Real:
am Karlsbrunnen vom 25.07.1997 bis zum 27.07.1997
Heligonisch:
in Parimawald vom 25. Tag im 2. Heliosmond, 25 n.A.III bis zum 27. Tag im 2. Heliosmond, 25 n.A.III

„Ja, der Markttag des Jahres 25 n.A.III, da war was los in der Taverne „Zum geprellten Zecher“. Lange hat es gedauert, bis ich die Ereignisse dieser Tage in den richtigen Zusammenhang bringen konnte.
Nur soviel ist sicher, einen solchen Trubel wird es in dem verschlafenen Städtchen Ravani in Darian an der Grenze zu Sedomee so schnell nicht wieder geben. Doch muß auch erwähnt werden, daß dieses sich auf durchaus historischem Boden befindet: Schon seit den valmerischen Erbfolgekriegen sind die sedomeesische Familie Enzada und die darianische Familie Walanec verfehdet. Daran konnte auch die Spaltung Valmeras nichts ändern. Noch Jahre später bekriegten sich die Burgherrn wegen irgendwelchen Kleinigkeiten – sicher waren die von Enzada neidisch auf den berühmten Markttag, der seit der Spaltung Valmeras jedes Jahr in Ravani stattfindet.
Um aber auf die verwirrten Ereignisse zurück zu kommen, welche ich eigentlich beschreiben möchte, überspringen wir ein paar Jahre und beleuchten die Geschehnisse, die etwa im Jahre 60 v.A.III stattfanden.
Nun, das war so: Die Kämpfe und Kriegswirren zwischen den Burgherrn wüteten noch immer. Diese Wirren nutzten vier schlaue darianische Seeleute, um ihre in mühevoller „Arbeit“ zusammengerafften Reichtümer in der Nähe der Burg Walanec zu verstecken – denn wo könnten Gelder besser verwahrt werden als in Poënas Schoss.
Da sie getrennter Wege gehen wollten, musste gewährt werden, dass der gemeinsame Schatz nicht von einem allein in LaSogaz verspielt oder in den Schenken von Al Safani versoffen wurde. Darum vertrauten sie die gefüllte Truhe einem Xurl-Priester an und beauftragten diesen, sie zu vergraben und eine Karte anzufertigen. Jeder der vier Seemänner sollte einen Teil der Informationen über das genaue Versteck erhalten, zur Sicherheit trug der Priester die gesamte Karte in sein Stundenbuch ein.
Soweit ich erfahren habe, schworen sich die vier Kameraden, sich jedes Jahr aufs Neue auf dem Markttag in Ravani zu treffen, sodass sie sich bei Bedarf an ihren Geldern bedienen könnten. Doch das Schicksal liess es wohl nicht zu, dass zu Lebzeiten der Vier alle wieder an diesem Ort vereint wurden So gab jeder seinen Teil der Karte an seine Nachkommen weiter.
Einer dieser Seeleute war Aytan AyBytan. Nach mehrmaligen vergeblichen Versuchen seine drei Kumpanen in Ravani zu treffen nahm er eine günstige Gelegenheit wahr und kaufte die Taverne „Zum geprellten Zecher“. Dort verbrachte er als Wirt der Taverne sein restliches Leben und gab sowohl seinen Kartenteil, wie auch seine Taverne seinen Kindern weiter. Bis zum heutigen Tage ist „Der geprellte Zecher“ im Familienbesitz der AyBytan.
Der zweite der Seeleute war Karimef Ben Karimef. Dieser zog als Barbier aus um sein Glück zu machen. Das Schicksal verschlug ihn auf eine Insel in der Jolsee. Dort nahm er sich eine Frau und bekam einen Sohn, der nach alter Familientradition seinen Namen, seinen Beruf und seine Karte erbte.
Sahil, der Dritte im Bunde, war schon immer ein Tagdieb und setzte sein Leben in gewohnter Weise fort. Als er dann einmal im Kerker von Darbor festsaß verkaufte er seinen Teil der Karte, um seine Freiheit wieder zu erlangen.
Nun liegt dieser Schatz schon seit einigen Generationen unter der Erde und kann nicht geborgen werden, weil nie alle Teile der Karte gleichzeitig in Ravani zusammenkamen.
Yussuf, der letzte der vier Seeleute, war ein arger Saufbold und verspielte seinen Teil der Karte vor vielen Jahren in einer Taverne in Betis. Als er wieder bei Verstand war machte er sich auf die Suche nach seinem Teil der Karte und war auch erfolgreich. Jedoch hat er niemals erfahren, daß die Karte bereits von einem Betiser Künstler kopiert wurde. Und dieser Künstler war kein geringerer als mein Vorfahre Thedel Gilvenlohe. Durch sein emsiges Schaffen hatte sich die Anzahl der Kartenteile von Yussuf stetig vervielfacht, denn wenn immer Not im Geldsäckel angesagt war, hatte er ein weiteres Duplikat der Karte angefertigt.
Solange ich mich erinnern kann, war dieser alte Kartenteil in unserem Atelier in einer alten Truhe aufbewahrt. Als ich dann im Helios-Boten las, daß im Rahmen der Feierlichkeiten des 100jährigen Bestehens der Grafschaft Darian, in Ravani der Markt besonders prächtig ausfallen solle, da mußte ich unwillkürlich an die Karte denken. Warum nicht nach Ravani reisen, dachte ich mir. Vielleicht steckt ja ein Körnchen Wahrheit in der Geschichte, die über die alte Karte erzählt wird. Und wenn nicht, dann finde ich womöglich einen Auftraggeber für ein Kunstwerk. Mit diesen Gedanken machte ich mich auf den Weg nach Süden und schon bei meinem Eintreffen schien mein Wunsch in Erfüllung zu gehen. Als ich im „geprellten Zecher“ ankam und erst mal einen Erfrischungstrunk nahm, hörte ich aufgeregte Stimmen aus der Küche, die so laut waren, daß ich jedes Wort verstehen konnte. Die Schankmaid Pecunia AyBytan wurde von ihren Brüdern und Vettern arg gemaßregelt, ob ihrer Unvorsichtigkeit mit dem Kartenteil allein in den Wald zu gehen. Sie hätte sich die Beule, die ihr Haupt nun verunstalte selbst zuzuschreiben. Doch schien sich die Lage dann wieder zu beruhigen und die AyBytans trösteten sich Worten, daß der Dieb nur eine Abschrift besitzt und ohne die anderen Teile auch nichts damit anfangen kann. Ich war also auf der richtigen Spur. Zwei der Kartenteile konnten wieder zueinander finden. Ehrlich wie ich nun mal bin, sprach ich Vetter Zaak AyBytan auf die Karte an. Freude und Zuversicht machten sich auf seinem Gesicht breit und wir beschlossen gemeinsam unter den ankommenden Gästen nach eventuellen Kartenteilen zu suchen. Bei dieser Gelegenheit wurde ich noch in ein weiteres Geheimnis eingeweiht, das die darauffolgenden Tagen noch für Verwirrung sorgte und seine Wurzeln in der Vergangenheit hat:
Nach der Trennung von Darian und Sedomee waren die Handelswege zum Jolborn und somit dem restlichen Königreich unterbrochen. Die hohen Zölle, die Sedomee für den Warentransport verlangte wollten die darianischen Händler nicht bezahlen und so entstand ein Schmuggelweg. Die Gespenster- und Geistergeschichten, die von den Ruinen der Burgen Walanec und Endzada erzählt wurden, waren den Schmugglern sehr willkommen und werden bis heute benutzt, um Neugierige von den Wäldern rund um die Ruinen fernzuhalten. Von dort aus wagen die „Elstern“, wie sich die Schmugglerbande nennt, Überfälle und illegale Transporte. Doch sie haben jedoch keine Ahnung, daß hier ein Schatz vergraben liegt, bemerkte Pecunia listig. Wir wissen um den Wahrheitsgehalt der Geistergeschichten und haben immer ein wachsames Auge auf die „Elstern“, damit diese nicht durch Zufall hinter das Geheimnis des Schatzes kommen.
Nun konnte die Jagd nach dem verlorenen Schatz beginnen. Glücklicherweise war es nicht schwierig unter den Angereisten Karimef, den Barbier als weiteren Kartenbesitzer zu erkennen. Schließlich waren die Gemeinsamkeiten was Name und Beruf seines Urahns angingen unverwechselbar. Doch auch er war bereits beraubt worden. Doch ein Darianer hat immer eine Abschrift, von den Dokumenten, die wichtig sind.
Als letzten Kartenbesitzer konnten wir den Wahrsager Yussuf herausfinden. Doch mit dem hatten wir so unsere Schwierigkeiten, denn er war mit seinen Freunden von der Diebesgilde unterwegs. Ob die es waren, die immer ein wenig schneller waren als wir, das haben wir nie erfahren.
Es kam, wie es kommen mußte, unzählige Kopien der Schatzkartenteile waren auf dem Markt erhältlich. Einige davon waren gut, die anderen weniger und sofort als Fälschung zu erkennen. Wann immer man in den Wald ging, stolperte man über Schatzsucher und Schmuggler.
Ich bin ein Mann, der weiß, wann eine Schlacht verloren ist und wendete mich wieder der Kunst zu. Ein paar recht lukrative Aufträge konnte ich ja doch bekommen.
Die Familie AyBytan verlegte ihr Hauptgeschäft auf den Verkauf von Toilettenpapier. Nie zuvor war Papier so teuer verkauft worden wie in diesen Tagen. Selbst wenn ich heute jemand aus der Familie treffe, dann bekommt er glänzende Augen und gerät in Schwärmen über die sagenhaften Gewinne, die da erzielt wurden.
Auch andere suspekte Gestalten machten einen schnellen Dukaten mit der Unvorsichtigkeit der etwas arglosen Zeitgenossen: das Betrügerpaar Stella und Alfonso de Pinca-Grotta. Ich konnte von ihnen selbst in Erfahrung bringen, daß sie sich seit mehreren Jahren als die tatzelfelser Methändler Kremhild und Hertbert Prieselbusch ausgeben. Als Hochstapler haben sie es weit gebracht und besitzen einen Laden in Tatzelfels, den sie als Tarnung für ihre dubiosen Geschäfte nutzen. Ihre Beziehungen in das Heimatland Darian pflegten weiterhin und man munkelt, daß sie einen guten Kontakt zur darianischen Obrigkeit haben. In Ravani ging das Betrügerpaar natürlich seinen eigenen Geschäften nach, indem sie gegen Provision Soldaten für die darianische Armee anwarben. Die Anwerbungsformulare wurden geschickt als Bestellformulare für tatzelfelser Waren getarnt. So mancher, der nicht genau nachgelesen hatte, was er da unterschrieb, war die Überraschung, als er von den Häschern des Grafen abgeholt wurde, sehr unangenehm.
Der bekannte rebenhainer Weinhändler Trozzl Kwaksalber befand sich damals unter den „Freiwilligen“, doch als er sich seinen Häschern widersetzte, kam es zu einem Handgemenge, bei dem er tödlich verletzt wurde.
Erwähnenswert ist auch noch, daß der bekannte betiser Händler Pervai Amer entführt wurde. Erst nach Monaten konnte er nach Zahlung eines enormen Lösegeldes wieder zu seiner Familie zurückkehren.
Ach ja, der Schatz wurde dann doch noch gefunden. Es muß wohl noch ein schlimmes Gerangel im Wald um die Inbesitznahme gegeben haben. Der Inhalt der Schatztruhe war gerade mal 100 Dukaten wert. „Das war zu Großvaters Zeiten mal viel Geld, aber wenn schon mit Papier handeln, dann mit dem richtigen,“ philosophierte Vetter Zaak. Es muß auch noch erwähnt werden, daß alles ganz einfach gewesen wäre, wenn Scarabi ex Umero, einmal das Stundenbuch, das er von seinem Vater geerbt hat, richtig gelesen hätte. Er ist ein Urenkel des Xurl-Priesters, der damals den Schatz vergraben hat und die Karte anfertigte. Er hatte die ganze Zeit die einzige vollständige Karte mit Beschreibung bei sich. Ausgerechnet er hat nicht den Beruf seiner Väter gelernt, sondern schlägt sich mehr schlecht als recht als Reliquienhändler durch.
Nun, da ich wieder in meinem Atelier in Betis bin und noch ein paar Feinheiten an den Zeichnungen den geheimnisumwitterten Ruinen von Enzada und Walanec einfüge, denke ich schmunzelnd an Ravani zurück. Ich bin auf jeden Fall um ein paar Erfahrungen reicher geworden und eines ist sicher: in Darian ist nichts, wie es zu sein scheint!“
Jantiff Gilvenlohe