Nun waren früher die Sippen bunt gemischt im Kreis gestanden, doch in den vielen Jahren meiner Anwesenheit in Angaheym kannte ich bei den wenigen Treffen nur dieses Bild: Die vier Sippen standen streng getrennt, und beäugten sich mißtrauisch und nervös. So war es auch dieses Mal, allein die Heimkehrer bildeten eine fünfte Gruppe und behaupteten stolz ihren Platz im Rund. Nach einigem verlegenen Schweigen ergriff schließlich Rimgar das Wort, und es schien mir, als habe auch er lange, sehr lange auf diese Möglichkeit gewartet.
„Ihr seid in die Heimat zurückgekehrt, und wir heißen euch willkommen! Doch was habt ihr uns zu sagen, dass ihr hier wartet und nicht zu euren Familien heimkehrt?“
Ein junger Mann ruft in den Kreis: „Wir haben gehört, was hier los ist. Das ist nicht mehr unser Angaheym. Es gibt zu viel Streit!“ Und ein anderer: „Wir wollen zurückkehren, aber in unsere Heimat, und das ist sie nicht!“ Dann mehrere Stimmen: „Wir wollen, dass Frieden herrscht, begrabt euren Streit!“ Ärgerliches Gemurmel von allen Seiten. „Dazu muß erst Recht gesprochen werden! Dazu braucht es ein Thing!“ ruft Thorkar Mauerbrecher erbost. Das Gemurmel wird lauter.
„Wir haben bereits ein Thing“, ist plötzlich Findabairs Stimme zu vernehmen. „Wir müssen es nur noch formell eröffnen.“ Mit diesen Worten tritt sie in den Kreis vor den großen Stein. „Nial Felsenhammer, komm in die Mitte!“ Nial trottet nach vorne und blinzelt erwartungsvoll in die Runde. „Rimgar, laß bitte Marlyn hierher tragen. Und Jerronum, ich bitte dich ebenfalls, nach vorn zu kommen.“ Verblüfft folgte ich der Aufforderung, und das Gemurmel wird noch lauter. Ein Stammesfürst, der nicht alle Sinne beieinander hat, eine Bardin U‘Mad, ein fremder Druid und ein mümmelnder Greis – wie sollte denn so ein Thing möglich sein! Ich schloß die Augen, um die folgende Katastrophe nicht sehen zu müssen. Doch Findabair sprach weiter. „Jerronum mag zwar nach so vielen Jahren immer noch ein Fremder sein, aber er ist auf die Bitte von Baron Koldewaiht, eines alten Angaheymer Freundes, hier. Er hat sich um Marlyn gekümmert, was kein anderer von euch tat. Er ist ein Druide und genießt Marlyns Vertrauen.“ Der alte Druide nickt bedächtig mit dem Kopf.
„Und Nial hier ist immer noch der gewählte Thingsprecher. Leider hindert ihn eine Krankheit daran, seinen Pflichten nachzukommen, mag es sich dabei um eine Verwundung oder eine Grippe handeln, das ist einerlei. Unser altes Recht besagt, dass er in diesem Fall von Barde und Druide vertreten werden kann.“ Wieder nickt Marlyn, seine Augen glänzen.
„Wir werden nun also Recht finden und Recht sprechen. Tretet in den Kreis, tragt euer Anliegen vor und laßt die Hand von der Waffe, wie es Brauch ist.“
Verblüfftes Schweigen war eingetreten, und manch einer ahnte, dass er irgendwie überlistet worden war, behielt es aber wohlweislich für sich.

Erschienen in Helios-Bote 76, Angaheymer Rufhorn