das Amüsement ist der Zweck dieser Legenden, die mit Begeisterung weitergegeben werden. Jede Fakultät hat gemäß ihres Fachgebietes und ihrer Mentalität einen eigenen Schatz an Zitaten und Mähren und so kreisen denn die meisten Geschichten in Gebeh – natürlich – um Apparati. Wer wurde dort nicht als Erstsemester mit dem Scherz der Kolbenrückholfeder gefoppt und wurde nicht jeder einmal zu den Gärtnern geschickt, um einen Resonanzrechen zu holen (Ganz zu Schweigen von den Jaldi-Lufthaken)?
Die Geschichte, die ich hier aber niederschreibe, wird nicht so offen erzählt, da sie nachweislich wahr ist und so, oder so ähnlich, vor ungefähr 60 Jahren tatsächlich passierte.

Vor eben jener Zeit arbeitete in den Werkstätten von Gebeh eine kleine Gruppe äußerst talentierter Apparatisten, fünf an der Zahl. Ihre Leidenschaft war der Bau von Fortbewegungsmitteln. Es gibt viele Gerüchte warum und weshalb, aber es sei wie es sei, ihre Leidenschaft galt vor allem Wagen, die sie zur Perfektion brachten. Sie alle arbeiteten üblicherweise am selben Gefährt, aber noch in stetem Wettbewerb. Wenn sich der Eine eine bessere Lenkung ausdachte, baute der andere noch bessere Achsen und der Dritte konstruierte die unglaublichsten Antriebe. Genauso geschah es mit dem Korpus und der Aufhängung. Und jedes Modell, das sie bauten, war grandioser als das vorige, angetrieben vom heimlichen Wettstreit, wer der beste Mechanikus der Fünfe sei.
Eines Abends jedoch, als sich die Herren wieder mit ihren Ideen übertrumpfen wollten, sprach einer von Ihnen: „Ach, ich mag keine Karren mehr bauen. Unser Ziel ist es doch, die Mechanik der Welt zu verstehen. Nun, ich weiß nur zu gut, wie ein Rad rollt und wie man es antreibt, aber ich sehe keinen Gewinn darin, Kleinigkeiten immer noch weiter zu treiben. Ich will Neues tun. Laßt uns die Mechanik der Natur betrachten und sie nachbauen, auf daß wir aus ihr lernen. Laßt uns die Eleganz der Lebewesen beobachten, um sie unseren Maschinen einzuverleiben. Räder sah ich in der Natur noch keine, aber Beine hat es viele. Laßt uns Laufmaschinen bauen!“
Die ersten Blicke seiner Kollegen waren verwundert und es herrschte langes schweigen. Dann jedoch stürzten sich die Fünfe in eine hitzige Diskussion, die erst mit dem Morgengrauen endete und ihre Ideen benötigten in dieser Nacht viel Schmierstoff.
An den nächsten Tagen und auch in den Nächten wurde eifrig geplant und gedacht, aber es zeigte sich, daß jeder eine andere Vorstellung hatte, wie denn eine Laufmaschine zu sein hätte. Letzten Endes einigte man sich, daß jeder seine eigene Idee verfolgen und bauen sollte und insgeheim war denn auch jeder froh darum. Denn so konnte ihr heimlicher Wettstreit, noch besser weiter geführt werden. Jeder von ihnen konnte nun beweisen, daß er der Beste sei.

Der Erste machte sich die Spinnen zum Vorbild. Nicht die Schnelligkeit mancher dieser Tier faszinierte ihn. Vielmehr war für ihn die Fähigkeit interessant, Wände zu erklimmen, ohne erkennbaren Halt und Tritt. Der Mechanikus baute also ein achtbeiniges Gerät von seltsamem Aussehen. An den Enden der Beine befanden sich eigenartige Vorrichtungen, einer Käseglocke nicht unähnlich. Der Mechanikus nahm auf dem Steuersitz Platz und setzte das Ganze in Bewegung. Der Gang der mechanischen Spinne war weder schnell noch elegant. Um es genau zu sagen mußte man sich in der Nähe des Gerätes vorsehen, nicht von einem umherwirbelnden Bein getroffen zu werden. Aber es erfüllte seinen Zweck. Zuerst erklomm der Mechanikus die höchste Düne im Umkreis der Oase, danach einen Lagerschuppen und zum krönenden Abschluß machte er sich an das Hauptgebäude des Ordens, um es zu besteigen. Aber auf halbem Wege, also doch in beträchtlicher Höhe, blieb das Gerät stehen. Oder besser hängen. Der Mechanikus hatte die Kraftreserven der Maschine überschätzt und die vorhergehende Versuche hatten schon zu viel der Leistung aufgesogen. Da hing der Mechanikus nun und das Erstaunen der Zuseher schlug sehr schnell in Erheiterung über. Nachdem sich die Menge vom Gelächter erholt hatte, dauerte es 2 Stunden, bis man einen Weg fand, den Lenker der Maschine aus seiner Lage zu befreien. Nach weiteren 2 Tagen war auch die Maschine, die an der Wand verharrte, geborgen. Nach diesem Vorfall widmete sich der erste der Fünf anderen Gebieten der Mechanik. Die Maschine verschwand in den Archiven und kommt bis heute einmal im Jahr zum Einsatz, wenn der große Kuppelbau der Versammlungshalle gereinigt wird.

Der zweite der Fünf war ein Perfektionist. Er war der Meinung, daß die höchste Kunst darin läge, den Gang des Menschen bis ins kleinste Detail zu kopieren. Also tat er sich mit einem Anatomen zusammen und begann seine Arbeit. Aber je länger er arbeitete, desto größer wurden die Fragen und um so komplizierter wurde es. Er erforschte Muskeln und Sehnen, Gelenke und Knochen. Aber immer wenn er eines erforscht hatte, entdeckte er zwei neue Dinge. Nun, es kam wie es kommen mußte: Die Arbeit dauerte und dauerte und verschlang immer mehr vom Vermögen des Mechanikus. Der Anatom konnte bald auch nur noch Ratschläge, aber kein Wissen mehr beisteuern, denn solche Details, die der Mechanikus zu Tage brachte, hatte er noch nie gesehen. Immer wirrer wurden die Gedanken und Theorien des Wissenschaftlers und immer kleiner seine Barschaft. Doch die Arbeit ließ den zweiten der fünf nicht los, obwohl er sehenden Auges in den Ruin steuerte. Und wenn man Jahre später in Darbor einen Bettler in Lumpen sah, der im Wahn den Passanten auf die Beine starrte, dann war es der Mechanikus, der über der unlösbaren Aufgabe all seine Habe verbrauchte und dem Irrsinn verfiel. Der Anatom jedoch machte sich einen guten Namen, wenn es um die Heilung von Brüchen und Verrenkungen der Beine ging und verdiente so manchen Dukaten. Sein Name wird noch heute in so manchen anatomischen Büchern erwähnt, obwohl man munkelt, daß es nicht sein Wissen, sondern das des Mechanikus war, welches ihn berühmt machte.

Der dritte entschloß sich, etwas zu bauen, was noch nie da war. Er nahm sich kein Vorbild an der Natur und war der festen Meinung, nur etwas völlig neues könnte neue Erkenntnisse bringen. So baut der werte Herr ein sternförmiges Gebilde mit 5 Beinen. Der Mechanikus war fest davon überzeugt, dass sich dadurch ganz neue Möglichkeiten ergeben würden. Man könne sich doch in alle Richtungen gleichermaßen bewegen, ohne das Gerät zu wenden, denn der Winkel zischen den fünf Beinen war gleich groß, wie bei einem Seestern. Die Gangart bereitete gewisse Schwierigkeiten. Man konnte ja kein Tier mit fünf Beinen beobachten, um seine Schrittfolge nachzuvollziehen. So ersann sich der Gelehrte einen eigenen Bewegungsablauf. Das war das Problem. Um den genauer Hergang des Unglücks zu verstehen sollte man zumindest die Vorlesungsreihe „Stabwerksgetriebe Räumlicher Art“ genossen und verstanden haben. Für alle anderen sei kurz gesagt, dass sich in dem Bewegungsablauf ein winziger Fehler befand und sich nach einigen Schritten das zweite mit dem fünften Bein verhackte. Unglücklicherweise wurden die Beine von langen Antriebshebeln mit Kraft versorgt. Einer dieser Hebel brach und einige Zahnräder wurden durch die geballte Kraft eine halbe Meile weit geschleudert. Das führte dazu, dass die Maschine noch heute in der Inoffiziellen Liste der spektakulärsten Fehlschläge eine Sonderstellung einnimmt, denn so ein „Wurf“ gelang seitdem keinem anderen Apparatisten bei einem Fehlschlag. Hier bewahrheitet sich wieder die alte Weisheit „Gewaltig ist des Schlossers Kraft, wenn er am langen Hebel schafft“. Offensichtlich gilt das auch – und ganz besonders – für Maschinen. Der Mechanikus, der das ganze halbwegs unbeschädigt überstand, stellte zwar weitere theoretische Grundlagen für den Gang mit fünf Beinen auf, eine Maschine dieser Art baute er aber nicht mehr.

Der Vierte und der Fünfte waren die härtesten Rivalen. Die beiden Herren versuchten sich zu übertrumpfen, wo es nur ging. In diesem Falle jedoch hatten sich die beiden an der Geschwindigkeit festgebissen. Der eine baute eine Maschine, die ähnlich wie der Vogel Strauss auf zwei Beinen einher schritt, der andere imitierte den vierbeinigen Gang der Pferde. Keines der beiden Geräte war sonderlich schön, außerdem verbreiteten sie auch fürchterlichen Lärm und Gestank. Ihr Rütteln war so stark, dass nach jedem Test die Schrauben neu festgezogen werden mussten und die „Reiter“ verschütteten ob des Zitterns immer die Hälfte des ersten Getränks nach dem Absteigen. Doch eines musste man den beiden Gefährten lassen: Sie waren schnell. Selbst bei den ersten Proberitten hatten die Pferde, die sie begleiten wollten, nicht die geringste Chance. Und das, obwohl die beiden Gelehrten fest versicherten, bei weitem nicht die Endgeschwindigkeit erreicht zu haben. Nun, das Unheil nahm in Form einer Wette in einer Taverne seinen Lauf. Ausgelöst von den ersten gesetzten Dukaten, wer das schnellere Gefährt baue, hatte nach einem Mond fast jeder auf einen der beiden Konkurrenten gesetzt. Und so wurde ein Rennen vereinbart. In diesem Moment kamen die Heilkundigen zu Wort, die sich sehr kritisch ob der hohen, bis dato unbekannten Geschwindigkeiten äußerten. Man hörte eine Menge mehr oder weniger glaubhafter Aussagen von ihnen. „Ihr werdet blind werden!“ „Euch wird das Blut in den Adern gerinnen!“ „Die Haut wird euch abgehen!“ Aus unerklärlichen Gründen kamen die Heiler nicht auf das einfachste und auch naheliegendste: „Ihr werdet euch den Hals brechen!“. Genau dieser Fall trat ein. Die beiden Reiter hatten sich einige Meilen entfernt von der Oase (die Magister hatten das Rennen in Gebeh selbst untersagt) und starteten unter dem Jubel ihrer Anhänger die Maschinen. Was genau geschah, kann keiner sagen. Unter ohrenbetäubendem Lärm wurde eine Wolke aus Sand aufgewirbelt, vermischt mit dem Rauch der Maschinen. Diese Wolke war so groß und dicht, dass kein Zuseher von sich behaupten kann, das Rennen auch nur ansatzweise gesehen zu haben. Erwiesen ist jedoch, dass wenige Augenblicke später ein äußerst unangenehmes Geräusch zu vernehmen war, welches nur entsteht, wenn Gerätschaften an einem Hindernis zerschellen. Der Haufen aus verformten Gerätschaften befand sich über 500 Schritt weit weg und aus diesem konnten die beiden Gelehrten nur noch leblos geborgen werden.

Und wo finden wir die Moral dieses Irrsinns? Wenn du einen Apparat bauen willst, dann hast die selben Dinge zu beachten wie beim setzen einer Schraube: Erfinde die Schraube nicht jedes mal neu. Platziere sie da wo sie auch trägt, sonst ist sie umsonst. Überlege, ob es nicht auch eine einfache Niete tut. Und wenn du die Schraube anziehst, dann denke immer daran: Nach Fest kommt Ab!

Gehört und niedergeschrieben zu Gebeh
im 1. Poena 29 n. H.A.III
Hannes Reichenbach

Erschienen in Portal 15,