Im Schankraum des Gasthauses zum Goldenen Stechapfel auf der Drachentrutz, an dem langen Ecktisch, der den Butzenscheiben zugewandt ist, die über dem steilen Hang hinunter zum Fluss liegen und auf denen die Wappen der Drachentrutzer Stutzer abgebildet sind, treffen sich abends gerne die Meister der Zunft der Eisengräber auf der Drachentrutz, die die Stempel und Sigel schneiden sowie Gravuren fertigen. Diese versehen ein Handwerk, das den hohen Herren auf der Drachentrutz oft zu Diensten ist und ihr Umgang mit denselben versetzt sie in die Lage, besser Kunde zu geben als andere und das eine oder andere zu erfahren, was sonst im Halbdunkel der Kanzleien und Schreibzimmer hoher Herrschaften verbliebe. Bei meiner Verrichtung in dieser Taverne nun hörte ich zuletzt den Alt-Zunftherrn Scheidner eine Geschichte erzählen, die es wert ist, hier niedergeschrieben zu werden:
Der Altherr erzählte bei einem dunkeln Bier, dass ihm der jüngst verstorbene Altknecht Wilbrod kurz vor seinem Ableben eine seltsame Kunde übermittelt habe, die ihm immer noch zu denken gebe. Wilbrod war vor etwa 10 Jahren in seinen Dienst getreten, um sein Altenteil zu verdienen, zuvor war er lange Geselle beim Hohen Zunftmeister Eisenbrecher gewesen, ehe der verstorben war. Zunftherr Scheidner nun berichtete Folgendes:
„Der Wilbrod, ich sags Euch, der kannte viele Geschichten und mehr, als manch einer denkt, denn er war lange im Haus des Eisenbrecher und der schnitt früher dem alten Drachen, seiner Durchlaucht Waldemar, die Sigel und Zierrate – da mag manches Wort gesprochen und gehört worden sein, das nicht für die Ohren eins jeden Gesellen bestimmt gewesen!
Aber diese Geschichte, die hat es in sich, und ich frage mich, was sie bedeuten mag: Der alte Wilbrod erzählte sie so, wenngleich nach einem Schnaps ein wenig ausgeschmückter:
„Als ich im Haus des Zunftherrn Eisenbrecher diente, hatte ich auch die Obhut über eine ganz sonderbare Sache: Es gab im Erdgeschoss, im hinteren Teil des Hauses – zur Stadtmauer hin, ein Zimmer, das stets verschlossen gehalten wurde. Nur manchmal wurde ich angewiesen, diesen seltsamen Raum mit einem großen Kamin einzuheizen und eine große Laterne, welche im Raum darinnen, mit Kerzen zu bestücken, was ich auch stets getreulich tat. Der Raum war einigermaßen schmucklos, aber in ihm standen Tisch und Stühle sowie ein Schrank, der verschlossen. Auch ein verriegelter Sekretär befand sich darin. An der Wand hingen Felle und ein großer Gobelin, der mir in guter Erinnerung ist, da er einen großen Drachen zeigte. Manchmal nun bekam ich am Morgen, nachdem ich dort eingeheizt hatte, den Auftrag, in dem Raum zu räumen und dann fand ich dort zuweilen Gläser oder eine leere Platte, als wäre jemand zum Mahl hier gewesen. Fast immer fanden sich Kerzenstummel und hin und wieder auch Krümel, wie sie beim Glätten eines Pergaments entstehen, und einmal fand ich einen abgebrochenen Federkiel am Boden liegen. Es bestand kein Zweifel, jemand musste in der verschlossenen Kammer gewesen sein – wohl die halbe Nacht – aber ich schwöre bei dem Einen, niemand ist ins Haus gekommen in jenen Nächten und die Herrschaft schlief vorne raus! Auch war der Raum ja stets verschlossen, es sei denn, der Herr gab mir den Schlüssel, zum Richten und Räumen, den er ansonsten stets bei sich trug.
Das alles war recht seltsam, und ich konnte mir lange nichts darauf reimen, aber einmal gab es doch noch etwas: Es war die Zeit des schlimmen Krieges in Drachenhain und keiner auf der Feste wusste, wie es ausgehen würde. Der Fürst Waldemar war verschwunden und der junge Herr Leomar schien die Oberhand zu behalten. Die Schlüssel der Trutz selbst jedoch waren noch beim Kanzler, Giselher von Mühlenheim, von dem man sagte, er sei weniger nach außen als nach innen herzlich. Nun, es waren schwere Zeiten, aber davon wusste ich nicht viel, ich hatte wieder den Kamin im Raum zu feuern und ich tat, wie mir geheißen, die Scheite glommen aber nicht recht und ich half mit Reisig nach, das rauchte aber stark, und ich brauchte dadurch länger. Auch wollte ich die Türe aufstellen, damit der Rauch besser abzog, was ich tat. Ich nahm mir vor, sie ein wenig offen zu lassen, und setze mich neben sie in den dunklen Hausgang, um zu warten. Dabei allerdings muss ich eingenickt sein, denn – im Schatten sitzend- wurde ich von einem Rums geweckt: Jemand hatte die Türe zugezogen und – klirr – den Riegel von innen davor gelegt. Ich wusste nicht, wie mir geschah, aber obwohl ich mir nicht erklären konnte, wie jemand in den Raum gekommen sein konnte, ohne an mir vorbei zu gehen und mich also zu entdecken – darob war mir mulmig -, blieb ich vor der Türe sitzen, ja mehr noch, die Neugier zwang mich, an der Tür so gut es ging zu lauschen. Ich hörte bald, dass wenigstens 2 Leute im Raum waren – offenkundig Männer. Sie sprachen miteinander, mal zu leise, um etwas zu verstehen, mal aber auch recht nah an der Tür, so dass ich deutlicher hörte, was gesprochen wurde. Mal sprachen die beiden erregt, mal ruhiger, aber einige Dinge konnte ich verstehen. Beide Stimmen zügelten sich offenbar nur mühsam und waren gewohnt, dass ausgeführt würde, was sie befahlen. Fetzen drangen so an mein Ohr: „Der Fürst….!“ „Nicht Euer Diener!“ … „Gedenkt des Schwurs…“… . Das ging eine Weile so und ich wusste das alles nicht recht zu deuten. Dann jedoch schien man sich zu einigen und nahe der Tür hörte ich sprechen: „Wohlan denn, Herr, wenn Ihr haltet, was ihr mir hier und heute für mein Haus verspracht, dann will auch ich meinen Teil des Handels halten und Euch Dienst leisten und Euch zu Willen sein.“
„So sei es, ich werde Euer dreierlei viergläubiges Geheimnis nicht preis geben und es wird für sie durch ein Allod auf der Feste gesorgt werden, das schwöre ich! Beachtet ihr Euren Teil der Abmachung, dann werdet ihr stets in meinem Dienste bleiben und Eure Macht wird größer sein als eh“.
„Das sollt Ihr mir siegeln!“
Dann sprach man an entfernterer Stelle weiter und auf einmal vernahm ich Worte des Abschieds. Schon hörte ich den Riegel zurückschieben… So überrascht war ich, dass ich mich nicht in Sicherheit bringen konnte und schon glaubte, meine Neugier sei mir allzu leichtfertig zum Verhängnis geworden, doch nichts dergleichen. Es ging niemand aus dem Zimmer!!!
Ich wartete dann am Fuße der Stiege, um rasch hoch zu schlüpfen, jedoch es kam niemand! Ich konnte es nicht glauben.
Am Morgen musste ich die Kammer räumen und offensichtlich hatte ich nicht geträumt, denn ich fand zwei Kelche und auch eine Petschaft frischen Wachses, ein Siegel schien gebrochen worden, darauf war noch ein halber Drache zu erkennen. Mehr ließ sich nicht deuten.
Beim Einen, das Ganze war eine seltsame Geschichte, aber es waren seltsame Zeiten. Wie indes die Herren die Stube verlassen, das vermag ich bis auf den heutigen Tag nicht zu sagen….“
So sprach Wilbrod, Knecht im Haus Eisenbrecher, und so sprach Zunftherr Scheidner und ich, Ernfried Bolzendreher, Schankgeselle im Goldenen Stechapfel, habe es aufgeschnappt.

Erschienen in Helios-Bote 86