I. Aus Nichts kann nichts erschaffen werden.
II. Ein Jedes strebt nach Gleichgewicht.

Dieses sind die zwei Grundsätze, die ein jedes Geschehen bestimmen. Alles in der Welt beruht auf diesen beiden Grundgesetzen: So ist Licht zum Beispiel nur ein anderer Zustand der Dunkelheit; die Ordnung ist nur eine spezielle Anordnung aller Begebenheiten, die man gemeinhin als das Chaos bezeichnet. Ein gleiches gilt auch umgekehrt. Ein weiterer Umstand dieser Grundgesetze ist die Abhängigkeit aller Dinge unterereinander: Zerstört man das ‚Eine‘, so zerstört man auch alle anderen Zustände dieses ‚Einen‘: Ohne das ‚Gute‘ gibt es kein ‚Schlechtes‘, ohne ‚Licht‘ wird es keine ‚Dunkelheit‘ geben. Doch durch die Zerstörung des ‚Einen‘ und aller seiner Zustände wird auch zwangsläufig die Erschaffung eines ‚Anderen‘ bewirkt: Der Zustand des Gleichgewichts, in dem man die Zustände des ‚Einen‘ nicht mehr unterscheiden kann. Zerstört man das Gleichgewicht indem man etwas vermeintlich ‚Neues‘ erschafft, so erschafft man auch ungewollt andere Zustände dieses ‚Neuen‘, welche das gewollt ‚Neue‘ ausgleichen. Daraus ist zu folgern, daß Handlungen wie ‚Zerstörung‘ und ‚Erschaffung‘ nicht existieren, da sie ein und das selbe sind. Nichts kann wirklich zerstört werden, und Nichts kann wirklich erschaffen werden: Alles was geschieht und geschehen kann ist lediglich eine Transformation von gegebenen Begebenheiten in neue Begebenheiten.

Wie man nun leicht vollziehen kann, fallen die obigen zwei Grundgesetze zu einem einzigen zusammen. Aber auch dieser eine Grundsatz kann nicht aus dem Nichts entstanden sein, dieses verbietet er schon von sich selbst heraus. Auch er besteht somit aus mehreren Zuständen:

I. Aus Nichts kann nichts erschaffen werden.
II. Aus Nichts kann alles erschaffen werden.
III. Aus Allem kann nichts erschaffen werden.
IV. Aus Allem kann alles erschaffen werden.
Womit man wieder einmal mehr bei der in unseren Kreisen vielzitierten Erkenntnis wäre: Alles ist Eines und Eines ist Alles. Da es aber ausreicht einen der vielen Aspekte dieser Erkenntnis anzugeben, dieser Aspekt beinhaltet ja alle anderen, beschränke ich mich in den folgenden Ausführungen auf den Aspekt ‚Aus Nichts kann nichts erschaffen werden‘. Der besseren Verständlichkeit wegen stelle ich diesem Aspekt jedoch noch die Umformulierung ‚Ein Jedes strebt nach Gleichgewicht‘ zur Seite.

Doch nun zum eigentlichen Anliegen des Tractats: Das Anzapfen und Umlenken von magischen Stömen nach dem eigenen Willen sind ein tiefer Eingriff in das Weltgefüge! Es ist daher, aus den obigen zwei Grundsätzen folgend, nur natürlich, daß die Anwendung der arcanen Künste ihren Tribut fordert. Meine Forschungen haben nun ergeben, daß dieser Tribut in direktem Zusammenhang mit den Entzugserscheinungen und physischen Schwächen stehen, welche man zumeist nach der Anwendung von arcanen Machenschaften verspürt. Als Lernender der geheimen Wissenschaften hat wohl ein jeder von uns Mittel und Wege gelehrt bekommen, wie man diese Entzugserscheinungen umgehen kann. Als wichtigste Wege seien hier nur die Konzentration, Meditation und der Wille genannt. Doch diese Wege führen nur zu einem Verdrängen der unangenehmen Begleiterscheinungen aus dem Bewußtsein; die eigentlichen Erscheinungen und Schwächen, welche man für das Umformen des Weltgefüges nach seinem eigenen Willen als Tribut zahlen muß, werden dadurch nicht beseitigt! Würde man nun versuchen diese Tributzahlungen an ihrer Wurzel zu beseitigen, so würde man einen weiteren und noch tieferen Eingriff in das ureigenste Gefüge der Welt tätigen, welcher ebenso wieder seinen Tribut fordert, nur zumeist an einer anderen Stelle und in wesentlich größerem Maße. Nach den anfänglich aufgeführten Grundgesetzen des Weltgeschehens ist es auch gar nicht möglich etwas nach seinem eigenen Willen zu bewirken ohne auch Nachteile dadurch zu erhalten.

Nun ist es aber so, daß sich die Ausübung der arcanen Künste vornehmlich auf die psychische und physische Gesundheit des Eingeweihten der geheimen Wissenschaften auswirken, und zwar proportional zur Tiefe des Eingriffs in das Gewebe der Welt. Nach dem zweiten,anfangs genannten Grundsatz strebt dieser Schaden an der Gesundheit zwar der Heilung entgegen, jedoch nicht so schnell, wie bisher angenommen: Man mag sich nach einer kurzen Phase der Ruhe, zum Beispiel dem Schlafen, zwar besser fühlen, dieses liegt jedoch daran, daß unser Geist, ob der Schulung die arcanen Künste meisten zu können, die Fähigkeit hat, auch unbewußt die fühlbaren Erscheinungen des Entzugs zu verdrängen. Wie weiter oben schon erläutert ist dadurch jedoch das eigentliche Übel nicht beseitigt, sondern bleibt weiter bestehen ohne das wir es wahrnehmen. Aufgund dessen gibt es wohl kaum einen unter uns, dessen Gesundheit nicht angegriffen ist. Dieser unbewußte Prozeß des Verdrängens geht solange weiter, bis unsere Gesundheit soweit zugrunde gerichtet ist, das es selbst unsere Schulung im Umgang mit arcanen Machenschaften nicht mehr vermag die fühlbaren Erscheinungsformen unserer zerrütteten Gesundheit aus dem Bewußtsein zu verdrängen. Doch zu diesem Zeitpunkt an dem unsereins zu der Erkenntnis gelangt, wie zerstört seine Gesundheit ist, ist es für ihn zumeist schon zu spät: Er hat sich ob seiner arcanen Künste selbst gerichtet! Ist es dieses, was das Unsichtbare darstellt und uns alle zur Vorsicht gemahnt? Die Crux an dem unbewußten Verdrängungsmechanismus ist nur, ohne ihn könnten wir keine bedeutenden arcanen Machenschaften mehr bewirken: Wenn wir uns beim Ritus der Bewirkung von Arcanem ständig um die bewußte Verdrängung der körperlichen und geistigen Leiden zu kümmern hätten, hätten wir nur noch in den seltensten Fällen noch genügend Potential an Konzentration und Willen übrig, um jenen geistigen, klaren Zustand zu erlangen, welcher notwendig ist das eigentlich Gewollte zu erreichen.

Eine besondere Vorsicht verdienen die Auswirkungen der obigen Grundsätze bei arcanen Objekten, respektive Gegenständen mit einer dauerhaften oder sehr langanhaltenden arcanen Wirkung: Durch die Herstellung solcherlei Objekte werden die magischen Ströme dauerhaft oder auf lange Zeit aus ihrem natürlichen Gleichgewichtszustand gebracht, was zu bedeutenden Störungen im Gefüge der Welt führt. Aufgund ihrer gewollt, längeren Wirkungszeit ist der Ausgleich dieses Ungleichgewichts im Gewebe der Welt jedoch nicht über einen doch eher kurzfristigen, wieder heilenden Schaden an der psychischen und physischen Gesundheit des Herstellers des arcanen Objektes möglich, sondern es kommt zu einer dauerhaften Schädigung an dem betreffenden Ort an dem sich der Gegenstand befindet: Selbstverständlich hat der Hersteller den Tribut für die arcane Herstellung des Objekts zu tragen, nicht unbedingt jedoch den Tribut für die dauerhafte Wirkung des Objekts, dieser Tribut wird von dem Anwender oder der näheren Umgebung des Objekts eingefordert. Eine natürliche Heilung der verursachten Schäden kann erst dann eintreten, wenn der betreffende Gegenstand seine Wirkung verliert, sich sein Anwender von dem Gegenstand trennt oder der Gegenstand an einen andern Ort verbracht wird. Durch letztere zwei Alternativen hat selbstverständlich der neue Anwender beziehungsweise die Umgebung des neuen Ortes nunmehr die Schädigungen zu ertragen.

Im Zusammenhang mit arcanen Objekten gilt es noch einen weiteren Umstand zu beachten: Durch das dauerhafte Umleiten und Kanalisieren der magischen Stöme besitzen solcherlei Gegenstände eine Ausstrahlung, die man gemeinhin als magische Aura bezeichnet. Ein jeder dieser Gegenstände besitzt jedoch, je nach seiner Wirkung und Art und Weise wie er hergestellt wurde, eine gewissermaßen andere Zusammenstellung welche Arten von magischen Strömen er anzapft und in welcher Intensität und Art und Weise er diese Ströme kanalisiert, wodurch die große Variabilität der bekannten magischen Auren zu erklären wäre. Dadurch kann es aber auch zu Interferenzen unter den verschiedenen magischen Auren kommen: Bestimmte Arten der kanalisierten magischen Ströme können übermäßig verstärkt werden, wohingegen andere Arten abgeschschwächt werden, ja unter Umständen sogar gänzlich ausgelöscht werden. Dieses beeinträchtigt nicht nur die Funktionsweise der einzelnen arcanen Gegenstände – womöglich können die Gegenstände gänzlich ihre Wirkung verlieren, ändern oder ins Gegenteil verkehren, solange eine bestimmte Konstellation bestehen bleibt – sondern kann auch zu einer exponentiellen Steigerung der Störung im Gleichgewicht des Weltgefüges führen! Selbstverständlich fordert aber auch diese Störung, den anfangs in diesem Tractat aufgeführten Grundgesetzen der Welt gehorchend, ihren Tribut.

Wie in diesem Tractat nun aufgeführt beinhaltet die Anwendung arcaner Wissenschaften also eine große Verantwortung, denn sie vermag es die Welt, so wie sie nunmehr heute noch besteht, zu zerstören und in etwas anderes zu transformieren. Doch ob auch wir, die wohl geistig am höchsten stehenden Lebewesen in der bisherigen Welt, in dieser neuen Welt unseren Platz haben werden, ist höchst fraglich. Ebenso fraglich ist, ob es in dieser neuen Welt so etwas wie Magie geben wird, womit wir, die in dieser noch bestehenden Welt in den geheimen Wissenschaften Gebildeten, unsere Existenzgrundlage und auch die unserer Nachfahren aufs Spiel setzen.

Rubag, erwählter Schreiber

Erschienen in Portal 2,