Leberknecht jr. stapfte wütend die Kellertreppen der Universität hinauf. Sein Vater hatte ihn als kleinen Jungen oft mit in die Tiefe genommen und ihm die Kisten, Schränke und Regale gezeigt, in denen die zahllosen Artefakte lagerten, die der jahrzehntelangen Sammelwut der Gelehrten zum Opfer gefallen waren: Unzählige Apparati, oft auch nur Teile davon, intakt, teilweise zerlegt oder auch nie fertig gestellt, harrten einer weiteren Untersuchung oder waren wie uninteressant gewordenes Spielzeug in einer Ecke abgelegt. Ganze Kisten mit Amuletten, seltsamen Steinen oder bemalten Kacheln standen mehr oder weniger sortiert in staubigen Regalen. In hunderten von Gläsern befanden sich in alchimistische Essenzen eingelegte Monstrositäten. Zerbrochene Zauberstäbe, verbrauchte Schreibfedern und kistenweise Pergamentfetzen mit vermurksten Ritualsprüchen verstopften die Schubläden. Besonders fasziniert hatte ihn dabei immer die leicht schillernde Aura, die über all dem waberte.

Sein Vater hatte sich als Hausmeister redlich bemüht, Ordnung in das Chaos zu bringen, die wichtigsten Dinge sorgfältig und staubfrei in Kisten zu verpacken, zu beschriften und zu katalogisieren, musste aber schließlich vor der schieren Menge kapitulieren.

Leberknecht erinnerte sich häufig an das verzweifelte Händeringen seines Vaters, wenn er beim Abendessen von einer neuen Wagenladung an „Mitbringseln“ der Gelehrten erzählte: „Wo soll ich all das nur unterbringen? Wem nutzt das Gerümpel? Warum müssen sie nur ständig alles, alles mitnehmen? Sie werden sich das Zeug doch niemals mehr ansehen – keiner wollte je wieder etwas aus dem Keller von mir geholt haben!“
Doch – und das hatte ihm sein Vater immer wieder eingetrichtert – wegwerfen war keine Lösung, die Dinge waren… nun ja… magisch. Man konnte sie nicht einfach zum Komposthaufen hinten im Garten bringen. Auch Vergraben oder im Brazach Versenken schied aus: Was, wenn die Artefakte in die falschen Hände gerieten oder auch nur von einem hungrigen Fisch gefressen wurden? Bekam er womöglich grüne Flügel oder begann gar zu sprechen? Solche Dinge waren… gefährlich.

Jeder wußte, dass Magie das Unsichtbare anzog, mit Grausen erinnerte man sich in der Universität an den Fall der Burg Thalwacht, der für alle Neulinge als warnendes Beispiel herangezogen wurde, wenn es um unvorhergesehen Nebenwirkungen ging.

Und darin bestand das zweite Problem, dachte Leberknecht jr. besorgt, als er die Gänge entlang hastete. Sein Vater war auch für das reibungslose Funktionieren des Hauptdämpfers zuständig gewesen, der verhinderte, dass die Magie, die innerhalb der Universität gewirkt wurde, nach außen drang und die Aufmerksamkeit des Unsichtbaren auf sich zog. Nicht, dass er genau gewußt hätte, wie der Apparat wirklich funktionierte, seine Arbeit bestand hauptsächlich aus dem Ablesen und Vermerken der Betriebsanzeigen, der Überwachung der Energiezufuhr und gelegentlichem Ölen. Jegliche Änderungen hatte er zu melden, was auch gewissenhaft geschah. Doch bald schon nach der Gründung der Universität Idyllie reichte die Konzeption des Hauptdämpfers nicht mehr aus, die stetig wachsende Menge Magie in den Kellern zog mehr Energie ab als berechnet, Erweiterungen wurden nötig. Anfangs noch mit Sorgfalt durchgeführt, hatte sich inzwischen ein Sammelsurium an Applikationen breit gemacht, deren Verbindungen mit dem Hauptapparatus kaum mehr zu entwirren waren. Nach dem allseits bekannten Grundsatz „Was läuft, wird nicht befummelt!“ hatte es seit längerer Zeit kein Gelehrter mehr gewagt, Hand an den Gesamtaufbau zu legen.

Doch bereits zu Zeiten seines Vaters hatte das Dämpfungsfeld begonnen, sich zu verändern, das leise Summen war einem lauteren Brummen gewichen, und manche Zeiger näherten sich bedrohlich den roten Feldern. Sein Vater hatte ordnungsgemäß Meldung erstattet, und hin und wieder bemühte sich tatsächlich ein Herr Magister in den Keller, warf flüchtige Blicke auf den Hauptdämpfer und verschwand mit einem gemurmelten „Das geht noch, das geht noch…“ wieder in höhere Gefilde.

Die letzten Wartungsarbeiten waren eher oberflächlich durchgeführt worden, wie immer fehlte für solche Dinge das nötige Geld und die erforderliche Zeit. Doch seit dem Neustart vor einer Woche lief irgend etwas nicht mehr rund, Leberknecht spürte es in den Nackenhaaren. Es kam zu kleinen Aussetzern, nichts dramatisches, aber sie wurden mehr. Auch die Raumtemperatur war gestiegen. Leberknecht jr. hatte eine dringende Note verfasst, worauf tatsächlich eine Gruppe würdiger Robenträger gekommen war und stirnrunzelnd das eine oder andere Zahnrädchen in Augenschein nahm. Nach längerer Beratung war man sich einig, dass die Temperatur im Hauptdämpferraum doch recht warm sei. Seitdem hatte er nichts mehr gehört.

Und nun das: Am Vorabend war eine Forschungsexpedition aus WußteSaarkawoher eingetroffen, natürlich wieder mit den obligatorischen Kisten voller Fitzkram. Noch in der Nacht war er durch seltsame und beunruhigende Geräusche aus dem Dämpferraum geweckt worden: Ein unheimliches Sirren und Vibrieren drang durch die Grundmauern der Universitas. Die Schlieren aus den Lagerkellern hatten die untersten Treppenstufen erreicht und faserten in die Eingangshalle, in der die „Souvenirs“ standen. Unter großen Mühen schleppte er eine Kiste aus dem Dämpfungsfeld nach draußen in den Innenhof und ging wieder zu Bett. Sollten sie ruhig zetern. Er war hier für die Sicherheit der Menschen in diesen Mauern verantwortlich, auch wenn er keinen gelehrten Titel trug und nur als einfacher Hausmeister behandelt wurde.

Natürlich hatte es am Morgen wütende Diskussionen im Hof gegeben. Magister Belgabor bestand darauf, seine Kiste ins Hauptgebäude „zum Zwecke der Untersuchung“ zu bringen, was Magister Adastratus vorerst verhinderte, bis die Probleme mit dem Hauptdämpfer geklärt waren. Das Beutegut konnte aber auch nicht ungesichert im Hof stehenbleiben, so dass sich nach längerem Hin und Her Magister Quendan anbot, ein temporäres Dämpfungsfeld zu errichten, was wiederum Magister Isildor erboste, der darin keine dauerhafte Lösung und schon gar keinen geregelten Forschungsbetrieb erkennen konnte. Und er werde seine eigene Kiste selbstverständlich mit in seine Bibliothek nehmen!

Schließlich zogen sich die werten Gelehrten zur Beratung in die Mensa zurück. Der Nachmittag verging.

Nun hatte sich die Vibration des Hauptdämpfers plötzlich abermals verändert. Leberknecht jr. stürzte in den Keller, bahnte sich halbblind einen Weg durch schillernden Dampf, wehrte sich gegen einen Schwarm flatternder Schreibfedern, wich einem Thesaurus aus, der durch die Regale vermodernder Bücher galoppierte, und sah im ohrenbetäubenden Kreischen konvergierender Sphären die Anzeigen: Alle Nadeln zitterten im roten Bereich! Ohne Zweifel hatte der Bibliothekar seine Kiste heimlich in sein Studierzimmer geschafft… und da war noch etwas… Leberknecht hastete wutentbrannt die Treppen hinauf ins Erdgeschoß – tatsächlich! Magister Belgabor stand, fasziniert dem unterirdischen Wummern lauschend, in der Eingangshalle und legte vorsichtig ein weiteres Artefakt auf einen kleinen Haufen. „Aufhören!“ brüllte Leberknecht. „Hört sofort damit auf! Schafft das Zeug raus, hier fliegt uns gleich alles um die Ohren!“ Doch Belgabor hob beschwichtigend die Hände. „Das muss der Dämpfer abkönnen…“ Entschlossen schritt der Magister durch das Tor in den Hof hinaus. Leberknecht stürzte hinterher. „Nichts kann er! Der Apparatus läuft seit Wochen am Anschlag! Warum könnt ihr solche Dinge nicht einfach an ihrem Ort lassen?!“

„Leberknecht…“ Magister Belgabor schüttelte milde lächelnd den Kopf und nahm etwas aus der fast leeren Truhe, die er genau eine Handbreit vor der inzwischen flimmernden Grenze des Dämpfungsfeldes platziert hatte. „Warum überlasst Ihr solche Dinge nicht einfach den Leuten, die sich damit auskennen? Vertraut mir: nur noch dieses hauchdünne Amulettchen –“

Unbekannter Autor

Erschienen in Helios-Bote 84, Kronkurier