Der Saaroko rüttelte an den blanken Zeltwänden wie ein unduldsam ausgesperrter Gast. Jene, die im großen schwarzen Zelt des Grafen Dedekien in den hinteren Reihen saßen – sei es weil sie erst seit kurzem ihr Amt inne hatten oder weil sie die Ältesten nur unbedeutenderer Örtlichkeiten waren – hatten ihre liebe Not. Gegen den eisigen Griff der Göttin hielten sie sich die weichen Buraifelle einfach an Rücken und Nacken, anstatt darauf zu sitzen, kauerten so jedoch im unbequemen Wüstensand. Wider den knallenden Lärm der Planen und der damit verbundenen Schwierigkeit, keinerlei Anteil am Verbaal’dowern im inneren Kreis haben zu können, half nur wildes Gestikulieren und laute Zwischenrufe, auf dass das Gesagte über mehrere Münder von innen nach außen und zurück echotet wurde. Die Stunden verstrichen wie im Fluge, die erhitzten Gesichter der Anwesenden – allesamt namhafte und huldvolle Amt- und Würdenträger der großen Grafschaft – glühten rot, die Augen leuchteten fiebrig und ein jeder plapperte aus vollem Halse wild durcheinander. Nach draußen drang der ungeheuerliche Lärm nur mäßig gedämpft, dunkelste Nacht war über die windumtoste Shayed-Wüste hereingebrochen und der sternenklare Himmel lag, gleich einem noch größeren Zeltdach, still über allem.

Es war der Tag des Al’Palavers zu welchem Graf Dedekien die Mächtigsten, Wichtigsten und Namhaftesten in die Mitte seines Reiches nach Darwena geladen hatte. Seine Hochgeboren war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erschienen, einem hohen Beamten oblag es die Ratsversammlung ungefähr in Kenntnis zu setzen. Jedoch nicht eben erfolgreich, wie Geschrei und Gezeter erahnen ließ. Als der Tumult am größten war und die Männer anfingen, sich gegenseitig an den krausen Bärten zu ziehen, glitten mit einem Mal zwei Zeltplanen zur Seite und eröffneten der Menge den Blick auf eine bis dato verborgen gebliebene Nische des übergroßen Zeltes. Helles Lampenlicht drang daraus hervor, so leuchtend, dass die Menschen sich zunächst die geblendeten Augen bedecken mussten. Alsdann gewahrten sie ihren Herrn Dedekien auf einem erhöhten Steinsessel, es muss Alabaster gewesen sein. Prachtvoll war seine Hochgeboren anzuschauen. Zu seinen Füßen knieten auf edlen Fellen, laszive aurazithumhängte Schönheiten beiderlei Geschlechts. Die vielberingte rechte Hand des Grafen strich sanft über die Stirn eines schläfrig dreinschauenden Wüstentigers. Gewandet war der Erste Darianer in reinstem weiß; nur Samt und Seide, sowie edelste Nordpelze bedeckten seine Haut. Da herrschte mit einem Mal absolute Stille im Zelt, keiner der Anwesenden wagte nur zu atmen. Wie in Trance ließen sie von ihrem bisherigen Tun ab und starrten wie gebannt auf jene Lichtgestalt, die ihr heliosgegebener Herr und Meister war. Dieser saß nur da und schaute huldvoll reglos auf die Seinen. Sein Antlitz glich in diesem Augenblick einer jener aus Stein gehauenen Büsten. Einzig die geölten Spitzen seines prächtigen Schnurrbartes bebten – ein sicheres Zeichen des übergroßen Unwillens des großen Herrschers. Also senken die Anwesenden vor dem sich abzeichnenden Grollen die Häupter, zogen vorsorglich das Genick ein und schämten sich für ihr soeben noch an den Tag gelegtes schlechtes Benehmen. Allein, es kam ganz anders, der Graf schwieg weiter, die Stille nahm zunehmend schmerzhafte Qualität an und die Menschen darbten sichtlich. Da setzte sich seine Hochgeboren in einer fließenden Bewegung auf, hob die Arme und was er nun zu verkünden hatte, fiel wie warmer Heliosregen auf seine Untergebenen herab:

„GELIEBTES VOLK!“
Jäher Jubel toste auf und brandete in Wellen durch das Zelt. Hüte, Turbane, Feze und andere Kopfbedeckungen flogen wie wilde Vogelschwärme durch die Luft, bis die Menge einvernehmlich mit einem vielstimmigen:
„GELIEBTER HERRSCHER!“ die traditionelle Antwort fand, worauf wieder Stille herrschte, um die weiteren Worte des Grafen zu hören.

„Geliebtes Volk!“ Wieder wollten Begeisterungsstürme anschwellen, doch Dedekien unterband dies mit dem gestrengen Heben der linken gezupften Augenbraue und so ward es wieder still.

„Geliebtes Volk! Lasst mich von den alten Zeiten sprechen. Von einer wahren Geschichte, die seinerzeit in aller Munde war und von Feuer zu Feuer getragen wurde. Damals lebte an dieser Stätten ein junger, aufstrebender Prinz, der vollkommen arglos im Herzen und vom unerschrockenen Mute eines jungen Löwen war. Jener Prinz beschloss in seiner jugendlichen Ungezügeltheit, den Göttern der Wüste zu trotzen und allein, ohne jedwede Wegzehrung, in die Wüste zu ziehen. Denn große Dürre hatte ihm in den Seinen seit Monden stark zugesetzt und das Land austrocknen lassen wie einen einhundert Jahre alten Buraifladen. Bevor er den ersten Schritt in die niederhöllische Hitze tat, traten seinen Verwandten eng an ihn heran und wollten den Prinzen von seinem Vorhaben abhalten, denn sie liebten ihren Anverwandten sehr. Zuerst stellte sich ihm der Bruder in den Weg und sagte: „Sohn meiner Mutter, Blut von meinem Blut, was willst du dort hinaus in die tödliche Dürre, warum hast du abgeschlossen mit deinem Leben?“ Da antwortete der Prinz: „Ich gehe suchen und werde finden, was am sehnlichsten wir benötigen, halte mich nicht auf!“ Da wandte sich der Bruder ab und schlug sich mit den Fäusten auf die Brust, das es krachte, denn er wähnte ihn nie wieder zu sehen. Alsdann trat die Mutter herbei und greinte: „Kind, mein Kind, warum willst du im Sandmeer ertrinken, was suchst du zu finden, was deucht dir so wertvoll?“ „Liebe Mutter“ antwortete da der Prinz, „in deinem Auge sehe ich keine einzige Träne, so geschunden ist dein Leib von Dürre, was ich suche? Du kannst es erraten.“ Da zerfurchte sich das Weib ihr Antlitz gramerfüllt mit spitzen Nägeln und schrie ihren Schmerz den Göttern zu. Letztlich legte der Vater unserem Prinzen beide Hände auf die Schultern und hielt ihn fest im Blick: „Was ist dein Begehr und Wille, Frucht meiner Lenden, was soll werden mit dir in den mörderischen Dünen und was mit uns, da dein Tod unsere Herzen ersterben lassen wird? Lohnt dein Ziel über alle Maßen?“ „Vater, guter Vater, Wasser suche ich zu finden und hernach zu euch zu bringen, damit das Darben ein Ende hat und wir leben wie einst in meiner Kindheit, da kühle, sprudelnde Quellen unsere Füße reichhaft umspülte.“ Da gab der Vater dem Sohn neben seinem Segen drei Dattelkerne sowie einen Schlauch, gefüllt mit dem letzten Xurltrunk des Tages. Also begab sich der Prinz auf die gefährliche Wanderung durch die Shayed-Wüste und vor lauter Mut und Zuversicht, gab es in seinem Herzen kein Raum für Furcht und Argwohn. Sieben mal sieben Tage zog er erfolglos umher, der Schlauch war schnell getrunken, die Dattelkerne vom vielen Lutschen letztlich so dünn wie Spinnenhaar. Die Kleider lagen in Lumpen auf seinem Körper, seine Haut glich gegerbtem Leder und quälender Durst marterte seinen Körper und seine Seele. Dennoch kamen ihm Umkehr oder Aufgabe nicht in den Sinn. Als am fünfzigsten Tag seine Füße festen Grund betraten, wollte er dies zunächst kaum glauben, wähnte sich von Sinnen oder bereits auf Gwons tröstenden Schwingen. Doch als der feste Grund sich mit einem Mal zu Schlamm und letztlich zu dem kühlen Nass einer großen Oase wandelte, da dankte er den Göttern und war voller Freude und Stolz über sich selbst. Er tauchte seinen Kopf in das Wasser, trank und trank bis sein Durst gestillt war. In Gedenken an seine Verwandten zu Hause machte sich nun sogleich daran, den leeren Lederschlauch seines Vaters mit der süßen Flüssigkeit zu füllen. Als er erkannte, dass dies kaum den Durst aller stillen würde, zog er seine Stiefel aus und füllte diese ebenfalls. Damit immer noch nicht zufrieden, fertigte er aus den Lumpen, die einst seine Kleider gewesen waren weitere Behältnisse an und füllte diese ebenfalls. So vollkommen nackt doch schwer bepackt, lief er schleunigst nach Hause, ohne auch nur einen Tropfen verschüttet zu haben. Bei den Seinen angekommen, staunten diese nicht schlecht. Das mitgebrachte Wasser wurde an alle verteilt und bevor die Familie sich aufmachte, ihre Zelte an der entdeckten Oase neu aufzuschlagen, feierten sie gemeinsam ein großes Fest des Stolzes und der Dankbarkeit für ihren heldenmütigen Prinzen… So die Geschichte.“

Als Graf Dedekien mit seiner Erzählung geendet hatte ließ er den Blick über die Menge schweifen, schaute teils in nachdenkliche und teils in verwirrte Gesichter. „Was ich euch mit dieser Geschichte, die sich natürlich getreulich so zugetragen hat, sagen möchte fragt ihr euch? Nun, auch wir, das Volk Darians, leben in Zeiten großer Dürre. Doch wie soeben von meinem Beamten zu erfahren war, ist die Oase, die uns und unsere Kinder zu tränken und zu nähren vermag, nicht fern. Lasst uns aufbrechen in eine neue Zeit der fetten und freudigen Jahre. Hierzu ist, wie ihr gehört habt, nur eines wichtig: gebt mir, was ihr erübrigen könnt, gebt mir euren letzten Dattelkern und ich führe euch, wie einst der Prinz, aus der öden Wüste in eine wundervolle Oase des süßen Nasses. Und wer nicht mit uns ziehen kann, der soll bei unserer Rückkehr erhalten, was wir nur irgend tragen konnten. Auf, auf in die Oase!“ …

Wie eine erhabene Karawane wanderte zu dieser Stunde bereits schaukelnd die Morgenröte am Horizont heran, mit sich führend, die kostbaren Waren eines neuen Tages, die da heißen Heil, Trauer und Hoffnung. Auch der Hall des frenetischen Jubels aus dem Zeltinneren vermochte es nicht, diesen Neuankömmling zu vertreiben.

Aufgeschnappt von Lami ibn Khandis

Erschienen in Helios-Bote 70, Bazaar Darians