Im Namen von Leonidas von Rabenweil, Baron zu Tatzelfels ergeht folgende Verlautbarung: Solange sich das Fürstentum Drachenhain im Krieg mit dem Herzogtum Stueren befindet, stehen alle verfügbaren Kräfte jederzeit bereit Fürst Leomar in diesem zu unterstützen. Daher wird während der Dauer dieses Krieges kein tatzelfelser Soldat oder Milizionär in einen Krieg in den Südlanden ziehen, ungeachtet einer Involvierung des Heimatlandes der Baronsgattin.
Boten-Teil: Drachenhainer Herold Seite 4 von 6
Die ganze Baronie frohlockt vor Freude über den neugeborenen Sohn des Barons Leonidas und seiner angetrauten Isabella. Doch bringt dieses Kind einen Krieg im Süden mit sich? Wohlinformierte Kreise sprechen von einem bevorstehenden Krieg zwischen Steinbeck, dem Heimatland Isabellas und dem sogenannten Reich der Mitte. Nun stellt sich für Kaufleute, wie für die treuen Streiter unserer wehrhaften Baronie natürlich die Frage: Wird Leonidas auf Bitten der Mutter seines Erben in diesen Krieg ziehen? Und wie viele Männer wird er mit sich nehmen um auf dem Südlandkontinent einen Krieg weitab der Heimat zu führen? Wie wird sich dies auf die politischen und Handelsbeziehungen Drachenhains auswirken? Auf diese und mehr Fragen hoffen wir baldigst eine Antwort von unserem geschätzten Herrscher zu erhalten.
Ein Erbe ist geboren! Preiset Poena, denn sie hat den Leib unserer Baronin gesegnet. Unser Baron Leonidas hat einen Erben, und einen männlichen dazu. Endlich sind die Sorgen um die Tatzelfelser Thronfolge zerschlagen und mit ihnen die Hoffnungen ausländischer Emporkömmlinge. Das erkannte auch der in Ungnade gefallene frühere Vogt von Tatzelfels, Gottfried von Norderstedt als unser weiser Baron so gnädig war ihm sein früheres Amt wieder anzubieten. Gottfried gab sich erleuchtet und tugendhaft und lehnte ab. Da zögerte der Baron nicht lange und nahm ihn als siebtes Mitglied in die Tatzelfelser Ritterschaft auf. Bedenkt man was dieser Orden schlagkräftiger Ritter aus ganz Heligonia und dem Ausland in der Vergangenheit hervorbrachte, läuft einem ein Schauer über den Rücken: Herrscher, früh Gefallene und Verräter, die ebenfalls nicht alt wurden. Nachdem er nun den politischen Ehren entsagt und seine Abneigung einem frühen Tod gegenüber bereits deutlich gemacht hat… Vielleicht sollte er auch aus diesem Ritterorden bald wieder austreten.
Viele Veränderungen haben die Kriegszeiten bereits mit sich gebracht für das Tatzelfelser Heer. Doch wie wir erfahren, sind die Ideen zur Modernisierung unseres Barons und seiner Berater noch nicht erschöpft: Unlängst kehrte Korporal Berthold von den berittenen Bogenschützen aus dem ostarischen Neuenstein zurück, Pläne für neuartige Waffen im Gepäck. Nachdem er Baron Leonidas über drei Jahre als persönlicher Waffenknecht gedient hat, soll er nun zum Waibel befördert werden und die Ausbildung und Führung eines kleinen Trupps Armbruster übernehmen. Der Vorteil der Armbrust gegenüber dem Tatzelfelser Reiterbogen, so sagte uns Berthold, läge vor allem in ihrer Durchschlagskraft und einfachen Handhabung. Wir sind gespannt ob diese Neuerung eine entscheidende Rolle im Kriegsgeschehen spielen wird.
Nach nunmehr 15 Monaten in den Diensten des Ordens vom Weißen Wasser legte der ehemalige Vogt von Tatzelfels, Gottfried von Norderstedt, geläutert die Kutte des Ordensritters ab. Großzügig bot Baron Leonidas ihm das Amt des Vogtes erneut an, doch der Ritter lehnte demütig ab. Er habe sich in seiner Zeit beim Orden auf seine ritterlichen Tugenden besonnen und wolle nun seinem Schwur Baron und Baronie zu schützen sein weiteres Streben widmen. Der Baron nahm den Ritter beim Wort und nahm ihn in die Tatzelfelser Ritterschaft auf, jenen ehrwürdigen Ritterorden der noch auf Fürst Leomar zurückgeht, als dieser noch Baron von Tatzelfels war.
Am 26. im 3. Saarkamond wurde unserem allseits geschätzten Baron Leonidas von seiner Gattin ein männlicher Stammhalter geboren. Das Kind ist gesund und hört fortan auf den Namen Agens.
Erster Wendetag im neuen, dem dritten Xurlmond im 40. Regierungsjahr des guten Königs Helos Aximistilius. Ein frostig unfreundlicher Markttag neigt sich auf der Feste Drachentrutz im Fürstentume Drachenhain dem Ende zu. Krämer, Standleute und all jenen, die etwas feil zu bieten hatten, beladen vor der Markthalle müde ihre Wagen und Handkarren mit übriger Ware oder werfen Unrat sowie alles, was nicht mehr zu verkaufen ist, ins dunkle, stinkende Hundsloch gleich hinter dem großen, saalartigen Gebäude. Alles nimmt seinen geregelten Ablauf, Hand in Hand ist die Arbeit schnell geschafft, Abschiede werden ausgetauscht – hehle wie herzliche – alles verläuft wie ehedem.
Unweit der drachentrutzer Markthalle sammeln sich zeitgleich ein letztes Mal für diesen Tag Alt und Jung vor dem Marktbrunnen, füllen ihre Gefäße mit dem wertvollen Nass, mehr als einer in Gedanken schon beim Abendmahl und der wohlverdienten Nachtruhe. Klatsch und Tratsch hält die Müden wach und die Saumseligen eine Weile von der Arbeit im Hause fern – eine gute Übereinkunft, denn trotz des heuer erfreulich wohlgefüllten Brunnens muss angestanden und gewartet werden.
FLAAAAATSSSSSCH! Eine baumhohe Wasserfontäne schießt pfeilschnell aus der Tiefe des Marktbrunnens. Bis auf fünf Schritte sind alle umstehenden mit einem Mal bis auf die Haut durchnässt, viele gar vom Druck der einströmenden Wassermassen von den Beinen und zu Boden gerissen. Jedoch, nicht das Wasser allein ist es, was die Menschen vor Entsetzen erstarren lässt: es ist die menschenhafte Gestalt, die – inmitten der Fontäne – wie der Korken aus der Flasche heraus aus dem Brunnen geschossen kam und nun, gleich ein Marktschreier, auf dem schmalen Brunnenrand steht. „Ein Wassermann“ trauen sich die ersten Mutigen ungläubig zu flüstern. Rasch verstummen diese Stimmen jedoch, als man die großen und vor Zorn funkelnden Augen des Ankömmlings gewahrt. Mit rollender und donnernder Stimme, gleich einem bahnbrechenden Gebirgsbach, sagt er: „WER HAT HIER ETWAS ZU SAGEN?“
Giselher von Mühlenheim ist sichtlich schlechter Laune, die Hände hinter dem Rücken angespannt walkend, stiert er düster auf mehr rote denn schwarze Zahlen. Auch die etwa ein Dutzend Pergamente, die kreuz und quer den einzigen großen Tisch des Turmzimmers zur Gänze bedecken, scheinen dem scharfen Blick des drachenhainer Kanzlers nicht länger standhalten zu wollen und rollen sich – sehr zum zusätzlichen Verdruss desselben und trotz gut platzierter Bleiplättchen – von selbst immer wieder zusammen. Zornig knurrt er: „Verdammte Schafshaut, feine Bütte habe ich bei diesem Jungspund von einem Burgvogt bestellt. Doch was bekomme ich? Ziegenbalg! Danke, Herr von Tuachall, danke, verdammtes Luchnar, für nichts als bockige Stücke Fell!“ Giselher greift in seine Tasche und führt ein goldenes Gefäß zur Nase. „Sapperment, die Bisamkugel muss gefüllt werden“ denkt er sich und vertieft sich wieder in Pergamente. So vergehen die Momente, in denen der ärgerliche Kanzler in seiner betriebsamen Geschäftigkeit weder das Pochen an seiner Tür, noch die hastig heraneilenden Schritte gewahrt. Erst das unziemliche Rütteln an der gebeugten Schulter lässt den angestrengten Sinn des Mühlenheimers vom anvertrauten Fürstenschatz zum Hier und Jetzt wandeln. Zornig fährt er auf: „Was fällt Dir ein, Mann? Mich an der Schulter zu packen, eine Impertinenz sondergleichen!“ Der eifrige Rüttler, Leibdiener Meister Echaz Dattelboom, nun die Zerknirschtheit allselbst, hebt stotternd zur Verteidigung an, als schon von Richtung der Turmtreppen, die zu des Kanzlers Räumlichkeiten im Herzen der Feste führen, das Platschen schnell herannahender, nackter Füße zu vernehmen ist. „Ein Www…. Wasserweeee…sen wünschen seine Hochwohlgeboren zu sprechen, wenn es dem Kanzler belie…“ radebrecht der Diener noch in Giselhers Rücken, als ein recht absonderliches Wesen unter dem Türstock der Kammer steht. Einmal abgesehen vom schulterlangen Haupthaar – das nasssträhnig und voll Wassergras, verrottetem Laub, sowie allerlei Unrat wie Kohlblättern, Eierschalen und Hühnerbein behangen ist – imponiert den beiden Betrachtern vor allem die fahlgrüne und perlmuttglänzende Schuppenhaut, des vor Zorn bebenden Wassermannes, pardon Nöks. Auch die zitternden, rot angeschwollenen Kiemen ziehen im kommenden Moment mehr als nur einen Blick Mühlenheims und Dattelbooms auf sich. Sekunden verrinnen, keiner spricht, bis der fremdartige Eindringling mit ausgestrecktem, dürrem Finger in Richtung des Giselher sticht: „Bist Du der Kranzler, Gansler, Kansler, … oder wie das heißt? Bist Du es, der hier endlich etwas zu SAGEN hat?“
Der Angesprochene hatte sich indes gefangen, all seine gravitätische Contenance und, schlimmer noch, seinen heutigen glühenden Zorn auf die Welt wiedererlangt. Beide Fäuste in die Seite gestemmt donnert er: „Wer hat denn diesen laufenden Lurch raus aus seinem Käfig und hinein in meinen Turm gelassen?“
Später in Dattelbooms Kammer
Vor Meister Dattelbooms sonst so wachen Dienerblick konkurrierten in den nächsten Momenten, da der Kanzler dem Nök seine eigenwillige Begrüßung entgegenbrachte, eine Vielzahl denk- und unterbindungswürdiger Ereignisse um Beachtung, so dass der Diener nur stehen und schauen konnte und auch zur jetzigen späteren Stunde – da er in seiner Kammer haarklein berichtend bei seinem Weibe liegt – es nicht mehr zu rekonstruieren vermag, was sich eigentlich nacheinander zugetragen und an welcher Stelle er – um des Einen Willen – noch eine Wendung zum Guten hätte bewirken können. Erst das Schreien und Zetern der beiden Kombattanten, dann die Beschimpfungen und Drohungen, und letztlich die denkwürdige Kulmination des Ganzen in der schallenden Ohrfeige in des Kanzlers verdutztes Antlitz – Dattelboom kichert leise und verstohlen unter dickem Daunen in die vorgehaltene Hand. Auch wie hernach der junge Burgvogt von Tuachall in Mühlenheims Kammer gestürmt und die beiden Streithähne voneinander trennte, entzieht sich vollkommen seines sonst so versierten Erinnerungsvermögens. Erst als der rotwangige Kanzler die nachrückenden Wachen anwies, den tobenden Wassermann ins „tiefste Loch“ abzuführen, erinnert sich Dattelboom, wieder ganz Herr der Lage gewesen zu sein und emsig all das zerbrochene Geschirr zusammengefegt zu haben, so dass keiner der Anwesenden nachhaltigen Schaden durch Verletzungen nahm – wenigstens ein Erfolg an diesem Tag, denkt sich Meister Echaz, dreht sich zur Seite und sinkt sogleich in tiefen Schlaf. Das einsame Schimpfen und Wehklagen, zwei Etagen der Fürstenburg tiefer, hört er indes nicht.
Seine Durchlaucht, wie auch sein Schwertführer Ritter Samuel von Turlach, stehen bis auf wenige Unterbrechungen fortwährend im Feld in Stueren. Längst sind die eigenen Truppenverbände der meisten Lehnsnehmer, die dem Heerbanne folgten und das Übersetzen des drachenhain-ostarischen Allianzheeres ermöglichten, in ihre jeweilige Heimat zurückgekehrt. Derzeit stagniert allerdings der Krieg, da sich das Heer der selbsternannten Gräfin Aurelia von Drachenhain nach wie vor zwischen das heligonische und das der Stuerener geschoben hat. Anstrengungen seitens der Unsrigen, weiter ins Landesinnere vorzurücken, forderte einen zu hohen Blutzoll und wurden rasch eingestellt. So sichert man weiterhin den Süden – insbesondere die gewonnen und verbündeten Städte – sowie den besetzten Norden, vor allem durch Rebenhainer Verbände, baut durch diverse Maßnahmen die Vormachtstellung aus und wartet ansonsten schlicht ab, wie sich die sogenannten Aurelier wider die Stuerener schlagen werden. Insgeheim „scharrt“ man aber ungeduldig mit den Füssen, allzu lange wird der oben genannte Status somit vermutlich nicht mehr anhalten…
Wie nun veröffentlich werden darf:
Nach Audienz des Fürsten Leomar von Drachenhain und seines Kanzlers Giselher von Mühlenheim in Escandra, vor mehr als einem Jahr, billigte seine allerdurchlauchtigste Majestät, die Einsetzung eines neuen Hohen Amtes. Bekanntlich ist es im Lande Drachenhain ja Brauch und Sitte, Dienstämter, wie das des Kanzlers oder das des Marschalls, mit speziellen Insignien auszustatten, damit der Inhaber für jedermann erkennbar sei.
Somit hat Drachenhain den sechs bisherigen Hohen Ämtern, ein siebtes hinzugefügt, das des Bannerherrn. Deren Insignie soll das brennende Feldzeichen sein, das während den Geschehnissen im und um das Heerlager Messerheide in die Verantwortung des Fürstentums überantwortet worden ist. Das Flammende Banner erwies sich als überaus nützliche Waffe gegen anrückende stuerener Einheiten, nach einem kurzen Ritual entflammte es auf wundersame Weise, worauf der Feind die Waffen streckte und panisch das Weite suchte.
Die Aufgabe des Bannerherrn wird es sein – flankiert von einer kampfstarken Truppe – das Banner stets dorthin ins Feld zu führen, wo gerade die Stuerener Angriffe am stärksten auftreten, oder am meisten Nutzen versprechen.
Es handelt sich also um ein eher „agiles“ Amt, ähnlich das des Botschafters. Jedoch anders als das des Schwertführers, wird dies Amt auch in Friedenszeiten nicht ruhen, sondern allezeit bereitstehen müssen. Auf nachdrücklichen Wunsch des Fürsten, wurde Ritter Gerdling von Weibersbrunn, ehemals Burgvogt der Drachentrutz, mit diesem Amt bestallt und sogleich ins Feld beordert. Das hohe Amt, und insbesondere die wertvolle Insignie, werden somit dauerhaft an das Fürstentum Drachenhain gebunden. Bislang hatte Fürst Leomar das Feldzeichen lediglich als „kriegsrelevant“ requiriert.
Hört, Ihr Reiter Heligonias,
Das Volk der Borharcôner, es steht am Scheideweg.
Die Tage nahen, welche zeitigen Leben oder Untergang!
Atmas Vermächtnis, es ist Wunder und es ist Mysterium:
Das Blut, das heilige Blut der Sorebramorer, es kehrt zurück!
Mit jedem Tag, da ein Kind geboren, weist Yom ihm den Weg.
Der Rote Feind, er hat die Fährte aufgenommen. Blutdürstend bricht er ein in unsere Yurten, rötet die Felle, zertritt Liomnes Feuer, vernichtet das Blut, wenn er es fassen kann.
Die Mächtigsten, sie haben sich aufgemacht, aufzuschweben in die sieben Lande des Himmelreichs und hinabzusteigen in die schwarzfinstren Tiefen der Unterwelten.
ALLES – Licht wie Schatten – ist es, was wir wider den Feind einsetzen werden. Weder Halt noch Gnade wird es geben, weil Fei’na ist, was wir sind.
Das Volk der Borharcôner, es wird alsbald verhasste Ketten sprengen, das Haupt stolz erheben und rufen: „Zarbad Harcôr!“ und endlich wieder Fliegende Falken sein.
Asche und Staub, der goldene Krone;
Sieg oder Untergang!