Werte Leserschaft, wenn Ihr glaubt, die achtbeinigen Geschöpfe, die in Euren Kellerecken herumkrabbeln, wären gar erschrecklich und zum Fürchten, so vernehmt, was dem tapferen Landungstrupp der „Brassach“ unter dem umsichtigen Kommando des 1. Leutnants Thure Teerbrenner im Lande Tenogien widerfahren ist.

Zuerst sei Euch ein Abschnitt aus einem Schriftstück zitiert, welches wir vor Orte in einer Holzkiste fanden. Es handelt von der Flora und Fauna jener Region:
„Tenogien ist das Gebiet der großen Wälder. Sie beginnen direkt am Meer und erklimmen die Hänge des Regengebirges. Durchzogen wird das Land von zahlreichen großen und kleinen Läufen trüben Wassers. Hier ist die Gefahr allgegenwärtig. Du bemerkst den Jaguar wohl, es ist nur eine Frage, ob bevor oder nachdem er seine Fänge in deinen Nacken geschlagen hat. In diesem Land kann des Menschen Auge die größten Bäume erblicken, gewiss an die 100 Schritt hoch. Auf ihnen lebt allerlei sonderbares Getier. Schlangen, länger als sieben Männer, winden sich um ihre Äste. Bunt gefiederte Vögel kann man hier finden. Einige lassen sich einfangen, zähmen und sogar des Sprechens kundig machen. Selbst Pflanzen wachsen hier auf den Bäumen, die eine hat durch lange Ranken Verbindung zur Erde, die andere wiederum hängt ihre Wurzeln einfach in die Luft, auf dass Atakan [Anm.: die örtliche Gottheit] sie nähren und am Leben erhalten mag. Unter diesem Blätterdach ist es immer heiß und schwül, es regnet oft, manchmal monatelang fast ohne Unterbrechung.“

Die meisten dieser Angaben fanden wir bestätigt, wenngleich wir auch den Göttern sei Dank von vielen erwähnten Gefahren noch verschont blieben. So trafen wir auf keinen Jaguar, der der Beschreibung nach wohl einer kleineren Brazachkatze ähnelt.
Wir bewegten uns einen der genannten trüben Wasser flussaufwärts, durch dichten, wildwuchernden Wald, so wie ihn auch die Schilderungen von Yagibur wiedergeben. Einzelne Bäume am Weg mögen wohl an die 80 Schritt hoch gewesen sein, aber es ist nicht auszuschließen, dass weiter in den Hügeln noch größere zu finden sind.
Zahlreiche Vögel hörten wir wohl im dichten Blätterdach, jedoch bekamen wir keine zu Gesicht.

Je weiter wir ins Landesinnere vordrangen, umso schwüler und stickiger wurde die Luft, schließlich regte sich kein Windhauch mehr. Auch die häufigen Regenschauer machten uns sehr zu schaffen: Gewand und Ausrüstung erhielten kaum Gelegenheit zum Trocknen. Kein Schauer brachte Erfrischung, Augenblicke später schien uns die Luft drückender als zuvor. Unter diesen Bedingungen besteht für jede Expedition die schlimmste Gefahr, dass Schimmel und Rost größten Schaden anrichten. Zum Glück waren für die wenigen Tage unserer Erkundung die Vorräte ausreichend verpackt.

Doch nun weiter in der Beschreibung:
„Die vorherrschende Vegetation ist dem warmen Klima entsprechend dichter Urwald, welcher immer wieder von offenem Plantagenland unterbrochen wird. Hier wachsen die verschiedensten Edelhölzer, Orchideen und Schlingpflanzen. Eine echte botanische Rarität ist der Tenogische Silberkelch, eine fleischfressende Pflanze, die nur in einem versteckten Tal südlich von der Kraterstadt vorkommt.“

Obwohl wir mehrere Tage in der Nähe eines Dorfes lagerten, konnten wir außer kleinen Gemüsegärten keine größeren Pflanzungen oder kultivierte Flächen entdecken. Die erwähnten Schling-pflanzen – eine Art heimischer Efeu – verursachten jedoch so manche Aufregung: Wer sich ihnen zu sehr näherte, wurde unweigerlich bereits durch leichte Berührung umwickelt und in kürzester Zeit nahezu völlig überwuchert. Damit nicht genug, riefen die Blätter auch noch heftige Reizungen der Haut hervor. Je heftiger sich das Opfer dabei zur Wehr setzte, umso mehr verstrickte es sich in den Ranken und drohte zu ersticken. Im letzten Augenblick erreichte uns Hilfe durch die Dorfbewohner, welche geheimnisvolle Steine brachten. In diesen war angeblich Sonnenlicht gespeichert, welches in der Pflanze einen Widerwillen hervorrief, so dass sie von ihrem Opfer abließ.

Einige Teilnehmer unserer Expedition, die sich vom Lager aus weiter in den Wald gewagt hatten, berichteten von einer über 10 Ellen langen Schlange, die sich aufgerichtet habe und der Sprache mächtig gewesen sei. Ich habe das Wesen selbst nicht gesehen, kann mir dieses Phänomen aber nur mit uns unbekannten Lauten erklären, die das Tier in der Erregung von sich gab. Da uns aber in diesem Zusammenhang auch ein Volk von intelligenten Echsenwesen begegnete, möchte ich nicht ausschließen, dass die Männer getreulich die Wahrheit berichten. Dieses Volk sei hier jedoch nur am Rande erwähnt, eine ausführlichere Beschreibung jener Begegnung findet der interessierte Leser im Logbuch der „Brassach“ und dem Schriftstück „Über die Echsenmenschen, Universität zu Nok’maar“.

Was Edelhölzer betrifft, widerfuhr uns ein Kuriosum, bei dem es mir schwer fällt, die Sachlage nüchtern zu betrachten: So wurden wir von einem über 6 Ellen großen Baum angegriffen, der mit seinen gewaltigen Ästen heftige Schläge austeilte und – man kann es kaum glauben – sich mit langsamen Wurzelschritten vorwärtsbewegte. Mag man diese Erscheinung auch auf die erlittenen Entbehrungen und die drückende Hitze zurückführen, so wird doch jeder Teilnehmer des Landungs-kommandos aufrecht beschwören, dass er diesen „Baum“ tatsächlich gesehen hat. Nicht zuletzt erhielt Seesoldat Tonio Eichberger, ein gewandter und tapferer Mann, von einem der Äste einen heftigen Kopftreffer. Die einzige, für uns ersichtliche Methode, diese angriffslustige Pflanze zu besiegen, bestand darin, sie in Brand zu setzen. Die bereits zu diesem Zeitpunkt fortdauernden Kampf-handlungen verhinderten leider eine genauere Untersuchung dieses Wesens. Seesoldaten berichteten auch, dass sie im Wald von weiteren Bäumen attackiert worden wären, diese hätten sich jedoch nicht von der Stelle bewegt.

Nun sagt die Beschreibung Tenogiens weiter:
„Doch nicht nur die Pflanzenwelt, auch die Tierwelt des Dschungels ist gefährlich. Raubkatzen machen die Wälder unsicher, doch die größte Gefahr geht von kleinen, giftigen Insekten, Spinnen und Schlangen aus. Die gefährlichste von ihnen ist die Blattkopfotter. Nur etwa 60 cm lang, produziert sie doch ein tödliches Gift. Ihr Biss schmerzt kaum, und die Symptome der Vergiftung setzen erst am nächsten Tage ein, doch dann ist es meist schon zu spät. In den Flussläufen lebt der Riesenkaiman, der wegen seiner messerscharfen Zähne bekannt ist, alles, was sich einem seiner Tümpel nähert, ist ein potentielles Opfer.“

Die heimtückischste Gefahr waren in der Tat die Insekten, von denen es zahllose in den verschiedensten Arten gab. Neben den unerträglichen Moskitos setzte uns vor allem eines zu: Giftspinnen. Die erste und auch tragischste Begegnung mit ihnen hatten wir bereits am zweiten Tag der Landung. So brach Seesoldat Scherenschleifer auf dem Marsch urplötzlich zusammen und starb wenige Augenblicke darauf. Der Geistesgegenwart Korporal Meinrads ist es zu verdanken, dass wir die Todesursache rasch fanden: Eine hellgrüne, handtellergroße Spinne. Wir stimmten alle darin überein, sie nach unserem tapferen Kameraden „Scherenschleifer-Spinne“ zu benennen.

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Scherenschleifer-Spinne, hellgrün, handtellergroß, tödlicher Biss!

Gewarnt und mit größter Vorsicht bewegten wir uns weiter, erreichten ein Dorf am Waldrand und schlugen dort unser Lager auf. Aus diesem Wald kamen, wie bereits oben erwähnt, die seltsamsten Geschöpfe – und weitere Spinnen, von denen jede die vorige an Größe übertraf. So wurden wir bald durch lautes Gezisch aufgeschreckt und sahen mit Entsetzen, wie sich ein gewaltiges, 2 Fuß messendes Exemplar Zugang zum Lager verschaffte. Das zischende Geräusch entstand durch das Versprühen giftiger Säure, die auf der Haut der Opfer brennende, juckende Flecken hinterließ. Die Reichweite des Giftstrahls belief sich dabei auf etwa 10 Ellen. Erste Maßnahmen wie Abwaschen und kühlende Umschläge halfen über den Schreck hinweg, und alle waren erleichtert, dass der Angriff keine schwereren Folgen mit sich brachte. Da wir aber spätere Nebenwirkungen nicht ausschließen konnten, wurde die Spinne vorsorglich erlegt und untersucht. Sie erhielt zu Ehren unseres abwesenden Schiffsarztes Doktor Rolo Horatio Immikris Schröpfenbeck den Namen „Schröpfenbeck-Spinne“.

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Schröpfenbeck-Spinne, gelb-schwarz, Durchmesser 2 Fuß, giftig!

Wenig später schreckte uns wieder verdächtiges Zischen auf. Ein Blick über die Lagerbarrikaden zeigte uns ein Spinnentier mit einem Durchmesser von fast 2 Ellen, das sich uns angriffslustig näherte. Die Seesoldaten ergriffen die Pavesen und konnten sich so auf das Gift sprühenden Untier zu bewegen, das jedoch eine erstaunliche Schnelligkeit bewies. Nach kurzem, heftigem Kampf konnte die Spinne erlegt werden. Die Seesoldaten stellten den Antrag, das Biest nach ausnehmend ausländischen Seeleuten zu benennen, also erhielt das Tier den Namen „Marquis-Spinne“.

spinne_rotMarquis-Spinne, leuchtend rot, Durchmesser 1,8 Ellen, giftig!

Am späten Nachmittag hörten wir wiederum das schon so bekannte „pst-pst-pst“ und griffen zu den Waffen, jedoch ließen uns Lautstärke und Tiefe des Zischens das Blut in den Adern gefrieren: Über die Wiese bewegte sich in unglaublicher Schnelligkeit eine schwarze Riesenspinne mit einem geschätzten Durchmesser von über zweieinhalb Ellen. Die Pavesen wurden in Stellung gebracht, Pfeile auf die Sehnen gelegt. Doch während das Tier seinen Giftangriff auf die Pavesen konzentrierte, umging Seesoldat Eichberger die Spinne und griff sie mit lautem Kampfgeschrei im Rücken an. Mit seinem ganzen Körpergewicht, noch verstärkt durch einen Schuppenpanzer, drückte er das Tier zu Boden und schlug wild darauf ein. Nach wenigen Augenblicken war die Gefahr vorüber, und Eichberger erntete ob seines Mutes viel Lob. Leider war es nicht möglich, die Spinne zu zeichnen, da sie als solche nicht mehr zu erkennen war.

Nun soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, Tenogien sei nur von gefährlichen Wesen bevölkert, auch so manche Schönheit fiel uns noch ins Auge: So landete auf meinem Zeichenbrett ein mir unbekannter Schmetterling mit gelb-brauner Maserung. Der anmutige Falter ließ sich ausgiebig zeichnen und brachte auch meinem Schreibzeug erstaunliches Interesse entgegen. Auch Leutnant Hildegard von Oggnitz bewunderte die schöne Musterung der Flügel, so dass wir das Tier zu Ehren der Herzogin „Walluma-Falter“ nannten.

walluma_falter_swWalluma-Falter, gelb-braune Musterung

Außerdem fand ich auch ein harmloses Spinnentier, dass sich in meiner Kleidung verfing. Das winzige Tierchen war kaum größer als eine Linse und äußerst zutraulich. Mithilfe seines Fadens hangelte es sich von einem Finger zum nächsten und zeigte auch sonst erstaunliche akrobatische Einlagen, wie man sie nur bei geübten Gauklern zu sehen bekommt. Ich benannte sie deshalb nach einem in LaSogaz recht bekannten Jongleur namens Taitschi.

spinne_winzigTaitschi-Spinne, sehr zutraulich, Originalgröße!

Nicht aus Tenogien stammte ein Haustier, dass ich bei einer reisenden Dame entdeckte. Ich beschreibe es dennoch, da es den heligonischen Wüstenechsen sehr ähnlich ist. Es handelt sich um einen etwa 1 Fuß langen Salamander von orange-blauer Färbung. Das Tier stammte aus dem Reich Ostrika, welches dem Inselreich Xanteria zugehört. Die Dame erzählte mir, dass sich ihr Haustier von Insekten, Obst und Gemüse ernähre, also eine etwas reichhaltigere Nahrung als unsere Wüstenechsen bevorzugt. Der Salamander sei drei Jahre alt, könne aber ein Alter von 12 Jahren erreichen. Er häutet sich jedes halbe Jahr und wird dabei immer heller. So läßt sich auch das Alter recht gut bestimmen. In Ostrika ist es nicht ungewöhnlich, sich solche Echsen als Haustiere zu halten, da sie das Ungeziefer im Haus bekämpfen.

salamander_swOstrika-Salamander, 3 Jahre alt, blau-orange Färbung

Am Ende meiner Ausführungen bin ich nun noch auf die Kenntnisse meiner gelehrten Leserschaft angewiesen. So fanden wir in der anfangs erwähnten Holzkiste auch eine getrocknete Pflanze, augenscheinlich einen Blütenstand. Die Blüte ist etwa walnussgroß und sitzt auf einem blattlosen Stil. Die Blütenblätter schmiegen sich wie die harten Schuppen einer Ananas aneinander, ihre Färbung ist innen tiefrot, außen gelb mit winzigen Härchen. Wir gehen davon aus, dass es mit dieser Pflanze eine besondere Bewandtnis hat.

pflanzen_sw

Sie befindet sich – ebenso wie die originalen Zeichnungen und Proben – im Herzöglich-Ostarischen Naturkundemuseum zu Ankur unter der Obhut von Professor Riemold von Bieberau und können dort eingesehen werden.

Hochachtungsvoll
Elisabeth Wolkenstein,
Navigatorin auf der „Brassach“

Erschienen in Portal 18,