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Das Erwachen des Grauen Prinzen

Die Baronie Norrland-Brassach liegt im äußersten Norden des Königreich Heligonias. Dort steht seit Urzeiten die Burg Gornothfall. Am 20. Tage des ersten Poëna Mondes im Jahre 42 n.A.III. war diese Burg der Ausgangspunkt für Ereignisse, die Auswirkungen auf das ganze Königreich und seine Zukunft haben werden. Deshalb seien sie hier dem Verständigen in möglicher Kürze und der nötigen Detailierung diese Ereignisse kundgetan.
Träumen und Stimmen folgen sollte jemand, der bei gesundem Verstande ist nicht. Doch genau diese lenkten unsere Schritte vor das Tor der Burg Gornothfall. Die Bewohner der Burg waren überrascht von der Ankunft so vieler Fremder und Reisender aus allen Himmelsrichtungen und Ländern, die sogar jenseits der heligonischen Grenzen liegen. Die exakten Ereignisse auf der Burg kürze ich hier drastisch ab.

Bald nach der Ankunft so vieler Menschen, wurde die Burg bedrängt. Welle um Welle schwarz gewandeter Angreifer bestürmte die Burg in feindlicher Absicht. Alle Versuche, mit ihnen in Kontakt zu treten und den Grund ihrer Feindseligkeit gegen jeden und alles auf der Burg zu ergründen, scheiterten an ihrem Schweigen. Sie sprachen nur mit dem Wort des Schwertes. Wären nicht so viele erfahrene Kämpfer unter all den Fremden gewesen, so wäre die Burg in nur wenigen Augenblicken genommen worden.
Doch mit jeder Welle, die zurückgeschlagen wurde, brandete eine neue Welle heran, bis die Kräfte aufgezehrt waren. Da die Ursache nicht gefunden werden konnte, hielten viele es für sinnlos ihre Leben im Kampf gegen diese Schwarzen aufs Spiel zu setzen und reisten wieder ab. So oblag es nur einem kleinen Häuflein Unerschrockener, den wahren Grund der Angriffe zu erfahren.
In der Burg befand sich ein Tor, welches den Durchgang zu einem Weg markiert, der nicht von dieser Welt ist. Genauere Worte kann es an dieser Stelle nicht geben, ohne seitenlange Erklärungen abgeben zu müssen. Dieses Tor war das Ziel des Scherbenmannes. Sein Begehr war es, dieses zu durchschreiten. Der Scherbenmann ist der personifizierte Wahnsinn. Sein irres Lachen übertönte Gebete, Schreie und das Klirren der Waffen. Trotz der Aufbringung unserer letzten Reserven, trotz der Selbstlosigkeit der Sigmariten, trotz der Furchtlosigkeit aller, die sich dem unheimlichen Scherbenmann in den Weg stellten, konnte er nicht aufgehalten werden. Er gelangte auf die andere Seite.
Was wirklich auf der anderen Seite war, konnten wir nur erahnen. Vielleicht lässt es sich am besten als das Herz Heligonias beschreiben. Und jetzt hatte sich der personifizierte Wahnsinn Zugang zum Herzen Heligonias verschafft. Allen war klar, dass höchste Gefahr für das ganze Königreich bestand.

Keiner war auf eine Expedition unbekannter Dauer vorbereitet. So wurde schnell alles herbeigeschafft, wessen man glaubte, in unbekanntem Land zu benötigen. Eine kleine Gruppe Beherzter durchschritt das Tor um die Verfolgung des Schrebenmanns aufzunehmen. Dessen Ziel ist es, mit dem Grauen Prinzen eins zu werden. Der Graue Prinz, der sich vor sieben hundert heligonischen Götterläufen zwischen die Umwälzung warf und sie damit aufhielt. Was würde passieren, wenn der Wahnsinn ihn erreichte?

Im Folgenden werde ich die Namen derjenigen aufzählen, die durch das Tor geschritten sind. Es soll allen Lesern eine Hilfe sein, damit ihr diejenigen ansprechen könnt, so ihr mehr über die Gefahren wissen wollt, die dem Königreich dräuen.

Durch das Tor schritten:
Heliosgeweihter Metabor
Ritter Beofried Svärdbuck
Magistra Mira Mabignon
Magister Quendan Zauberwacht
Magister Belgabor
Magister Calan
Wanda
Edonet
Tarnis
Grendel
Zenobius Pfeffersack
Mira und Rosa
Encanto und Phyllis
Schabernack und Brennessel

Im Kampf gegen den Scherbenmann wurde das sichtbare Tor, welches aus Stein gemeißelt war, eingerissen. Doch in der Ameryllsphäre stand es weiter offen. Dahinter gab es einen Weg durch die Nebel, der aus tausenden Schnüren gewoben schien. Durch den Nebel führte parallel zu unserem ein weiterer Weg. Eine Person lief dort in uns entgegen gesetzter Richtung, doch bemerkte sie uns nicht. Dem Weg nach zu urteilen, führte er in die zerbrochene Stadt. In deren Zentrum stand der Schwarze Turm. Das war das Ziel des Scherbenmanns. Immer wieder war in den Nebeln sein irres Lachen zu hören.

Als die Nebel sich lichteten, sahen wir drei Tore. Das linke roch nach Wald, das mittlere nach Mohnfeldern und das rechte nach Mineralien. Es konnte festgestellt werden, dass Scherben des Scherbenmannes durch alle drei Tore gegangen waren. So schienen alle Wege in die zerbrochene Stadt zu führen.

Wir durchschritten das mittlere Tor. Kurz umfing uns Drunkelheit, dann wurden wir gewahr, dass wir auf einem mit Steinen gepflasterten Boden standen. Als wir den Blick hoben, sahen wir einen großen Platz, umstanden von einst prächtigen Häusern, die jetzt nur noch Ruinen waren. In der Mitte erhob sich mächtig und schwarz ein Turm. Über unseren Köpfen kletterte der Scherbenmann bereits an der Mauer hinauf. Der Himmel war finster und wolkenbedeckt. Kalt fegte der Wind über den mächtigen Platz.

Ein gut gezielter Pfeil traf den Scherbenmann und blieb wirkungslos. Ein Feuerball traf ihn, setzte ihn in Flammen. Es folgte Gelächter und er kletterte weiter den Turm hinauf und erleuchtete ihn mit seinen Flammen.

Als wir uns dem Turm näherten fanden wir einen Verletzten. Es war ein junger Mann, der die Robe des Erleuchteten Ordo Mechanicus trug und sich als Ortwin vorstellte. Über ihm war in der Mauer des Turmes eine rundes Symbol angebracht, welches an die Kopfbedeckung der Jorenae erinnerte. Ein viergeteilter Kreis mit den vier Symbolen der ogedischen Götter. Ortwin nennt es einen Götterschild. Dieser hatte einen Durchmesser von vier Metern. Der Turm selbst hatte einen Durchmesser von zwanzig Metern und seine Höhe lies sich auch bei genauerer Betrachtung nicht abschätzen.

Als das irre Gelächter des Scherbenmanns für einigen Sekunden erstarb, manifestieren sich in einiger Entfernung zehn schwer bewaffnete und gut gerüstete Männer. Ganz so wie auf Gornothfall. Sie kamen langsam näher und schienen sich dabei zu vermehren, so dass zwanzig Bewaffnete auf uns zu kamen.

Selbst nach guter Suche war keine Tür oder Öffnung im Turm zu finden. So kletterten einige zu dem Götterschild. Besonders die gewandten Kobolde erreichen die Göttersymbole und drückten diese mit großem Geschick, so dass die Symbole in der Wand verschwanden.

Währenddessen hatten die zwanzig Bewaffneten uns erreicht und die wenigen Kämpfer, die wir hatten, mussten all ihre Kraft und Können aufbringen, damit wir nicht überrannt wurden.

Als alle Symbole gedrückt waren, zeigte sich fünf Meter über dem Götterschild ein Glitzern. Das Götterschild teilte sich und es öffnete sich ein breites Tor im Turm. Vom Rande des Platzes rief ein älterer Mann: „Ihr dürft den Turm nicht öffnen! Ihr dürft nicht hinein gehen! Ihr dummen Echem!“ Ortwin hielt ihn für einen der wenigen in der Stadt versteckt lebenden Jorenae.

Unsere Gruppe zog sich in den Turm zurück, da der Eingang mit unseren wenigen Kämpfern besser gegen die Übermacht zu halten war. Im Turm war jedes Geräusch dumpf. Sei es der Kampfeslärm, Schreie oder eine Unterhaltung, die nicht mehr als ein leises Flüstern zu vernehmen war. Ein violettes Leuchten erhellte das Innere des Turmes und die ebenfalls schwarzen Wände. Eine Wendeltreppe führte in die scheinbar unendliche Höhe des Turmes.

Als eine zweite Welle der Bewaffneten zurückgeschlagen wurde, blieb kurz Zeit, Luft zu holen. Mit vereinten Kräfte wurde versucht, das Tor wieder zu schließen, um vor weiteren Angriffen geschützt zu sein. In der Ferne begannen fünfzig Mann auf den Turm zu marschieren. Doch kurz bevor das Tor ganz geschlossen war, sprang es mit Macht wieder auf. Alle, die in der Nähe standen wurden in den Raum geschleudert. Der Scherbenmann, in lodernde Flammen gehüllt, stand vor uns. Sein irres Gelächter war ebenfalls nur ein Flüstern, doch intensiv wie nichts Zweites auf dieser Welt. Uns blieb das Herz stehen. Eine weitere Stimme flüsterte: „Halt Verhüllter! Du kommst nicht in den Turm!“ Der Scherbenmann drehte sich zu den Angreifern um, als sie ihn mit Metallkrallen aus dem Tor zerrten.

Ortwins Blick schien in weite Ferne zu schweifen und er begann mit metallischer Stimme zu flüstern: ““Beeilt euch! Wir versuchen, ihn hinzuhalten. Auch wir wollen keinen verrückten Träumer! Ja, auch ich weiß, wer hier ruht. Ich bin Docartus, ich spreche durch Ortwin. Er ist Auge, Ohr und Mund für mich, ein Kunstwerk, das ich mir von Vahrim abgeschaut habe … Jetzt rasch! Nehmt die Schwebeplattform und weckt den grauen Prinzen!“

Auf dem Boden war ein großes Podest, welches uns nach dessen Aktivierung in die Höhe trug.

Am Ende dieser Reise hielt das schwebende Podest in einem dunklen Raum. In der Mauer waren Schalen eingelassen und darunter kreisrunde Scheiben. Der Raum selbst war leer.

Plötzlich sprach Mira: „An alle, die es noch nicht wissen: Mein Vater ist der graue Prinz, der Träumer der hier träumt. Ich weiss nicht, wie das sein kann, aber es ist so. Vielleicht trage ich auch nur die Splitter seiner Tochter in mir. Ich glaube, dass ich die größte Chance habe, ihn zu beeinflussen, ihn zu wecken, ihn zu erinnern und die Welt vor dem Wahnsinn zu retten.“ Sie wandte sich von uns ab und sprach mit fester Stimme in den leeren Raum: „Vater, deine Tochter ist hier, hier in Par’Y Masglador, deine Tochter und die deiner geliebten Frau. Vater, erinnere dich. Du bist Joryn, erinnere dich was du alles geschaffen hast, was du getan hast. Grauer Prinz, deine Kind ist noch da, ich werde jetzt zu dir kommen!“ Doch alles was zu hören war, war ein leises Flüstern.

Metabor drückte auf einen der Kreise unter einer Schale. Die Flüssigkeit in der Schale entflammte und er blickte in ein schlafendes Gesicht. Er erkannte darin Vahrim. Eine Inschrift war nun zu lesen: Das Abbild.

Metabor und Mira entzündeten die weiteren der insgesamt acht Schalen:
Der Mythos: Zu sehen das Gesicht, das manche als den grauen Prinzen erkennen, geheimnisvoll und sehnsüchtig verliebt.
Der Glaube: Zu sehen ein Doppelgesicht (Mann in geistlicher Robe und Dämonische Fratze), gnadenreich und zugleich abgrundtief böse.
Der Schutz: Zu sehen ein Gesicht mit dem Zeichen des Unsichtbaren auf der Stirn (der Jäger), wachsam (trotz geschlossener Augen) und stark.
Der Zwang: Zu sehen ein schwacher Schimmer eines Gesichts: Vinzent, der Amandatus, verbissen, aber auch unschuldig.
Die Erinnerung: Zu sehen der Jorena-Magier aus den Erinnerungen der zerbrochenen Stadt, weise, aber leicht arrogant.
Der Gestalter: Das einzige Gesicht, welches die Augen geöffnet zu haben scheint -und doch sind sie gleichzeitig geschlossen.

Als Phyllis die letzte Schale aktivierte, offenbarte sich die achte Inschrift: „Der Wahnsinn“. Ein Gesicht erschien nicht, doch ertönte plötzlich ein lauter Schrei von unten im Turm, der erste, den wir hörten seit wir uns im Turm befanden.

Sieben Gestalten erfüllten im nächsten Moment den Raum, die sich die Augen rieben und langsam öffneten, als hätten sie sehr lange geschlafen.

Eine Stimme donnerte durch den Turm: „AUS DEM WEG!“ und wie von Zauberhand befand sich auch der Scherbenmann, den Ortwin den Verhüllten genannt hatte,im Raum. Die Kämpfer Zenobius, Herger und Beofried stürzten sich ohne Rücksicht auf ihr eigenes Leben, wie ein Mann auf den brennenden Scherbenmann. Die Gelehrten erkannten, dass jede Gestalt ein Aspekt war, dem sich jeder nach seinen Erfahrungen zuwandte.

Wanda hatte ihren Blick jedoch bereits Vinzent zugewandt, nachdem sie gesehen hatte, wie Mira zum grauen Prinzen gelaufen war. Wanda machte vorsichtig einen Schritt auf Vinzent zu und zog ihren Dolch. „Erinnere dich!“ flüsterte sie. „Wach auf!“ Dabei hob sie ihren Dolch zwischen sich und ihn. Nicht bedrohlich, aggressiv, sondern einfach nur als wollte sie ihm etwas zeigen.

Quendan stellte sich flugs vor Vincent und sprach (laut und deutlich) zu ihm: „Guten Morgen, Vincent! Ich bin es, Quendan! Wir sind gemeinsam gereist und haben gesucht. Nun weiß ich, wer Ihr wirklich seid. Seid bereit und gebt mir Eure Hand und lasst Euch zur Erkenntnis führen. Er reichte Vincent die rechte Hand, um ihn zum grauen Prinzen zu führen. Doch Vinzent rührte sich nicht. Er blinzelte und war gerade dabei, seine Augen langsam zu öffnen.
Belgabor ging zur Erinnerung, da er als Nexus Gelehrter für das Wissen stand.

Phyllis ging zum Gestalter, da sie das Prinzip des Erschaffens als Alchemistin nur zu gut verstand.
Ortwin sprach mit der Stimme von Docartus: „Ich gehe zu Vahrim! Der Erleuchtete Ordo Mechanicus hat viel mit seinem Werken gemein … “

Mira sprach zum grauen Prinzen: „Denke an das Schöne in der Welt, an die Liebe die du für uns empfindest. Vater, deine Tochter ist hier. Du hast mich beschützt, schau durch diese Blume, die stammt doch von dir. Die Blume hat uns immer verbunden. Wache auf.“

Mira stellt sich ganz nahe vor dem grauen Prinzen hin und will ihm die Mabignonblume in die Hand geben. „Denke an dein Volk, an dein Reich, an deine Stadt Par’Y Masglador.“ Der graue Prinz blinzelt, seine Augen öffnen sich sehr langsam.

All dies wurde vom lichterloh brennenden Scherbenmann, dem Wahnsinn erleuchtet. Jede Hand, die nicht mit einem Aspekt beschäftigt war, erhob sich gegen ihn, doch wurden, wie schon auf Gornothfall, auch die stärksten Kämpen zurückgedrängt. Beofried und Zenobius wurden vom wieder auflodernden Scherbenmann zu Boden gedrückt.

Gleichzeitig donnerte es aus den Mündern mehrerer Aspekte: „AUS DEM WEG!“.

Einen gewaltigen Lichtblitz und einen lauten Knall später erwachten wir mit einer Melodie in den Ohren. Wir lagen alle wie betäubt auf dem Boden, doch jeder erkannte die Melodie. Es war Waroniels Lied. Als sich unsere Blicke langsam klärten ,gewahrten wir einer Höhle, in der wir lagen. Vor der Höhle rauschte das Meer und aus dem Inneren der Höhle hörten wir das Lied.

Wir besprachen, was die letzten Eindrücke eines jeden waren, bevor wir das Bewusstsein verloren. Der Graue Prinz, Vinzent und Vahrim hatten kurz ihre Augen geöffnet. Von den anderen Aspekten wusste keiner zu berichten. Herger hatte die Binden vom Gesicht des Scherbenmanns gerissen. Seine Fratze war dann in gleißendem Licht geschmolzen und als sieben Blitze in alle Richtungen gestoben. Einer wusste noch, dass diese sieben Blitze um uns herum von etwas abgelenkt wurden und drei Blitze verblassten.

Wir folgten der Melodie in die Höhle und begegneten Arden, dem Kind der Götter. Sie erzählte uns, dass Belgabor sie mithilfe einer Melodie mit in den schwarzen Turm gebracht hatte. So hatte sie uns retten können und uns nach Corenia gebracht. Tausende heligonische Meilen vom schwarzen Turm entfernt. Auf unsere Frage, ob der Träumer erwacht sei, antwortete Arden, dass auch der Wahnsinn ein Teil des Träumers sei und ohne ihn hätte nicht erwachen können. Dass durch unser Zutun er jedoch auf den Wahnsinn vorbereitet gewesen sei und der Träumer bald erwachen werde. Arden sagte: Ich spüre, dass sich etwas verändert hat. Der Träumer erwacht. Wie lange das dauern wird, weiß ich nicht. Aber wenn der Wahnsinn noch zu groß ist, dann werden die Viere meine Hilfe benötigen … Der Jäger wollte mich einst nach meiner Geburt mitnehmen. Zum Schutz. Aber zu welchem Schutz? Zu meinem oder zu seinem oder vielleicht zum Schutz Heligonias vor einer weiteren Umwälzung? Ich weiß es nicht. Nun werde ich mich wohl doch meinen Eltern stellen müssen.“ Nach kurzem Schweigen fügt Arden hinzu: „Bitte legt ein gutes Wort für mich ein.“
Da Arden sehr schwach war, versuchten wir sie zu stärken, indem wir Waroniels Lied sangen. Sie erholte sich langsam. Der Gesang von Belgabor, Phyllis, Mira und den anderen hat sie wieder etwas gestärkt. Arden blickte auf: „Ich muss gehen! Xurl spürt mich, er ruft … Ich danke euch! Viel Glück … “ Mit dem letzten gesprochenen Wort lösten sich Ardens Umrisse auf, sie verschwand.

Unsere Rückreise über das große Meer, in das Königreich Heligonia oder andere Länder, dauerte viele Wochen. Mögen diese Erlebnisse auch noch so unglaublich klingen, so denkt daran, dass auch der beste darianischer Märchenerzähler sich so etwas nicht ausdenken könnte.

Seid auf der Hut, haltet die Augen offen. Zu eurem Schutze und dem Schutze von ganz Heligonia!

Das Spiel der Gelehrten

Mit einer gewissen Freude entdeckte ich, dass jenes Spiel, welches in anderen Ländern unter verschiedenen Namen bekannt ist – Arithmomachie und Rhythmomachie um nur zwei zu nennen – auch in gewissen Kreisen Helgionias durchaus beliebt ist. Leider sind jene Kreise nicht besonders groß und so hoffe ich mit dieser kleinen Vorstellung jenes wahrhaft für Gelehrte geschaffenen Spieles ein wenig mehr Interesse daran wecken zu können.

Die Wurzeln des Rhythmomachie liegen im Dunkeln, lediglich den Namen Asilo wird häufig als erster Vordenker dieses Spieles genannt – ob es sich hierbei jedoch um einen Heligonier handelte oder ob das Spiel im Ausland entstand und dann nach Heligonia kam, ist heute kaum mehr nachzuvollziehen. In den heutigen Tagen wird dieses Spiel hierzulande vor allem von den Gelehrten des Nexus Corenae gespielt, obwohl es auch für viele andere Gelehrte und vor allem deren Studenten von großer Bedeutung sein könnte. In anderen Ländern schwankt die Bedeutung des Spieles zwischen „völlig unbekannt“ und „beliebter Zeitvertreib von Gelehrten“.

Die Grundlagen der Rhythmomachie liegen in der Mathematik und den frühen Werken über jene, wie beispielsweise Boethius „De institutione arithmetica“, eine Übersetzung von Nicomachus „Einführung in die Arithmetik“. Aus diesem Grunde eignet sich dieses Spiel durchaus für die Ausbildung von Studenten, welche dadurch während des Spieles ihre mathematischen Fähigkeiten erproben können.

Wichtig zu beachten ist, dass es eine Vielzahl von Variationen des Rhythmomachie gibt, von denen nur eine spezielle innerhalb des Nexus Corenae gespielt wird. In diesem Text soll nun auf eine etwas allgemeinere Variante eingegangen und deren Unterschiede zur Spielart des Nexus Corenae herausgestellt werden, so dass dem geneigten Leser beide Variaten zur Verfügung stehen. Auch sollen einige weitere Variationen dieses Spieles zumindest Erwähnung finden.

Die Spielfiguren und das Spielbrett

Rhythmomachie ähnelt äußerlich grob dem heute leider weitaus bekannteren „könglichen“ Spiel Schach, basiert es doch auch auf einem in Quadrate aufgeteiltes Spielbrett – allerdings handelt es sich hierbei (im Normalfall) um 8 mal 16 Quadrate, im Gegensatz zu den 8 mal 8 Quadraten des Schachs.

Die Spielfiguren des Rhythmomachie weisen jedoch meist eine wichtige Besonderheit auf: In allen Varianten, bei denen es möglich ist, „gefangene“ Spielsteine als eigene erneut ins Spiel zu bringen, sind die Spielfiguren zweifarbig, so dass sie einfach umgedreht werden können um die Seiten zu wechseln. Dies gilt nicht für die Variante des Nexus Corenae.

In jedem Fall tragen alle Spielsteine ihre Zahl deutlich sichtbar (ggf. auf beiden Seiten). Jene Zahlen unterscheiden auch das Spiel weiter vom Schach, denn während bei diesem beide Parteien über die gleichen Spielfiguren verfügen, unterscheiden sich die Zahlen, welche den beiden Spielern beim Rhythmomachie zur Verfügung stehen. Je nach Variante kann dies einen kleinen Vorteil für eine der beiden Parteien bedeuten. Allgemein gesprochen ist das gerade Heer häufig leicht bevorzugt, weshalb auch das ungerade Heer das Spiel oftmals eröffnet.

Die Zahlen der Spielsteine sind in zwei Gruppen geteilt und unterliegen festen Regeln, welche wie folgt gestaltet sind:

Man beginne mit den Zahlen von 2 bis 8 und teile sie in gerade und ungerade Zahlen, um die Basis für das gerade und ungerade Heer zu erhalten. Diese Zahlen – man nenne sie im folgenden n – schreibe man in eine Zeile, welche man auch den ersten Rang nennen kann. Es sei darauf hingewiesen, dass das gerade Heer in den anderen Zeilen auch ungerade Zahlen enthält und das ungerade Heer auch gerade – die Bezeichnungen gründen sich vollständig auf diese erste Zeile.
Als Anmerkung am Rande sei erwähnt, dass die 1 niemals auftritt, da sie im klassischen Zahlenbild keine Zahl, sondern deren Grundeinheit ist, aus welcher die Zahlen hervor gehen (so sind die Zahlen des ersten Ranges Vielfache der 1).

Die zweite Zeile – auch der zweite Rang genannt – besteht aus den Quadraten der Zahlen des ersten Ranges (sind also n x n). Die Zahlen des ersten und zweiten Ranges nennt man die Multiplices, da sie ganzzahlige Vielfache sind.

Die Zahlen des dritten Ranges ergeben sich, indem man die Zahlen des zweiten Ranges mit 1 + ( 1 : n) mulipliziert.

Die Zahlen des vierten Ranges lassen sich ebenso berechnen, indem man die Zahlen des dritten Ranges mit 1 + ( 1 : n) multipliziert. Man nennt die Zahlen des dritten und vierten Ranges die Superparticulares, da sie ein Ganzes und ein Teil sind.

Die Zahlen des fünften Ranges werden errechnet, indem die Zahlen des vierten Ranges mit 1 + (n : ( n + 1)) multipliziert werden.

Die Zahlen des sechsten Ranges berechnen sich, in die darüber liegende Zahl des fünften Ranges mit 1 + (n : ( n + 1)) multipliziert werden. Die Zahlen des fünften und sechsten Ranges werden Superpartientes genannt, da sie ein Ganzes plus (alle – ein) Teil sind.

Obwohl es noch zwei weitere klassische Formen von Proportionen – Multiplices superparticulares und Multiplices superpartientes – gibt, sollen diese an dieser Stelle nicht weiter erläutert werden, da sie für die Grundlagen des Spieles keine Rolle spielen.

Führen wir die Zahlen durch ein Beispiel ein: Beginnen wir mit der Zahl des ersten Ranges 4. Daraus ergibt sich der zweite Rang 16 (n x n). Der dritte Rang errechnet sich durch 16 x ( 1 + ( 1 : 4 ) ), also 20. Daraus folgend errechnet man den vierten Rang: 25 (da 20 x ( 1 + ( 1 : 4))). Der fünfte Rang kann nun also als 25 x ( 1 + ( 4 : ( 4 + 1))) berechnet werden, was uns zur 45 führt. Der sechste Rang schließlich ist 45 x ( 1 + ( 4 : ( 4 + 1))), also 81.

Im Allgemeinen werden die Multiplices durch kreisrunde Spielsteine dargestellt, die Superparticulares durch dreieckige und die Superpartientes durch quadratische. Hier macht jedoch der Nexus Corenae einen Unterschied, verwendet er doch kleine quadratische Spielsteine für die Multiplices, große quadratische für die Superparticulares und runde für die Superpartientes.
Im Folgenden seien die beiden Heere angegeben:

Das gerade Heer:

 2
 4
6
8
Multiplices
 4
16
36
64
 
 6
20
42
72
Superparticulares
 9
25
49
81
 
 15
45
91
153
Superpartientes
 26
81
169
289
 

Das ungerade Heer:

3
 5
7
9
Multiplices
 9
25
49
81
 
 12
30
56
90
Superparticulares
 16
36
64
100
 
 28
66
120
190
Superpartientes
 49
121
225
361
 

Einen Unterschied gibt es bei der Figur der Pyramide, welcher auch König oder Turm (so beim Nexus Corenae) genannt wird. Der Turm ersetzt eine normale Spielfigur (welche also nicht existiert). Der Turm ist eine spezielle Spielfigur, besteht er doch aus mehreren Zahlen und nicht nur einer:

So besteht der Turm des geraden Heeres aus allen quadratischen Zahlen von 1 bis 36 (und ersetzt somit den Spielstein mit der Zahl 91), während der Turm des ungeraden Heeres aus den quadratischen Zahlen von 16 bis 64 besteht (und somit die 190 ersetzt).

In der allgemeinen Variante besteht der Turm tatsächlich aus mehreren Steinen (meist spezielle Steine, die besser zu stapeln sind), die auch einzeln gefangen genommen werden können (deshalb auch der Name Pyramide). Bei der Variante des Nexus Corenae hingegen ist der Turm eine einzelne, spezielle Figur, die nur als ganzes gefangen genommen werden kann, wofür als ihre Zahl ihre Basis, also das höchste Quadrat (36 bzw. 64) verwendet wird.

Die in Klammern stehenden Zahlen geben an, welchen Grad die Teilsteine besitzen: Multiplices (I), Superparticulares (II) oder Superpartientes (III).

Das Ziehen

Bei den Zügen gibt es noch weitaus mehr Variationen als bei den Spielfiguren, weshalb hier mit einer einfachen Variante begonnen werden soll:

Es beginnt das Heer der ungeraden Zahlen mit dem ersten Zug (außer in der Variante des Nexus Corenae, wo das gerade Heer beginnt).

Die Multiplices ziehen in das zweite Feld und zwar horizontal oder vertikal.

Die Superparticulares ziehen in das dritte Feld und zwar diagonal.

Die Superpartientes ziehen in das vierte Feld und zwar in alle Richtungen.

Als wichtiger Hinweis sei hier erwähnt, dass beim Ziehen das Ausgangsfeld mitgezählt wird, die Multiplices ziehen also exakt ein Feld weiter.

In der Variante des Nexus Corenae bleiben die Zugweiten erhalten, aber alle drei Kategorien von Steinen können in alle Richtungen ziehen.

Der Turm bildet hier, wie auch sonst, eine Ausnahme: Er kann sich wie ein beliebiger seiner Teile bewegen. Im Falle der Nexus Corenae Variante – bei welcher der Turm ja unteilbar ist – bedeutet dass, dass der Turm sich stets bei jedem Zug eine der drei obigen Möglichkeiten aussuchen kann, bei der hier vorgestellten Variante, bei welcher einzelne Steine des Turms einzeln geschlagen werden können, hängt seine Bewegungsfähigkeit davon ab, welche seiner Steine er schon verloren hat: Wurde der Turm beispielsweise schon aller seiner Multiplices beraubt, so kann er nicht mehr deren Züge durchführen, sondern sich nur noch wie die Superparticulares oder Superpartientes bewegen.

Die Gefangennahme

Um eine gegnerische Figur gefangen zu nehmen gibt es verschiedene Möglichkeiten, die prinzipiell darauf basieren, mathematische Zusammenhänge zwischen der eigenen und der Spielfigur des Gegners herzustellen. Bei einigen Varianten wurden jedoch auch trivialere Möglichkeiten eingeführt, so zum Beispiel die Belagerung.

Gefangennahme durch Begegnung (auch congressus genannt)

Die Begegnung ist der einfachste Weg eine Figur gefangen zu nehmen: Wenn die eigene Figur so an eine gegnerische Figur mit der gleichen Zahl heran kommt, dass sie deren Feld im nächsten Zug erreichen könnte, kann sie diese gefangen nehmen.

Gefangennahme durch Hinterhalt (auch insidiae genannt)

Sind zwei Spielfiguren eines Spielers so nahe an einer gegnerischen Figur, so dass sie im nächsten Zug auf deren Feld kommen könnten, können sie diese gefangen nehmen, wenn ihre Summe oder Differenz (in manchen Varianten auch Produkt oder Quotient) gleich der Zahl der gegnerischen Figur ist. Bei der Variante des Nexus gilt hierbei nur die Summe, so dass von der Additionsregel gesprochen wird.

Gefangennahme durch Angriff (auch eruptio genannt)

Wenn eine Spielfigur auf einer Linie (horizontal, vertikal oder diagonal) mit einer gegnerischen Figur liegt, so kann sie diese gefangen nehmen, falls die Anzahl der Felder, die zwischen ihnen liegen, multipliziert mit seiner Zahl der Zahl der gegnerischen Figur entsprechen. Die Felder dazwischen müssen hierfür leer sein.

Gefangennahme durch Belagerung (auch obsidio genannt)

Wenn eine Spielfigur von gegnerischen Figuren so eingekreist ist, dass sie keinen Zug mehr durchführen kann, kann sie gefangen genommen werden. Diese Regel existiert (wohl aufgrund ihrer geringen Eleganz) in der Nexus-Variation nicht.

Sonderstellung des Turms

Interessant ist hier die Behandlung des Turmes: Er kann entweder als ganzes gefangen genommen werden (dafür gilt entweder seine Zahl als die Summe seiner aktuellen Teile oder, in der Variante des Nexus, seine höchste Quadratzahl, also 36 bzw. 64) oder (in bestimmten Varianten, nicht der des Nexus) Teile von ihm können gefangen genommen werden. Er kann entweder als ganzes (also mit seiner Zahl) gefangen nehmen oder ein beliebiges seiner Teile nutzen um gefangen zu nehmen. Er teilt sich dabei aber niemals wirklich.

Sieg

Sieg ist bei Rhythmomachie keine einfache Sache, denn es gibt viele verschiedene Siegesvarianten, manche „gewaltiger“ als andere. Deshalb unterscheidet man zwischen „gewöhnlichen“ und „echten“ Siegen:

Gewöhnliche Siege

Als gewöhnliche Siege sind jene Siege bekannt, deren Regeln vorher abgesprochen werden. Zwei Spieler können sich also beispielsweise einigen, Siege des Körpers zu erlauben, indem sie festlegen, dass jener gewinnt, der zuerst 10 Figuren gefangen nimmt.

Sieg des Körpers: Man nehme eine bestimmte Anzahl an Figuren gefangen

Sieg des Besitzes: Man nehme eine bestimmte Summe an Figurenwerten gefangen

Sieg der Einnahmen: Man nehme eine bestimmte Anzahl an Ziffern gefangen

Es sind natürlich auch Kombinationen der obigen möglich.

Echte Siege

Die wahre Kunst liegt darin, im Feld des Gegners eine „Harmonie“ aus drei oder vier Steinen zu etablieren. Die Steine des Gegners können in der Harmonie verwendet werden, dürfen aber nicht der letzte Stein in der Harmonie sein. In manchen Varianten muß auch der Turm gefangen genommen werden, bevor eine Harmonie etabliert werden darf, was auch für die Variante des Nexus Corenae gilt, bei welcher der Turm sogar (als einer seiner Teilsteine) für eine solche Harmonie herangezogen werden darf. Es gibt drei Arten der Harmonie:

Arithmetische Harmonie: Die Differenz der „linken“ und „mittleren“ Zahl ist gleich der Differenz der „mittleren“ und „rechten“ Zahl, z.B. 2:4:6. Mathematisch: b – a = c – b

Geometrische Harmonie: Wenn die Division der „linken“ durch die „mittlere“ Zahl gleich der Division der „mittleren“ durch die „rechten“ Zahl entspricht, zum Beispiel 5:10:20. Mathematisch:
(a : b ) = ( b : c)

Musikalische Harmonie: Die Division der kleinsten und größten Zahl entspricht der Division der Differenz der beiden größten und der beiden kleinsten Zahlen, z.B. 6:8:12. Mathematisch:
(a : c) = (b – a) : (c – b)

Um ein schnelles Spiel zu gewährleisten, werden die Harmonien häufig nicht einzeln berechnet, sondern in Tabellen nachgeschlagen. Solche finden sich z.B. in einigen Schriften des Nexus Corenae, aus welchem auch die hier aufgeführten Tabellen stammen.

Es ergeben sich also folgende echte Siege:

Ein kleiner Sieg gelingt, wenn man eine der obigen Harmonien mit drei Steinen im Feld des Gegners etabliert

Ein großer Sieg gelingt, wenn man zwei der obigen Harmonien mittels vier Steinen im Feld des Gegners etabliert (die Harmonien überschneiden sich also)

Ein gewaltiger Sieg gelingt, wenn man alle drei Harmonien mittels vier Steinen im Feld des Gegners etabliert

Die Harmonien
(entnommen einem Text des Nexus Corenae)

Arithmetische Harmonien

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Quergedanken

Vor wenigen Monden fand, wie dem geneigten Leser sicherlich bekannt ist, ein Vorturnier zur offenen darianischen Utzganmeisterschaft im Örtchen Zardasia statt. Einige Mitglieder der Academia Rei Preheliotica weilten während dieser Zeit in Darian und wohnten dort dem Turnier bei. Nicht der sportliche Ehrgeiz trieb sie dort hin. Nein, diese Personen waren eigentlich aus purem Zufall vor Ort, kehrten sie doch von einer Reise aus Sedomee zurück an die Academia. Wie es nun der Zufall wollte ereigneten sich – abgesehen von dem Turnier – geradezu bemerkenswerte Dinge. Darianische Geschichten tauchten auf. Es zeigte sich, dass in diesen Geschichten Dschinnen gebunden waren, die nach und nach frei kamen und so eine Wesenheit, die „der Graue Prinz“ genannt wurde, wieder zu seinen Erinnerungen fand.
Es ist nun nicht unser Ansinnen, über die Ereignisse vor Ort zu berichten. Dies sollte Personen überlassen werden, die zugegen waren uns somit aus erster Hand berichten können.
Als uns aber die darianischen Geschichten und die Berichte zu Ohren kamen, drängten sich einige Parallelen zu Geschehnissen in Heligonia auf, die zum Teil schon vor geraumer Zeit stattfanden. Man saß bei einer Kanne Tee zusammen, spekulierte und sinnierte über Zusammenhänge und ließ die Gedanken schweifen. Es mag nun sein, dass es sich hierbei um reine Spekulationen oder Zufälle handelt und so liegt es uns fern, unsere Gedanken als zwingend richtig zu erachten. Ebenso können wir nicht dafür bürgen, dass hier alle Parallelen beschrieben sind, die sich vor Ort zeigten. Trotzdem sahen wir uns veranlasst, hier einige Dinge darzulegen, die uns ins Auge stachen. Möge ein jeder sein eigenes Urteil fällen.

Beginnen möchten wir mit einem Passus aus der Geschichte über den Grauen Prinzen. Er war der Herrscher eines Landes und lebte in einer Stadt aus Silber und Glas? Eine Anspielung auf das Material, das wir heute als Ameryll oder Fliran kennen? Und was bleibt zurück, wenn eine Stadt aus Glas zerbricht, so wie der Geist des Grauen Prinzen? Eine zerbrochene Stadt? Immerhin wird vermutet, dass der Ort, den man als „zerbrochene Stadt“ kennt, zumindest zum Teil in Darian liegt.
Der Graue Prinz wandelte, verzweifelt über den Verlust seiner Geliebten durch seinen Palast und fand hinter einer bis dahin ihm unbekannten Tür einen Brunnen. Als eine Träne von ihm ins Wasser fiel, erschien der Herr der Dschinnen, auf dessen Anraten sich der Prinz in einem See ertränkte, um in Poenas Garten zu gelangen – eine erstaunliche Parallele zu jenen, die man die Reisenden nennt. Auch sie wandeln suchend durch die Welt, ohne genau zu wissen, was genau sie suchen: Ihre Suche ist jedoch von Opfern und Qualen begleitet, bei der sie immer mehr zurücklassen, was sie an diese unsere Welt bindet: Zuerst Freunde und Familie, dann ihre Heimat, immer mehr von ihrem Besitz, bis sie schließlich am Ende ihrer Reise auf Poenas Weltenscheibe ihr Leben verlieren – oder ihrer Seele die Weiterreise ermöglichen, indem sie ihren Körper zurücklassen. Bei der Wunderquelle bei Burg Wachtstein in Tlamana berührten auch sie die Quelle. Selbst wenn ihr Leib tot zurückblieb, was geschah mit ihrem Geist? Eine weitere Parallele könnte bei Bruder Adrian gesehen werden. Er, der von Blindheit geschlagen war führte den Zug von Ceriden an, der das Tor der Unschuld suchte. Gemäß einer ceridischen Prophezeiung erlangte er erst am Tor das Augenlicht wieder. War nicht auch er wie ein Reisender oder der Graue Prinz? Er wanderte durch die Welt, ohne zu sehen was er suchte und erkannte sein Ziel erst, als er es erreicht hatte.
Den ersten beiden Ereignissen ist eine weitere Eigenschaft gemein: Das Wasser. Die Quelle bei Wachtstein war übersäht von Xurl-Referenzen, die Hüterin der Quelle ein nixenhaftes Wesen. Suchen die Reisenden den Übergang in ein anderes Dasein vorzugsweise über das Wasser?
Aber weiter: Es tauchten sieben Geschichten auf, in denen sieben Dschinnen gefangen waren. Ein jeder Trug eine Maske in einer eigenen Farbe: Schwarz, Rot, Grün, Blau, Gelb, Sandfarben und Weiß. Leider können die Farben im Moment noch nicht gedeutet werden. Die weiße Maske jedoch wurde vom letzten Dschinn, dem Grauen Prinzen selbst getragen. Er war in einen weiten grauen Mantel gehüllt und auch wenn dieser keine Schriftzeichen trug, so war die Ähnlichkeit mit den Wesen, die wir als Phiare kennen, erstaunlich. Eben jene Phiare, die Rätselsteller, Schauspieler und Spieler. Jede der Geschichten erwachte während der Tage in Zardasia und ergriff von Anwesenden Besitz, so dass sie die Geschichten nachspielten. Spiele, Rätsel, Zufälle? Erstaunlich ist jedoch, dass die Geschichtenerzähler, die während des Turniers anwesend waren, am Ende zusammen mit dem Grauen Prinzen verschwanden.
Die Erinnerung des Grauen Prinzen wurde gebannt in sieben Geschichten. Sie wurde verteilt, zerschlagen, zersplittert. Es gibt eine Interpretation einiger Passagen aus dem Epos Myardus, die wahrscheinlich nur wenigen bekannt ist. Hier wird der wahnsinnige Geist des Äon als zersplittert und zerschlagen beschrieben – und es sei gut so, denn wäre er Eins, dann würde er erkennen. Was er erkennen würde, das ist uns nicht bekannt und es kann nur vermutet werden. Allerdings sind auch hier gewisse Parallelen kaum zu verschweigen. Am Ende wurde auf jeden Fall der Geist des Prinzen wieder hergestellt und der Prinz verschwand, den Worten seiner Liebsten folgend. Was würde wohl geschehen, wenn der Geist des Äon wieder Eins wäre?
Wollen wir nun einen kleinen Ausflug in die Zahlenmystik wagen. Es tauchten immer wieder Wesenheiten auf, deren natürliche Heimat nicht unsere Sphäre ist. Meist werden diese Kreaturen als Dämonen bezeichnet und ob die Dschinnen von einer ähnlichen Art sind, bleibt zu ergründen. Bei der Beschwörung eben solcher Wesen treten immer wieder zwei Zahlen ins Licht: Sieben und Fünf. Diese mystischen Zahlen werden bei der Gestaltung der Beschwörungssymboliken und Kreise verwandt, aber oft auch in der Zahl der Anrufungen, der Zuordnung von Eigenschaften und ähnlichem. Die Sieben trat nur wieder in Zardasia bei der Zahl der Dschinnen auf. Wollen wir uns also der Fünf zuwenden.
So möchten wir doch auf etwas hinweisen, das vielleicht etwas weit hergeholt ist: nämlich auf einen Kinderreim, der in Sengenberg wohl so manchem Kind bekannt ist. Dieser Kinderreim trat zum ersten mal auf dem Gaerenhof für uns bewusst in Erscheinung. Dort trieben dämonische Wesenheiten ihr übles Spiel und schienen gewisse Ziele zu verfolgen. Besagter Kinderreim wurde des Öfteren von besessenen Dörflern rezitiert und was damit bezweckt werden sollte ist unbekannt. Eine Theorie besagt, dass die fünf Zeilen des Reims die Kreise Verdammnis darstellten, auf denen die Dämonen die Anwesenden in den Abgrund trieben. Und tatsächlich berichteten damals diverse Personen von Visionen, die man im Nachhinein als Verführungsversuche deuten kann. Seit den Geschehnissen in Sengenberg gab es übrigens immer wieder Momente und Ereignisse, die mit eben jenem Kinderreim in Verbindung bebracht werden konnten, wenn auch zum Teil nur sehr rudimentär. Aus diesem Grunde soll aber auch dieser Reim noch einmal dargelegt werden. Er ist doch nur noch Wenigen in Erinnerung und scheint doch mehr Bedeutung zu haben als man denken mag:

Eins – Erst gibst du deine Unschuld.
Zwei – Dann frisst du deinen Hass.
Drei – Dann gibst du deine Liebe her.
Vier – Verlierst der Sünden Spaß.
Fünf – Schließlich dein Gemüt vergeht, verlierest den Verstand.
Dein Betteln kein Gehör mehr findt und flehst um Todes Hand.“

Vielleicht ist die Querverbindung zu diesem Reim nur über die Zahlenmystik weit hergeholt, unserer Meinung nach ist die Verbindung aber nicht völlig abwegig. Als nächste ungerade Zahl folgt die Neun, die sich auch in den Texten findet. Denn stürzte nicht Creldinor in neun flammenden Strahlen zur Erde? Aber damit genug.
Hier noch ein Gedanke, der aber zugegebener Maßen etwas abschweift: auf dem Gaerenhof tauchten Dämonen auf, wohl zwei an der Zahl. Nach gängiger Meinung hätte das Unsichtbare diese Wesen tilgen müssen, was jedoch nicht geschah. Ebenso zwei (wenn auch andersartige) Dämonen traten beim Fund des Tores der Unschuld in Erscheinung. Auch hier zeigte sich die Macht des Unsichtbaren nicht, oder zumindest nicht offensichtlich. Es wurden schon Vermutungen geäußert, dass auch beim Fund des Tores eine Analogie zum Kinderreim hergestellt werden können, wenn dies wohl auch nur sehr theoretisch ist. Sicher ist allerdings, dass dort zumindest ein Teil der Personifikation der vier Temperamente auftrat, viel bewirkten diese dort allerdings nicht, kamen sie doch bald zu Tode. Diese geschah zum ersten Mal auf der heute so genannten Herzogenburg in der Nordmark, wo die Temperamente offen und in großer Zahl auftraten und wohl Teile des zersplitterten Geistes eines alten Magus darstellten. Auf die Analogie zu den oben erwähnten Passagen muss wohl nicht weiter hingewiesen werden. Übrigens trat damals trotz des Übermaßes an Magie das Unsichtbare erst ganz zum Ende hin Erscheinung und nahm dann auch nur den Magus mit sich, der durch das Zusammenfügen seines Geistes wieder zu Erkenntnis kam. Erstaunlich, diese Parallele. Zwei Wesen, die wohl aus Alter Zeit stammen waren verwirrt, ihr Geist war zerbrochen und verteilt. Beiden gelang es, ihren Geist wieder zusammenzusetzen und beide wurde kurz darauf von einer höheren Macht gerufen. Und um die Analogie zu komplettieren: Beide folgten dem Ruf freiwillig! Nun wissen wir vom Magus auf der Herzogenburg, dass der Rufende das Unsichtbare war, wohingegen der Graue Prinz von seiner Geliebten gerufen wurde. Handelt es sich vielleicht um die gleiche Macht?
Man könnte schon beinahe meinen, dass es das Ziel des Unsichtbaren ist, die Erkenntnis zu verhindern. Aber welche Erkenntnis? Das damals gefundene Siegel wird seither jedenfalls sicher verwahrt. Es wurde als Abbild des Geistes des Magus angesehen, steht wohl aber auch in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Tor der Unschuld. Die genauen Verbindungen sind aber schleierhaft. Man kann sogar darüber debattieren, ob nicht auch eine Form des Unsichtbaren am Tor der Unschuld auftauchte. Ein Reisender erkannte damals sich selbst, sein Ziel und seine Bestimmung und wurde zu etwas, das die Ceriden Amandatus nennen. Das Siegel, das er verwandte, hatte eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit zum Symbol des Jägers, welcher ja eine Form des Unsichtbaren ist. Ebenso hatte der Amandatus wohl die Macht, den oder die Dämonen zu zwingen oder sogar zu vernichten.
Um wieder nach Zardasia zurückzukehren: Auch hier trat das Unsichtbare nicht auf, obwohl das Maß der mystischen Ereignisse dieses wohl nicht abwegig hätte erscheinen lassen. Es werfen sich also zwei Fragen auf: Worin liegt die Motivation des Unsichtbaren, das offensichtlich zielstrebig ist und nur dann eingreift, wenn es seinen Zielen nicht dienlich ist? Und worin liegt der Unterschied zwischen einem Dämonen und einem Dschinnen? Letzten Endes sind beide Wesenheiten, deren natürliche Heimat nicht diese Sphäre ist. Sind den Dämonen, Dschinnen, vielleicht sogar die Phiare so grundverschieden, oder liegt ihre Natur enger beisammen, als man gemeinhin denken mag?
Eine weitere Passage aus der Geschichte des Grauen Prinzen erregte unsere Aufmerksamkeit: In seiner Ungeduld lies er von den Dschinnen den Garten Poenas in großer Eile durchsuchen, so daß ein Sturm von solcher Stärke entfacht wurde, daß dieser den Prinzen zurück in die Welt der Menschen warf. Dieser Sturz sorgte für die anschließende Verwirrung, er konnte sich an nichts mehr erinnern. Auf dem Gelehrtenconvent zu Grünwalden fanden sich merkwürdige Sphärenphänomene, welche vermutlich Überreste aus der Zeit der Umwälzung waren, jenem großen Ereignis von vor rund 700 Jahren, das Heligonia seine heutige Form gegeben hat. Überlebende (wenn man sie so nennen will) berichteten hiervon, daß mit einem Mal „oben unten, heißes kalt, blaues süß und grünes laut“ ward – eine totale Verwirrung und Verkehrung der Sinne, wie sie (in schwächerer Form) bei Sphärenübergängen zu beobachten sind (wir gehen davon aus, daß diese Verwirrungen die Reaktion des menschlichen Geistes sind, der nicht in der Lage ist, die neue, fremde Umgebung zu erfassen). Ist dem grauen Prinzen hier ähnliches wiederfahren? Oder ist der Sturm im Garten Poenas möglicherweise sogar eine poetische Beschreibung für die Ereignisse aus der Zeit der Umwälzung?
Nun, wir werden es nicht erfahren, denn die beiden uns bekannten Wesenheiten, die anscheinend massiv von diesem Effekt betroffen waren, wurden kurz nach ihrer Selbsterkenntnis unserem Zugriff entzogen und wir werden wohl nie erfahren, was genau sie wussten und erkannten. Vielleicht wurden sie genau wegen diesen Wissens „entfernt“.
Erstaunlich ist auch die Gestalt des Herrn der Dschinnen. Er scheint wenig Respekt vor den Vieren zu haben, denn sonst würde er nicht so dreist in Poenas Garten eindringen. Er erfüllt zwiespältige Wünsche, denn sonst würde er nicht eine Tote zu den Lebenden zurückbringen wollen. Aber sind diese beiden Eigenschaft – zusammen mit einer gehörigen Portion Macht – nicht auch die Dinge, die den Daimon der Ceriden auszeichnen? Und Verhalten sich nicht auch Personifikationen des Unsichtbaren ähnlich? Hier möchten wir an den Vertreter des Unsichtbaren erinnern, der auf dem Drei-Ulmenhof den Vieren gegenüber stand. Respekt vor Göttern sollte doch anders aussehen, oder nicht?

Es ist und bleibt bemerkenswert, wie sich einige Parallelen zwischen einem Weiler in Sengenberg, einer Burg in der Nordmark, dem Tor der Unschuld und einer Sammlung darianischer Geschichten darstellen. Die Fragen nach der Motivation des Unsichtbaren stellt hier einen Kernaspekt dar, doch unsere Theorien sich so spekulativ, dass wir davon absehen wollen, sie hier auszubreiten. Wie all das zu deuten ist bleibt dem geneigten Leser überlassen.
Letzten Endes ist alles ein großes Rätsel und es bleibt die Frage, die uns seit Jahren vorwärts treibt: „Was aber ist die Welt?“

Notatio zu „Experimente zu aktuellen Fragestellungen der Problematistik“ von S.I. Petasites & P.C. Calluna

Wie schon Wutzio & von Nigramsfall unbestritten erkannten, ist die Anordnung von Problemfeldern als Akkumulation globulärer Trianguli in tangentialen Quadranten eine bewiesene Tatsache. Die Formatio extraproblematischer Individuen mithilfe einer exakt definierten Versuchsanordnung und deren Descriptio durch die ehrwürdigen Professores S.I. Petasites & P.C. Calluna, beide Cambrück, ist also durchaus lobenswert und im Sinne der Scientia Problematistica amplifico. Jedoch muss man als aufgeweckter Observator der Materia einige Singularitates des Procedere cum grano salis anmerken.
So läßt die exceptive Verwendung von SLTs (Standard Landmann Thal) die Resultationes doch sehr inaequaliter ausfallen. Auch die vorgeschlagene Erweiterung der Materialia mit EBLs (Exceptionell begabter Lingonier) erscheint mir noch nicht satisfizierend genug, um eine Conclusio generalis aufstellen zu können. Zu diesem Zweck wären quidem noch weitere Experimentales mit mindestens einem OSB (Ostarischer Standardbeamter) und einem PDS (Preiswerter Darianischer Schmuggler) erforderlich. Dass dies von den Professores als „nicht notwendig“ [S. 3, Z.9] erachtet wird, ist adaequaten Magistern schlichtweg incomprehensibilit. Der von beiden Autores sogar zitierte „Kleyne Folianthus der Versuchskunde“ unseres geschätzten Lerchtenbrecht beschreibt derartig obsolete Procedere auf den Seiten 5-79ff. [Ausgabe 72 v.A.III., 17. Auflage].
Weiters tun sich auch im Procedere experimentalis sequens einige Ungereimtheiten auf. So soll sich der Versuchsaufbau in einem Cambrücker Keller der Ebene 10 abgespielt haben. Aufmerksame Leser des Boten wissen aber, dass aufgrund extraordinärer Ereignisse im Jahre 29 n.A.III. die Ebenen 9-11 der universitären Kelleranlagen wegen Einsturzgefahr durch Thaler Regierungsbehörden gesperrt wurden und seitdem nicht mehr betreten werden dürfen. Ebenso obscuriter ist der Einsatz eines durch Wasserkraft betriebenen Spulen-Torquerators in jenem Keller. Jedermann weiß, dass zum Tractieren von 3 SLTs mit Problemationes der Klasse 5 zwar tatsächlich ein Torquerator der Größe von 70 auf 50 auf 20 Ellen notwendig ist, jener jedoch zum Betrieb ein Gewässer mit einer Fließgeschwindigkeit von mindestens der Klasse 7 benötigt. Da aber durch die Ebene 10 weder der Brazach noch ein anderer unterirdischer Fluß ähnlichen Ausmaßes fluktuiert, geschweige denn aus den höheren Ebenen ein Wasserfall descendiert [Baupläne der Universität zu Cambrück, Fürstliche Thaler Hofbibliothek, Regal IV/8b], fragt man sich: Cui bono??
Ceterum censeo: Dass nach 5 Stunden Fixierung auch ohne Tractierung durch Senticeta semi-vivens akkumulierte Problemfelder auftauchen, ist communiter bekannt und bedarf wahrlich keiner neuen Beweisführung. Bedenklich dagegen der causalierte Exitus der SLTs, was die Abgängigkeit verschiedener Materialiae in den letzten 3 Jahren rund um Cambrück expliziert und auf das Verschwinden weiterer Personae nongratae in diversen Kellern ein ganz anderes Lux wirft.
Letztendlich bleibt die Quaestio: Wurde dieses Procedere experimentalis wirklich um der Scientia willen durchgeführt, oder – wie im letzten Absatz frech postuliert – wollte man erhofften Maecenae eine „Sensatio extremadura“ unterbreiten, um weitere finanzielle Mittel ex quibus zu lockern?
In der derzeitigen Cambrücker Lage sicher eine verständliche agio, aus der Sicht der studiosi aber eine exorbitante Profusio von Studiengebühren und öffentlichen Mitteln, welche man pro bono scientiae nicht einreißen lassen sollte!

Verzeichnis der Schriftrollen und Dokumente aus Tenogien

Das Landungskommando der „Brassach“, das auf Erkundung ins Landesinnere von Tenogien geschickt wurde, verbrachte dort drei Tage in einem Dorf , dessen Bewohner freundlich gesonnen waren. Mit Genehmigung der Tochter des verstorbenen Ortsvorstehers wurde eine große Holzkiste untersucht und mit den notwendigen Vorsichtsmaßnahmen geöffnet. Sie hatte einem Alchemisten gehört, der auch als Heiler des Dorfes tätig gewesen war. Er hatte, bis ihn der Tod ereilte, etwas Abseits des Dorfes gelebt, verfügte aber über den Respekt der Bevölkerung. Aufgrund seiner Bildung scheint er aus einer anderen Gegend des Landes gekommen zu sein, hatte sich aber dann in dem Dorf nieder gelassen. Nähere Informationen über seine Person konnten allerdings nicht erfahren werden.

Die Kiste enthielt neben zwei Tränken (von den Dorfbewohnern als „Eisenhaut“ bezeichnet) und einer unbekannten, getrockneten Pflanze (siehe Bericht „Die Riesenspinnen von Tenogien“) zahlreiche Schriftrollen und Dokumente.
Hier folgt nun eine Aufstellung der gefundenen Schriftstücke samt einer kurzen Inhaltsangabe. Um Abschriften der Texte kann mit dem Nachweis des berechtigten Interesses im Herzöglich-Ostarischen Naturkundemuseum zu Ankur bei Professor Riemold von Bieberau nachgesucht werden.

Texte zur Landeskunde
des Königreiches Lorungan

– Verbrieftes Gastrecht des Königshauses Lorungan
Aufstellung über Rechte und Pflichten von Diplomaten und Gesandten im Königreich Lorungan.
– Zertifikation
Ernennungsurkunde eines „Sho ran Sha gal“ zum Großkonsul Lorungans
– Tenogische Chroniken
Abhandlung über die Provinz Tenogien, seine Geschichte, Städte und Einwohner
– Gisley, die Perle des Westens
Reisebericht über eine Stadt namens Gisley
– Die Insel Kyrania
Abhandlung über das Inselreich Kyrania
– Aus den Aufzeichnungen von Alarik dem Wanderer
Abhandlung über Land und Leute von Söderland
– Die Legende von Lothlorien – dem Land des Silbers, der Seide und des Weines
Abhandlung über Geschichte, Land und Leute einer Provinz Lorungans
– Der Adel der Eisenlande
Abhandlung über die Adelsstruktur und das diplomatische Verhalten in den Eisenlanden
– Die Gesetze der Eisernen Provinz
Gesetze, Gerichtsordnung und Strafenkatalog
– Die Provinz der Fünf Winde
Abhandlung über die Provinz und den dortigen Wall
– Der Wall und 5 einzelne Botenberichte
Abhandlung und Nachrichten über die Errichtung des tenogischen Walls und seiner Geschichte

Religiöse Schriften

– Das Große Buch der Götter
Aufstellung sämtlicher Götter Lorungans und einer Umgebung
– Die alten Geschichten des Wanderers
Eine religiöse Schrift über den Kampf der Götter
– Klerus des Königreiches
Aufstellung über Stand und Anrede des lorunganischen Klerus
– Die Paladine
Abhandlung über die Paladine Lorungans
– Die Chroniken der Bruderschaft um St. Azrael auf Burg Finstergrün
Geschichte des Ordens und seine Ordensregeln
– Der Innere Kreis
Regeln einer Ratssitzung des Ordens „Pilger des Zorns“
– Gründungsgeschichte der „Pilger des Zorns“
– Der Orden Dracon Atakanis
Geschichte und Ordensregeln
– Thoron von Löwenfels oder Der Drache von Tsakelchen
Biografie und Bericht über den Kampf mit einem Drachen
– Von der Eröffnung des Rahjatempels und was und dabei kund getan
Bericht aus einem Ort namens Shenilo
– Raynor
Prophezeiung einer Bruderschaft des Raynor
– Der Tempelrufer und zwei einzelne Botenberichte
Neuigkeitenblätter

Magische Schriften

– Theoretische Magica
Grundlagenwerk über die Herkunft der Magica mit kleinem Wörterbuch
– Von der Natur der Magie
Über die Quelle aller Magie
– Von den Madaphasen
Mitschrift zur Vorlesung „Sphärische Regularien“
– Über die Beziehungsrituale
Abhandlung über Liebesrituale
– Die Allianz Arkaner Akademien (AAA)
Gründung der Akademie und Vorlesungsverzeichnis
– Stab der Drakis
Geschichte eines Artefaktes von Aterino Netros

Schriften über Heilung und Kräuterkunde

– Das Buch der Kräuter, Pflanzen, Tinkturen, Salben und der Elixiere
Kräuter und ihre Anwendung
– Kräuter und ihre Konservierung
Methodik und kleine Kräuterkunde
– Wissen eines Medicus
Abhandlung über die Behandlung von Wunden

Diverse Schriften

– Schlachttaktiken
Abhandlung über die Kriegskunst
– Die Schöpfungsgeschichte aus Sicht der Orks
– Über die Echsenmenschen
Kurze Abhandlung über das Volk der Echsen in Lorungan
– Grundlagen der elfischen Sprache – Isdira
Kleine Wortkunde

Literarische Schriften

– „Traumwelt“ von Aterino Netros
– „Der Schuster von Svafdun (und warum er keine Schuhe anhat)“ von Peter Diehn
– „Sinn des Lebens“ von Elb Jagi
– „Schwert und Mieder“, Lorunganisches Nachrichtenblatt, Ausgabe 34
– „Schwert und Mieder“, Lorunganisches Nachrichtenblatt, Ausgabe 35
– 5 einzelne Gedichte

Die Riesenspinnen von Tenogien

Werte Leserschaft, wenn Ihr glaubt, die achtbeinigen Geschöpfe, die in Euren Kellerecken herumkrabbeln, wären gar erschrecklich und zum Fürchten, so vernehmt, was dem tapferen Landungstrupp der „Brassach“ unter dem umsichtigen Kommando des 1. Leutnants Thure Teerbrenner im Lande Tenogien widerfahren ist.

Zuerst sei Euch ein Abschnitt aus einem Schriftstück zitiert, welches wir vor Orte in einer Holzkiste fanden. Es handelt von der Flora und Fauna jener Region:
„Tenogien ist das Gebiet der großen Wälder. Sie beginnen direkt am Meer und erklimmen die Hänge des Regengebirges. Durchzogen wird das Land von zahlreichen großen und kleinen Läufen trüben Wassers. Hier ist die Gefahr allgegenwärtig. Du bemerkst den Jaguar wohl, es ist nur eine Frage, ob bevor oder nachdem er seine Fänge in deinen Nacken geschlagen hat. In diesem Land kann des Menschen Auge die größten Bäume erblicken, gewiss an die 100 Schritt hoch. Auf ihnen lebt allerlei sonderbares Getier. Schlangen, länger als sieben Männer, winden sich um ihre Äste. Bunt gefiederte Vögel kann man hier finden. Einige lassen sich einfangen, zähmen und sogar des Sprechens kundig machen. Selbst Pflanzen wachsen hier auf den Bäumen, die eine hat durch lange Ranken Verbindung zur Erde, die andere wiederum hängt ihre Wurzeln einfach in die Luft, auf dass Atakan [Anm.: die örtliche Gottheit] sie nähren und am Leben erhalten mag. Unter diesem Blätterdach ist es immer heiß und schwül, es regnet oft, manchmal monatelang fast ohne Unterbrechung.“

Die meisten dieser Angaben fanden wir bestätigt, wenngleich wir auch den Göttern sei Dank von vielen erwähnten Gefahren noch verschont blieben. So trafen wir auf keinen Jaguar, der der Beschreibung nach wohl einer kleineren Brazachkatze ähnelt.
Wir bewegten uns einen der genannten trüben Wasser flussaufwärts, durch dichten, wildwuchernden Wald, so wie ihn auch die Schilderungen von Yagibur wiedergeben. Einzelne Bäume am Weg mögen wohl an die 80 Schritt hoch gewesen sein, aber es ist nicht auszuschließen, dass weiter in den Hügeln noch größere zu finden sind.
Zahlreiche Vögel hörten wir wohl im dichten Blätterdach, jedoch bekamen wir keine zu Gesicht.

Je weiter wir ins Landesinnere vordrangen, umso schwüler und stickiger wurde die Luft, schließlich regte sich kein Windhauch mehr. Auch die häufigen Regenschauer machten uns sehr zu schaffen: Gewand und Ausrüstung erhielten kaum Gelegenheit zum Trocknen. Kein Schauer brachte Erfrischung, Augenblicke später schien uns die Luft drückender als zuvor. Unter diesen Bedingungen besteht für jede Expedition die schlimmste Gefahr, dass Schimmel und Rost größten Schaden anrichten. Zum Glück waren für die wenigen Tage unserer Erkundung die Vorräte ausreichend verpackt.

Doch nun weiter in der Beschreibung:
„Die vorherrschende Vegetation ist dem warmen Klima entsprechend dichter Urwald, welcher immer wieder von offenem Plantagenland unterbrochen wird. Hier wachsen die verschiedensten Edelhölzer, Orchideen und Schlingpflanzen. Eine echte botanische Rarität ist der Tenogische Silberkelch, eine fleischfressende Pflanze, die nur in einem versteckten Tal südlich von der Kraterstadt vorkommt.“

Obwohl wir mehrere Tage in der Nähe eines Dorfes lagerten, konnten wir außer kleinen Gemüsegärten keine größeren Pflanzungen oder kultivierte Flächen entdecken. Die erwähnten Schling-pflanzen – eine Art heimischer Efeu – verursachten jedoch so manche Aufregung: Wer sich ihnen zu sehr näherte, wurde unweigerlich bereits durch leichte Berührung umwickelt und in kürzester Zeit nahezu völlig überwuchert. Damit nicht genug, riefen die Blätter auch noch heftige Reizungen der Haut hervor. Je heftiger sich das Opfer dabei zur Wehr setzte, umso mehr verstrickte es sich in den Ranken und drohte zu ersticken. Im letzten Augenblick erreichte uns Hilfe durch die Dorfbewohner, welche geheimnisvolle Steine brachten. In diesen war angeblich Sonnenlicht gespeichert, welches in der Pflanze einen Widerwillen hervorrief, so dass sie von ihrem Opfer abließ.

Einige Teilnehmer unserer Expedition, die sich vom Lager aus weiter in den Wald gewagt hatten, berichteten von einer über 10 Ellen langen Schlange, die sich aufgerichtet habe und der Sprache mächtig gewesen sei. Ich habe das Wesen selbst nicht gesehen, kann mir dieses Phänomen aber nur mit uns unbekannten Lauten erklären, die das Tier in der Erregung von sich gab. Da uns aber in diesem Zusammenhang auch ein Volk von intelligenten Echsenwesen begegnete, möchte ich nicht ausschließen, dass die Männer getreulich die Wahrheit berichten. Dieses Volk sei hier jedoch nur am Rande erwähnt, eine ausführlichere Beschreibung jener Begegnung findet der interessierte Leser im Logbuch der „Brassach“ und dem Schriftstück „Über die Echsenmenschen, Universität zu Nok’maar“.

Was Edelhölzer betrifft, widerfuhr uns ein Kuriosum, bei dem es mir schwer fällt, die Sachlage nüchtern zu betrachten: So wurden wir von einem über 6 Ellen großen Baum angegriffen, der mit seinen gewaltigen Ästen heftige Schläge austeilte und – man kann es kaum glauben – sich mit langsamen Wurzelschritten vorwärtsbewegte. Mag man diese Erscheinung auch auf die erlittenen Entbehrungen und die drückende Hitze zurückführen, so wird doch jeder Teilnehmer des Landungs-kommandos aufrecht beschwören, dass er diesen „Baum“ tatsächlich gesehen hat. Nicht zuletzt erhielt Seesoldat Tonio Eichberger, ein gewandter und tapferer Mann, von einem der Äste einen heftigen Kopftreffer. Die einzige, für uns ersichtliche Methode, diese angriffslustige Pflanze zu besiegen, bestand darin, sie in Brand zu setzen. Die bereits zu diesem Zeitpunkt fortdauernden Kampf-handlungen verhinderten leider eine genauere Untersuchung dieses Wesens. Seesoldaten berichteten auch, dass sie im Wald von weiteren Bäumen attackiert worden wären, diese hätten sich jedoch nicht von der Stelle bewegt.

Nun sagt die Beschreibung Tenogiens weiter:
„Doch nicht nur die Pflanzenwelt, auch die Tierwelt des Dschungels ist gefährlich. Raubkatzen machen die Wälder unsicher, doch die größte Gefahr geht von kleinen, giftigen Insekten, Spinnen und Schlangen aus. Die gefährlichste von ihnen ist die Blattkopfotter. Nur etwa 60 cm lang, produziert sie doch ein tödliches Gift. Ihr Biss schmerzt kaum, und die Symptome der Vergiftung setzen erst am nächsten Tage ein, doch dann ist es meist schon zu spät. In den Flussläufen lebt der Riesenkaiman, der wegen seiner messerscharfen Zähne bekannt ist, alles, was sich einem seiner Tümpel nähert, ist ein potentielles Opfer.“

Die heimtückischste Gefahr waren in der Tat die Insekten, von denen es zahllose in den verschiedensten Arten gab. Neben den unerträglichen Moskitos setzte uns vor allem eines zu: Giftspinnen. Die erste und auch tragischste Begegnung mit ihnen hatten wir bereits am zweiten Tag der Landung. So brach Seesoldat Scherenschleifer auf dem Marsch urplötzlich zusammen und starb wenige Augenblicke darauf. Der Geistesgegenwart Korporal Meinrads ist es zu verdanken, dass wir die Todesursache rasch fanden: Eine hellgrüne, handtellergroße Spinne. Wir stimmten alle darin überein, sie nach unserem tapferen Kameraden „Scherenschleifer-Spinne“ zu benennen.

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Scherenschleifer-Spinne, hellgrün, handtellergroß, tödlicher Biss!

Gewarnt und mit größter Vorsicht bewegten wir uns weiter, erreichten ein Dorf am Waldrand und schlugen dort unser Lager auf. Aus diesem Wald kamen, wie bereits oben erwähnt, die seltsamsten Geschöpfe – und weitere Spinnen, von denen jede die vorige an Größe übertraf. So wurden wir bald durch lautes Gezisch aufgeschreckt und sahen mit Entsetzen, wie sich ein gewaltiges, 2 Fuß messendes Exemplar Zugang zum Lager verschaffte. Das zischende Geräusch entstand durch das Versprühen giftiger Säure, die auf der Haut der Opfer brennende, juckende Flecken hinterließ. Die Reichweite des Giftstrahls belief sich dabei auf etwa 10 Ellen. Erste Maßnahmen wie Abwaschen und kühlende Umschläge halfen über den Schreck hinweg, und alle waren erleichtert, dass der Angriff keine schwereren Folgen mit sich brachte. Da wir aber spätere Nebenwirkungen nicht ausschließen konnten, wurde die Spinne vorsorglich erlegt und untersucht. Sie erhielt zu Ehren unseres abwesenden Schiffsarztes Doktor Rolo Horatio Immikris Schröpfenbeck den Namen „Schröpfenbeck-Spinne“.

spinne_gelbschwarz
Schröpfenbeck-Spinne, gelb-schwarz, Durchmesser 2 Fuß, giftig!

Wenig später schreckte uns wieder verdächtiges Zischen auf. Ein Blick über die Lagerbarrikaden zeigte uns ein Spinnentier mit einem Durchmesser von fast 2 Ellen, das sich uns angriffslustig näherte. Die Seesoldaten ergriffen die Pavesen und konnten sich so auf das Gift sprühenden Untier zu bewegen, das jedoch eine erstaunliche Schnelligkeit bewies. Nach kurzem, heftigem Kampf konnte die Spinne erlegt werden. Die Seesoldaten stellten den Antrag, das Biest nach ausnehmend ausländischen Seeleuten zu benennen, also erhielt das Tier den Namen „Marquis-Spinne“.

spinne_rotMarquis-Spinne, leuchtend rot, Durchmesser 1,8 Ellen, giftig!

Am späten Nachmittag hörten wir wiederum das schon so bekannte „pst-pst-pst“ und griffen zu den Waffen, jedoch ließen uns Lautstärke und Tiefe des Zischens das Blut in den Adern gefrieren: Über die Wiese bewegte sich in unglaublicher Schnelligkeit eine schwarze Riesenspinne mit einem geschätzten Durchmesser von über zweieinhalb Ellen. Die Pavesen wurden in Stellung gebracht, Pfeile auf die Sehnen gelegt. Doch während das Tier seinen Giftangriff auf die Pavesen konzentrierte, umging Seesoldat Eichberger die Spinne und griff sie mit lautem Kampfgeschrei im Rücken an. Mit seinem ganzen Körpergewicht, noch verstärkt durch einen Schuppenpanzer, drückte er das Tier zu Boden und schlug wild darauf ein. Nach wenigen Augenblicken war die Gefahr vorüber, und Eichberger erntete ob seines Mutes viel Lob. Leider war es nicht möglich, die Spinne zu zeichnen, da sie als solche nicht mehr zu erkennen war.

Nun soll jedoch nicht der Eindruck entstehen, Tenogien sei nur von gefährlichen Wesen bevölkert, auch so manche Schönheit fiel uns noch ins Auge: So landete auf meinem Zeichenbrett ein mir unbekannter Schmetterling mit gelb-brauner Maserung. Der anmutige Falter ließ sich ausgiebig zeichnen und brachte auch meinem Schreibzeug erstaunliches Interesse entgegen. Auch Leutnant Hildegard von Oggnitz bewunderte die schöne Musterung der Flügel, so dass wir das Tier zu Ehren der Herzogin „Walluma-Falter“ nannten.

walluma_falter_swWalluma-Falter, gelb-braune Musterung

Außerdem fand ich auch ein harmloses Spinnentier, dass sich in meiner Kleidung verfing. Das winzige Tierchen war kaum größer als eine Linse und äußerst zutraulich. Mithilfe seines Fadens hangelte es sich von einem Finger zum nächsten und zeigte auch sonst erstaunliche akrobatische Einlagen, wie man sie nur bei geübten Gauklern zu sehen bekommt. Ich benannte sie deshalb nach einem in LaSogaz recht bekannten Jongleur namens Taitschi.

spinne_winzigTaitschi-Spinne, sehr zutraulich, Originalgröße!

Nicht aus Tenogien stammte ein Haustier, dass ich bei einer reisenden Dame entdeckte. Ich beschreibe es dennoch, da es den heligonischen Wüstenechsen sehr ähnlich ist. Es handelt sich um einen etwa 1 Fuß langen Salamander von orange-blauer Färbung. Das Tier stammte aus dem Reich Ostrika, welches dem Inselreich Xanteria zugehört. Die Dame erzählte mir, dass sich ihr Haustier von Insekten, Obst und Gemüse ernähre, also eine etwas reichhaltigere Nahrung als unsere Wüstenechsen bevorzugt. Der Salamander sei drei Jahre alt, könne aber ein Alter von 12 Jahren erreichen. Er häutet sich jedes halbe Jahr und wird dabei immer heller. So läßt sich auch das Alter recht gut bestimmen. In Ostrika ist es nicht ungewöhnlich, sich solche Echsen als Haustiere zu halten, da sie das Ungeziefer im Haus bekämpfen.

salamander_swOstrika-Salamander, 3 Jahre alt, blau-orange Färbung

Am Ende meiner Ausführungen bin ich nun noch auf die Kenntnisse meiner gelehrten Leserschaft angewiesen. So fanden wir in der anfangs erwähnten Holzkiste auch eine getrocknete Pflanze, augenscheinlich einen Blütenstand. Die Blüte ist etwa walnussgroß und sitzt auf einem blattlosen Stil. Die Blütenblätter schmiegen sich wie die harten Schuppen einer Ananas aneinander, ihre Färbung ist innen tiefrot, außen gelb mit winzigen Härchen. Wir gehen davon aus, dass es mit dieser Pflanze eine besondere Bewandtnis hat.

pflanzen_sw

Sie befindet sich – ebenso wie die originalen Zeichnungen und Proben – im Herzöglich-Ostarischen Naturkundemuseum zu Ankur unter der Obhut von Professor Riemold von Bieberau und können dort eingesehen werden.

Experimente zu aktuellen Fragestellungen der Problematistik

I. Akkumulation kongruenter Problemationes führt zu Bildung von firmierten Problemfeldern

S.I. Petasites & P.C. Calluna, Fakultät für Philosophie, Universitas zu Cambrück

Introductio
Wie schon Meierlein et al. (15 v. A.III.) postulierte, ist die Problematio generalis ein zur augenscheinlichen Opisto-Pruzzifikanz aequivalentes Konstrukt im Sinne eines Iocus dolorosus. Dies entspricht im wesenstlichen der Allgmeinen Akkumulationstheorie, welche von Bilharzius (124 v. A. III) in gekonnt ablativer Rekonstruktion des Terminus technicus mirabilis aufgestellt wurde. Nicht einmal eine Hektade später kamen Wutzio & von Nigramsfall (30 v. A. III.) auf die kongeniale Weise von Problematisti experimentales sacramenti auf die Lösung der Fragestellung: Die Problemationes sind in Problemfeldern organisiert, welche sich parallel zur Achse der Ebene der Vertiefung eines Ellipsoid, welches sich zentral zum Perihel der Umlaufbahn eines globulären Triangulums mit tangentialen Quadranten verschiebt, verhalten. In Unserer Arbeit nun wollen wir der geneigten Leserschaft anhand einer durchschnittlichen Versuchsperson, dem SLT (Standard Landmann aus Thal nach der Definition von Lerchtenbrecht, 220 v. A.III). zeigen, wie sich solch ein Problemfeld bildet und was dagegen zu tun sei.

Materialia et Procedere Experimentalis
Als Versuchspersonen dienten die zertifizierten SLTs Hans, Franz und Hubert aus Nord-Zentral-Anthan. Der Versuchsaufbau wurde in einem abgeschotteten schallverminderten tiefen Keller Ebene 10 geleistet. Problemationes der Klasse 5 stammten von Abd el Sumi und Söhne, Al Safani, Darian. Der Akkumulator (Eigenbau) wurde wie bereits zuvor beschrieben (Calluna & Petasites, 25 n.A.III.) konfiguriert. Der universale Spulen-Torquerator maß 70 auf 50 auf 20 Ellen und wurde über Wasserkraft betrieben. Die Experimentatoren aßen kalten Braten von Hirsch (Anthaner Wälder) und Weizengrütze (Poenasenke, Güldental) und tranken Kräutertee aus örtlicher Manufaktur. Experimentatoren-mäntel stammten von Am Armi (Betis).

Resultationes et Disputatio
Nach Fixierung der Versuchspersonen und Zuführung eines Hara harpax, von Locustae infortunata und schließlich dem Traktieren mit Senticeta semi-viva wurde der Akkumulator aktiviert. Schon nach fünf Stunden konnte das erste firmierte Problemfeld gemessen werden. Nach sieben Stunden Versuchsdauer wurde ein Corpusculum consceleratum als kongruente Initiativ-Ingredienz appliziert, was zur Ausbildung von gleich drei detektierbaren Problemfeldern der Stärke sieben auf der Aucontraire-Skala (Aucontraire, 4 n.A.III.) führte. Dies beweist schliesslich das zu beweisende Indicium demonstrandum in beeindruckender Weise, quod erat demonstrandum! Exitus! Eine Optimierung des Versuchsaufbaus könnte natürlich über die Verwendung von EbL (Exceptionell begabte Ligonier nach der Definition von Lerchtenbrecht, 220 v. A.III) bewerkstelligt werden, ist jedoch nach Meinung der Autores nicht notwendig. Die Entstehung einer Jörgensen-Kurve (Jörgensen, 1 V.A.III) impliziert schließlich eine unkoventionelle Artheria sclerosa am apicalen Ende der Problematio distincta nervosus thalensis. Unser Modell sieht demzufolge folgendermassen aus: Die limnische Evaporatio am Emaransee sorgt für eine Inversions-wetterlage, die zur Anhäufung von Problemationes kongruentes in Süd-Sedomee führt. Ausgedehnte firmierte Problemfelder in Zentraldrachenhain sind die Folge und werden noch für mehrere Dekaden nur als Cistellula monetalis exterminiert werden können. Das ist – man sehe sich vor – eine Sensatio extremadura. Wir sind der Meinung in ein paar Jahrzehnten, bei ausreichender Finanzierung einen außergewöhnlichen Erfolg bei der Heilung der Pustelplag und des Dreckschwartelodems leisten zu können.

Literatura

Aucontraire, J.-P.: Eine normierte Vereinheitlichung meßbarer Pänomene am Beispiel der Räuberei in Nord-Ostarien. Scriptura Problematia tlamanensis Band 6, S. 37 – 199. Tabruk, 4 n.A.III..

Bilharzius, A. M.: Allgmeine Akkumulationstheorie – ein Paradigmus unserer Zeit. Ankur,
124 v. A. III..

Calluna, P.C. & S.I. Petasites: Die Akkumulation der Problemationes excellentes führt zu ungewöhnlichen Naturphänomenen in der Zentralostarischen Tiefebene. Problematistisches Journal Tagil 234, S. 1-4. Tairngire, 25 n.A.III..

Jörgensen, J.: Problemverteilungslehre – die Lehre von der Verteilung von Problemen. Jolberg, 1 V.A.III..

Lerchtenbrecht, T.B.: Kleyner Folianthus der Versuchskunde. Escandra, 220 v. A.III..

Meierlein, K.D.W; A.B.C. Diestelbrink, S.I. Petasites, N.N. Distinctious, A. Uqtiuq, I. von Thal & J.J. Megaplaque: Die Problematio generalis ist ein zur augenscheinlichen Opisto-Pruzzifikanz aequivalentes Konstrukt im Sinne eines Iocus dolorosus. Physikalische und weltenschalenkundliche Problematistik 21, S.1123-1150, Betis, 15v. A.III..

Wutzio, J.F & U. von Nigramsfall: Die Geometrie von Problemfeldern. In Problematistik Heute, Herausgeber H. Nietnagel & F. ibn Machmud, Darwena, 30 v. A. III..

Auf den Spuren des hl. Aspitanius,

während der ersten beiden Poenamonde 30 n.A. III

Nach eingehenden Vorbereitungen in der Bibliothek brachen Magister Londae, Magister Arwed sowie dessen Lehrling Ealdor nach Betis auf, um sich dort mit Magistra Tiziana di Rosa und deren Begleiter Felice an der Academia der Schönen Künste zu treffen.
Im Zuge unserer Erkundigungen im Vorfeld hatten wir auch über Magistra Mira von den Schwestern des Saarkaschreins bei Burg Talwacht erfahren, daß es dort wohl vor rund 100 Jahren einen Zwischenfall mit einem ceridischen Missionar gegeben hatte. Für eine Unterredung mit den dort lebenden Schwestern gab uns Magistra Mira ein entsprechendes Schreiben mit.
Unser Weg zu unserem ersten Anhaltspunkt, führte uns am Bannkreuzlerkloster Murbach vorbei; Magistra Tiziana unterhielt sich mit den dortigen Ceriden, jedoch besaßen sie weder Informationen über einen frühen Ceriden noch frühceridische Gegenstände, die aus der Zeit von Hilarius stammen könnten.
Als wir schließlich den Saarkahain bei den Mauerresten von Burg Talwacht erreichten, wurden wir von einer der Saarkani begrüßt. Nachdem wir uns vorgestellt und das Schreiben von Magistra Mira ausgehändigt hatten, erhielten wir freundlich Auskunft. Die Geschichte des durchreisenden Ceriden war ihr entfernt bekannt; genaue Auskunft könnten wir aber von der ältesten der im Schrein ansässigen Saarkani erhalten. Diese würde sich aber im Moment in Seranhest bei den Festivitäten anläßlich der Minenöffnung aufhalten.
Also führte uns unsere Reise weiter nach Seranhest. Unser Weg führteuns in die Nähe der Niemandsschlucht – die örtlichen Legenden besagen, daß sich am Grunde der Schlucht eine Geisterstadt, regiert von einem Geisterkönig befände; niemand, der die Schlucht hinuntergeklettert wäre, sei je zurückgekommen.
Nachdem wir in Seranhest ein Quartier bezogen hatten, inspizierte Tiziana die Stadt; wir fanden jedoch weder alte ceridische Artefakte noch sonstige Spuren von Aspitanius. Am nächsten Morgen sollte ein großes Saarka-Ritual stattfinden, wo wir hofften, die Tochter der Saarka aus Talwacht anzutreffen. Das Ritual sollte mit einem Gottesdienst beginnen, gefolgt von einem Mysterienspiel.
Eine große Menschenmenge hatte sich zu dem Spektakel eingefunden. Umso größer war die Unruhe, als das Ritual auch eine halbe Stunde nach der angekündigten Zeit noch immer nicht begonnen hatte. Mit knapp einer Stunde Verspätung begann das Ritual, gefolgt von dem Schauspiel.
Nun trafen wir auch endlich die von uns gesuchte Saarkani an. Sie erzählte uns, daß sie selbst die Geschichte von ihrer Vorgängerin erfahren hatte – diese mußte sie wohl selbst erlebt haben. Aspitanius sei eines Tages an ihrem Schrein
aufgetaucht. Dabei hatte er eine große Steinplatte auf einem Esel. Außerdem trug er ein Kreuz um den Hals, und mehrere Bücher, die er mit sich führte, waren ebenfalls mit dem Ceridenkreuz verziert. Aspitanius versuchte, die Saarkani zu bekehren.
Schließlich zog er vier Steinplatten, die die ogedischen Göttersymbole trugen, hervor – er bezeichnete sie als sein privates Eigentum. Letztlich wurde es den Schwestern zuviel und sie verjagten ihn – die Steinplatten nahmen sie ihm ab und legten sie in ihren Schrein. Aspitanius zog nach Osten weiter. Die Platte, die Aspitanius auf seinem Esel trug, wurde wie folgt beschrieben: Sie war groß, aus dunklem Stein; auf ihr war das Ceridenkreuz aufgemalt, außerdem stand auf ihr ein Text geschrieben. Wir gingen bereits zu diesem Zeitpunkt davon aus, daß es sich hierbei um den jetzigen Grabstein von Aspitanius handeln mußte.
Wir beschlossen, den Versuch der Rekonstruktion von Aspitanius‘ Reiseweg zu unternehmen. Dazu reisten wir zurück nach Talwacht; in jedem Dorf unterwegs fragten wir die älteren Dorfbewohner, ob Geschichten über einen wundersamen Mann, der eine Steinplatte auf einem Esel transportierte, aus der entsprechenden Zeit bekannt sei. In mehreren Dörfern erinnerten sich Einwohner an eine solche Erzählung – der Wanderer wirkte verwirrt und nicht ganz bei sich. Die Erzählungen ließen sich alle auf eine Zeit datieren, kurz bevor Hilarius bekannt wurde. Eine weitere Geschichte berichtete davon, daß Aspitanius in einer Höhle im Schlangenkamm von einem Erdrutsch verschüttet wurde; in dieser aussichtslosen Situation hatte er ein helles Licht gesehen und die Stimme des Einen gehört, der ihn errettete.
Am Saarkaschrein angekommen, versuchten wir die Spur zu verfolgen. In vielen Dörfern fanden wir nichts, so daß wir davon ausgingen, daß Aspitanius das Land nicht systematisch bereist hatte, sondern nur eine Strecke entlanggezogen war. Der Weg führte vom Saarkahain parallel zum Parimawald bis zu dem Wald nördlich von Seranhest; dort bog die Spur in den Wald ein, führte durch Seranhest durch, um schließlich – parallel zur Grenze des Schlangenkamms – direkt nach Gregorsruh zu führen.
In Gregorsruh sahen wir uns schließlich das Grab aus der Nähe an. Nach der Art der Schrift vermuten Tiziana und Arwed, daß der Text vor etwas mehr als 100 Jahren verfaßt wurde – also zu Lebzeiten von Aspitanius.
In der Nähe des Grabes trafen wir Sabrizius, den Abt des dortigen Ceridenklosters an. Er berichtete uns von der Geschichte, wie Aspitanius hier beerdigt wurde: Ein Unbekannter, der bereits den Glauben an den Einen angenommen hatte, wurde auf seiner Reise an diesem Ort erschlagen aufgefunden. Das einzige, was er noch bei sich hatte, war die Steinplatte, die man dem Unbekannten kurzer-hand als Grabstein setzte.
Der Abt hatte diesen Ort schon immer gern gemocht und sich hierher zu Gebeten oder zum Nachdenken zurückgezogen. Als er vor dem großen Ceridenkonvent wieder einmal hier saß, sei er plötzlich von großem inneren Frieden erfüllt worden; eine Stimme sprach zu ihm: „Sei ohne Furcht, denn ich bin der Eine, dem Du Dein Leben geweiht hast. Gehe hin zur Stadt der Erleuchteten und trage Sorge, daß der Ort der Erkenntnis allen Erkenntnis bringe.“ Für ihn war damals klar gewesen, daß die „Stadt der Erleuchteten“ der Hauptsitz der ceridischen Kirche war; und da ihm der Platz beim Stein Erkenntnis gebracht hatte, mußte dies wohl ein Zeichen sein, den Ceridenconvent in Gregorsruh abzuhalten.
Nach den Untersuchungen in Gregorsruh reisten wir abermals zurück nach Talwacht, um die Spur Aspitanius‘ in die Gegenrichtung zu verfolgen. Dies war schwieriger als die andere Wegrichtung; die Berichte über den verwirrten Mann mit der Steinplatte ließen sich bis in die Provinz Escandra zu dem „Fingerfelsen“ zurückverfolgen, an dem auch Hilarius erleuchtet worden war. Der Fingerfelsen schien aus demselben Gestein zu bestehen wie die Grabplatte auf dem Grab von Aspitanius. Als sich hinter dem Fingerfelsen die Spur verlor, gaben wir unsere Suche auf und reisten zurück.

Die Mantiden

Nachdem vor kurzem im Heligonischen Boten bereits ein Bericht über die Ereignisse auf Burg Ipptalblick veröffentlicht wurde, ist die Bedrohung durch die „Halbinsekten“ – Mantiden genant – wohl den meisten Heligoniern ein Begriff. Doch fehlte es bisher an genaueren Details über diese Spezies, welche mit diesem Bericht hoffentlich geliefert werden können. Mehrere Monate lang wurden auf Burg Ipptalblick und in Truesstett mit eifriger Hektik die Forschungen vorangetrieben, um mehr über diese Spezies herauszufinden und so die Gefahr besser einschätzen zu können. Nicht ohne ein gewisses Quentchen Stolz kann ich behaupten, dass bei diesen Forschungen, an denen ich die Ehre hatte, beteiligt gewesen zu sein, viele unserer ursprünglichen Fragen beantwortet und noch mehr neue Fragen gefunden werden konnten, die zweifelsohne bald zu noch mehr Antworten führen werden.
Obwohl bereits die Bezeichnung „Mantiden“ beziehungsweise „Riesenmantide“ irreführend ist, so hat sich diese Bezeichnung doch mittlerweile ein wenig verbreitet und so wollen wir diesen Begriff auch weiterhin als kurze Bezeichnung für jene Spezies, die auf eine so grausige Art und Weise zu einer Bedrohung für die Niederlormark, vielleicht sogar für ganz Heligonia geworden sind.
Da eine genaue Spezi-fikation dieser Spezies zur Zeit noch schwierig ist – und es an geeigneten Vergleichen in der uns näher bekannten Fauna fehlt – mag ich als vorläufige, konkretere Bezeichnung Mantis Giganta Humaniforma Communis – gewöhnliche, menschenförmige Riesenmantide – vorschlagen, die Zeit wird zeigen, ob dieser Begriff Einzug in die Lehrbücher halten wird.
Die Einordnung dieser Spezies wird vor allem dadurch erschwert, dass sie die Eigenschaften verschiedenster anderer Spezies in sich vereint, so besitzt sie gar Anteile menschlicher Eigen-schaften, aber genauso solche von staatenbildenden Insekten und – offensichtlich – solche der Orthopteden, zu welchen die in manchen Teilen von Heligonia heimische Gottesanbeterin – Mantis religiosa – zählt.

Der erste Anblick einer der herausragenderen Vertretern dieser Spezies drängt den Vergleich mit einer Gottesanbeterin förmlich auf, denn wenn auch natürlich vielerlei Unterschiede deutlich zu Tage treten, gibt es doch Gemeinsamkeiten in der Anatomie, welche sich beispielsweise besonders an der Form des Kopfes zeigen, bei der wir durchaus die Ähnlichkeit bemerken können, sowohl der Form nach als auch nach Aussehen und Position der Augen, wobei sich diese bei der Riesenmantide durch ihre grüne Färbung vom Schwarz ihres Körpers abheben und scheinbar auch leicht fluorisizierend sind, d.h. sie leuchten. Aber auch eine genauere Untersuchung des Körpers bestätigt zumindest eine Ähnlichkeit, insbesondere der schützenden Panzer, welches den Körper umgibt, dessen Material durchaus mit dem von Insekten vergleichbar ist – Untersuchungen haben zwar durchaus Unterschiede aufgezeigt, aber dennoch erkennen lassen, dass die Materialien sehr ähnlich sind – stellt eine größere und natürlich angepasste Variante des Außenskeletts einer Mantide dar. Im Gegensatz zur Mantis religiosa besitzt diese Spezies keinerlei Flügel, nicht einmal in rudimentärer Form, so dass sie in jedem Fall auf den Landweg angewiesen sein dürften. Ein Faktor, der die Riesenmantide eindeutig von den Insekten unterscheidet, ist die humanoide Form, d.h. die Riesenmantiden besitzen nur zwei Paar Extremitäten, ebenso wie die Menschen: Hinterbeine und Arme, welche auch im groben genauso eingesetzt werden wie bei allen anderen Humanoiden auch.
Mag man sich nun ein zwei Schritt großes Insekt vorstellen, so ist dies eigentlich mehr als ausreichend um selbst in den tapfersten Soldaten ein gewisses Unbehagen hervor zu rufen, aber leider liegt die wahre Gefahr dieser Spezies bei weitem nicht darin, groß und stark zu sein – obwohl dieser Faktor natürlich nicht unbeachtet bleiben darf.
Wie bereits geschrieben wurde, besitzen die Riesenmantiden Eigenschaften staatenbildender Insekten, ein gewaltiger Unterschied im Vergleich zu den gewöhnlichen Mantiden, welche ausschließlich einzelgängerisch leben. So bilden die Riesenmantiden einen Staat aus, welcher um eine Königin und deren Gelege – Nest – zentriert ist. Die Versorgung der Königin und des Nachwuchses übernehmen die Arbeiterinnen, welche sich auch um andere Aufgaben kümmern. Der Schutz des Staates und Beutezüge in das Umland wird von den Kriegern übernommen, welche von allen Mitgliedern des Staates die größte Ähnlichkeit zu Insekten aufweisen, denn bei den oben beschriebenen großen, insektenähnlichen Riesenmantiden handelt es sich um die Krieger, da die Arbeiterinnen (und die Nymphen, auf die wir später zu sprechen kommen werden) eine stark abweichende Form aufweisen.
Beginnen wir aber mit den auffälligsten Vertretern dieser Spezies, den Kriegern. Wie bereits beschrieben sind sie leicht zu erkennen, da zwei Schritt große Insekten einen gewissen Hang zur Auffälligkeit besitzen. Die Augen sind seitlich am leicht dreieckig geformten Kopf angebracht und außergewöhnlich groß, für gewöhnlich schimmern sie leicht grünlich. Ihr Körper ist von einem starken aber dennoch erstaunlich leichten Panzer aus Chitin-artigem Material umgeben, der vor allem eine Schutzfunktion übernimmt, aber auch einen Teil zur Stabilisierung des Körpers beiträgt, da zwar im Gegensatz zu den Insekten ein inneres Skelett vorhanden ist, dieses aber durch das äussere Skelett unterstützt wird. An diesem Punkt sei bemerkt, dass die Krieger über die Fähigkeit verfügen, Werkzeuge beziehungsweise Waffen – insbesondere auch Bögen – zu führen, ein Detail dessen Bedeutung bei der Frage nach der Intelligenz der Riesenmantiden später diskutiert werden wird. Die Krieger sind nach unseren aktuellen Erkenntnissen nicht in der Lage, die menschliche Sprache zu benutzen – ob sie diese verstehen bleibt fraglich.
Ebenso kaum zu verkennen sind die Larven der Riesenmantiden, welche nach etwa vier Wochen Bebrütung aus den etwa eineinhalb bis zwei Ellen durchmessenden Eiern schlüpfen. Sie werden schnell bis zu zwei Schritt lang, bewegen sich aber langsam und scheinen stark auf den Schutz der Arbeiterinnen und Krieger angewiesen zu sein. Nachdem sie eine gewisse Größe erreicht haben – für gewöhnlich nach weiteren vier Wochen – machen sie eine Metamorphose durch und nehmen dabei ihre endgültige Form an. Dieser Prozess der Metamorphose dauert etwa 3 Monate. Welche Form eine Larve endgültig annimmt, wird von verschiedenen Faktoren bestimmt, zu denen Temperatur, Ernährung, und verschiedene andere Dinge zählen. Die Heranzucht von Arbeiterinnen und Kriegern ist dabei wesentlich unkomplizierter zu erreichen als die einer neuen Königin. Es sei am Rande erwähnt, dass nach den Funden auf Burg Ipptalblick feststeht, dass eines der Hauptnahrungsmittel, mit denen die Larven gefüttert werden, Menschen sind.
Wesentlich weniger offensichtlich und aus diesem Grunde eine ebenso große Gefahr sind die Arbeiterinnen, die allesamt über eine hervorragende Tarnung verfügen, denn sie besitzen die äußerliche Gestalt von Menschen, genauer gesagt von menschlichen Frauen. Diese Gestalt erlaubt es den Arbeiterinnen, unerkannt unter Menschen zu leben und so ihren Aufgaben nachzugehen. Während die Krieger also normalerweise versteckt bleiben, halten die Arbeiterinnen Kontakt zu den Menschen aufrecht und beeinflussen diese. Anatomisch gesehen besitzen die Arbeiterinnen aber durchaus einige Eigenschaften, zu denen vor allem eine stabile Brustplatte gehört, welche die Innereien schützt aber von außen unter der Kleidung nur schwer auszumachen ist. Zu den Arbeiten, welche die Arbeiterinnen durchführen, zählen nicht nur die Aufzucht und Pflege des Nachwuchses, sondern durchaus auch seltsam menschlich wirkende Arbeiten wie es beispielsweise die Benutzung eines Labors auf Burg Ipptalblick war. Die Fähigkeit, solche Arbeiten durchzuführen, lässt, ebenso wie die Fähigkeit, Werkzeuge zu verwenden, bereits auf eine gewisse Intelligenz schließen, genauso wie die Fähigkeit, mit Menschen zumindest oberflächlich gesehen normale Unterhaltungen zu führen.
Zu den Arbeiterinnen zählen auch die – fälschlicherweise so benannten – Nymphen, die ebenso wie diese menschliches Aussehen besitzen, aber eine höchst spezielle Aufgabe aufweisen, sie sammeln den Samen männlicher Menschen und bewahren diesen in einem speziellen Körperorgan auf, mit relativ großer Sicherheit zu dem Zweck, um ihn der Königin zuzutragen und so deren Eierproduktion zu sichern. Zu diesem Zweck scheinen sie auch zu versuchen, die Männer dazu zu bewegen, untereinander Kämpfe auszutragen, um den stärksten zu finden, dessen Samen natürlich von ihnen bevorzugt wird. Die bisher entdeckten Nymphen hatten die Gestalt schöner weiblicher Damen, besaßen aber die gleiche unter der Kleidung versteckte Brustplatte wie die gewöhnlichen Arbeiterinnen. Scheinbar versuchen die Nymphen sich als Ogeden-Priesterinnen zu tarnen, was auch damit in Zusammenhang steht, dass die Population der Nymphen scheinbar recht konstant bei vier pro Nest zu liegen scheint. Die Nymphen sind ebenso in der Lage, mit Menschen zu kommunizieren und nutzen dies, um in näheren Kontakt mit Männern zu kommen, wobei ihnen auch ein Duftstoff hilft, welchen ein spezielles Organ produziert, das im Nacken der Nymphen lokalisiert ist. Dieser Duftstoff stellt neben den Kriegern die wohl stärkste Waffe der Riesenmantiden dar, denn er macht den Nymphen die menschlichen Männer überaus gewogen. Zwar wurde noch nicht bekannt, dass ein Mann durch den Duftstoff vollkommen verändert wurde, aber er führt dazu, dass die Männer überaus große Sympathie für die Nymphen empfinden und dadurch von deren reiner Unschuld überzeugt werden. Dieser Duftstoff, der ausschließlich von den Nymphen produziert wird, kann allem Anschein nach auch von den Arbeiterinnen auf alchemistische Weise zu einer anderen Droge weiterverarbeitet werden, die weiter unter beschrieben wird.
Schließlich bleibt, als zentrales und wichtigstes Mitglied eines Staates, die Königin, das eierlegende Weibchen der Spezies. Nach den bisherigen Erkenntnissen wird sie von den Nymphen mit Samen und von den Arbeiterinnen mit Nahrung versorgt und schafft, ausreichend mit diesen Dingen versorgt, ein recht großes Nest. Es ist anzunehmen, aber noch nicht bewiesen, dass die Königin auch die Herrschaft über das Nest ausübt, zumindest insoweit, als dass ihre Befehle entgegen angeborener Instinkte ausgeführt werden können. Das Aussehen der Königin ähnelt wesentlich mehr den Kriegern als dem der Arbeiterinnen, sie ist von festen, schwärzlich gefärbten Platten umhüllt und besitzt, genau wie die Krieger die versetzten Augen, wird normalerweise aber etwas größer als die Krieger. Die hervorstechendste Besonderheit der Königin ist zweifellos ihr ausgeprägtes, hinteres Segment, welches der Eierproduktion dient und sie recht gut von den Kriegern unterscheidet. Da die Königin pro Tag etwa ein Ei von beachtlicher Größe legen kann, ist sie wohl die meiste Zeit ihres Lebens mit Nahrungsaufnahme beschäftigt. Da bei taktischem Vorgehen natürlich die Königin ein primäres Ziel darstellt, wird sie stets von den Kriegern ausnehmend gut – also auch unter Opferung deren Lebens – geschützt, trotzdem ist es natürlich wichtig, bei einer Schlacht die Königin nicht entkommen zu lassen. Ob eine erfolgreiche Entfernung der Königin aus dem Nest dieses seiner Führung beraubt und somit ein leichteres Ziel werden lässt, ist bisher noch nicht ausreichend geklärt, es kann aber angenommen werden, dass die Krieger auch ohne die Königin in einem gewissen Rahmen koordiniert vorgehen können. Die wirkliche soziale Bedeutung der Königin innerhalb eines Nestes wurde aber, genau wie die generelle Hierarchie eines Nestes noch nicht ausreichend erforscht.

Wie bereits erwähnt wurde, verfügen die Nymphen über einen Duftstoff, mit welchem sie Männern den Kopf verdrehen können. Dies ist allerdings nicht die einzige „alchemistische“ Waffe der Riesenmantiden: Kurz wurde es schon angesprochen dass die Arbeiterinnen scheinbar in der Lage sind, aus diesem Duftstoff eine Droge herzustellen, welche Menschen – gleich welchen Geschlechts – lethargisch und gleichgültig werden lässt, was dem Zwecke dient, sie leicht kontrollieren beziehungsweise sich besser vor ihnen verbergen zu können. Diese Droge, welche wir einfach nach dem Ort ihrer Entdeckung das „Ipptalblicker Wasser“ nennen wollen – wirkt auf Menschen scheinbar ebenfalls stark süchtigmachend. Die Vermutung liegt nahe, dass die Droge von den Riesenmantiden in Brunnen eingebracht werden kann, so dass die Bevölkerung den ersten Kontakt unwillkürlich macht, was erklären würde, warum die Menschen auf Burg Ipptalblick die Droge als „Wasser“ bezeichneten und wie alle Menschen dazu gebracht wurden, die Droge einzunehmen. In diesem Falle ist anzunehmen, dass die Droge eine gewisse Zeit braucht, um Wirkung zu zeigen, da bei den meisten der Expeditionsteilnehmer nach kurzer Zeit noch keine Wirkung zu erkennen war.
Mit der Kenntnis über diese Droge ergibt sich bereits ein recht gutes Bild über die Vorgehensweise diese Spezies: Es beginnt damit, dass eine Königin, höchstwahrscheinlich unterstützt durch mehrere Arbeiterinnen und Nymphen sowie vermutlich Kriegern, ein neues Nest beziehen, vorerst noch gut versteckt. Die Nymphen und Arbeiterinnen beginnen mit ihren Aufgaben, wozu vordringlich die Verteilung der Droge gehören dürfte, um die weiteren Schritte zu erleichtern. folgenden fünf Monate kann man als die kritische Zeit betrachten, da in dieser Zeit noch kein ausgewachsener Nachwuchs zu erwarten ist und es recht unwahrscheinlich erscheint, dass die Mantiden in gewaltigen „Herden“ – und vor allem zusammen mit Larven – zu einem neuen Nest ziehen, so dass das Nest eventuelle Verluste nicht ausgleichen kann. Aus diesem Grund kann man annehmen, dass die Vorgehensweise der Riesenmantiden während dieser Zeit vorsichtig und vorbereitend, eine Konfrontation vermeidend ist. Trotzdem dürfte die Verbreitung der Droge dazu führen, dass die Macht des Nestes über die Menschen während dieser Zeit stark ansteigt.
Die Ausbreitung und damit Gründung eines neuen Nestes dürfte in jedem Fall erst nach etwa einem Jahr zu erwarten sein, nachdem die Zahl der Riesenmantiden im Nest eine Zahl erreicht haben, welche als stabil zu betrachten ist. Die Frage, ob sich bei diesem Vorgang nur eine neue Gruppe Mantiden aus dem alten Nest löst oder deren mehrere, ist noch nicht geklärt, trotzdem kann man davon ausgehen, dass, obwohl sich diese Spezies wesentlich schneller ausbreiten kann als die Menschen, die Geschwindigkeit der Invasion durch die Riesenmantiden glücklicherweise noch nicht besonders hoch ist – aber doch mit jedem neuen Nest zunimmt, so dass trotzdem ein rasches Handeln Not tut: Denn selbst wenn wir annehmen, dass jedes Nest jedes Jahr nur eine neue Königin hervorbringt, verdoppelt sich damit die Zahl der Königinnen jedes Jahr. Aber glücklicherweise stehen wir allem Anschein noch am Anfang der Entwicklung, denn es erscheint unwahrscheinlich, dass sich die Riesenmantiden schon länger als wenige Jahre innerhalb der Grenzen Heligionias aushalten.
Zu Anfang schrieb ich, dass die Riesenmantiden eindeutigerweise über menschliche Anteile verfügen. Die Ursache für diese Tatsache wurde bereits beschrieben, nämlich in der Tatsache, dass die Nymphen den Samen menschlicher Männer sammeln und ihrer Königin zutragen, damit diese Nachwuchs zeugen kann. Untersuchungen an der Anatomie dieser Spezies haben recht eindeutig gezeigt, dass selbst beim Körper der Krieger, die ja von allen Mitgliedern dieser Spezies am wenigsten menschlich aussehen, viele Gemeinsamkeiten zum menschlichen Körper bestehen. Genauer gesagt kann man fast sicher davon ausgehen, dass viele Eigenschaften der Riesenmantiden durch ihre Verbindung zu den Menschen entstanden sind, Eigenschaften wie beispielsweise ihre Größe oder der humanoide Körperbau. Leider beantwortet die Tatsache, dass die Königin menschlichen Samen zur Fortpflanzung benötigt nicht die Frage, woher diese menschlichen Anteile ursprünglich kamen, da selbst die Königin diese Anteile besitzt. Die Suche nach der ersten, der ursprünglichen Vermischung muss als fortgeführt werden.
Kommen wir zu einer weiteren wichtigen Frage um die Bedrohung durch die Riesenmantiden verstehen zu können: Verfügt diese Spezies über Intelligenz? Die Antwort, so erschreckend dies auch klingen mag, lautet: Ja. Nach meinen bisherigen Erkenntnissen verfügen die Riesenmantiden nicht nur über rudimentäre sondern sogar über eine Intelligenz, die durchaus mit der menschlichen vergleichbar ist. Aber natürlich mag so eine gewagte Behauptung nicht so einfach hingenommen werden, weshalb ich die Indizien für diese Theorie hier noch einmal kurz erläutern will: Erstens sind die Riesenmantiden in der Lage, Werkzeuge zu verwenden, was wir bisher als eine der wichtigen Eigenschaften der Intelligenz angesehen haben. Bei diesen Werkzeugen handelt es sich auch nicht um primitive Dinge, sondern beispielsweise um Fernkampfwaffen und alchemistisches Gerät – Werkzeuge, die durchaus mehr als ein wenig Übung für ihren effektiven Einsatz benötigen. Zweitens verfügen die Riesenmantiden auch über ähnliche Organe wie die Menschen, auch und besonders über solche, die für gewöhnlich als der Sitz des Geistes angesehen werden. Diese Organe sind den menschlichen wie bereits beschrieben wurde sehr ähnlich, so dass zumindest anerkennt werden muss, dass ein Geist, der ähnlich weit entwickelt ist, wie der des Menschen, in diesen Organen zumindest existieren könnte.
Drittens sind die Riesenmantiden – vor allem Arbeiterinnen und Nymphen – durchaus in der Lage, sinnvolle Gespräche zu führen und auch bei noch nicht beeinflussten Menschen als menschlich zu erscheinen, eine Fähigkeit, die selbst den erstaunlichsten „sprechenden“ Vögeln mancher Länder weit überlegen ist. Viertens sind die Handlungen der Riesenmantiden als Ganzes gesehen zwar sehr stark von natürlichen Instinkten getrieben und scheinen auch stark an angeborenem Verhalten orientiert zu sein, doch hat es sich gezeigt, dass die Riesenmantiden sich auch intelligent und sinnvoll auf neue Situationen einzustellen vermögen, an denen angeborene Instinkte versagen würden. All diese Gründe sind ausreichend, um die Möglichkeit einer Intelligenz dieser Spezies zumindest nicht auszuschließen. Persönlich denke ich aber, dass die Intelligenz der Riesenmantiden der unseren ebenbürtig ist, ihr Verhalten aber zu stark von angeborenem Verhalten dominiert wird, so dass sie daraus nicht den vollen Nutzen ziehen können. Auch darf natürlich nicht vergessen werden, dass, obwohl diese Spezies viele menschliche Eigenschaften besitzt, ihr Wesen sich natürlich stark von dem unseren unterscheidet, so dass eine vorhandene Intelligenz keineswegs bedeuten muss, dass sie auch wirklich ähnlich denken wie wir – obwohl ich persönlich das Gefühl habe, dass gewisse grundlegende Antriebsmotive gleich sein könnten.
Die Frage nach der Herkunft dieser Spezies gehört zu den größten Rätseln, vor denen wir bisher stehen. Da aus den Landen Heligonias und den umliegenden Reichen eine solche Spezies nicht bekannt ist, muss fast zwangsläufig angenommen werden, dass sie aus weiter Ferne stammen oder erst vor kurzem geschaffen wurden. Wenn wir annehmen, dass sie aus ferneren Gebieten eingewandert sind, bleibt die Frage, wie dies möglich war und vor allem, wieso sie sich ausgerechnet in Heligona niederließen – denn aus den benachbarten Reichen ist bisher nichts über eine solche Spezies bekannt, obwohl diese, sofern sie sich dort niedergelassen hätten, länger dort aufhalten müssten als hier. Eine Möglichkeit, welche hierbei in Betracht gezogen werden muss, ist natürlich das Wasser, über welches sie gekommen sein könnte, allerdings muss man sich hierbei ins Gedächtnis rufen, dass diese Spezies weder über Flügel verfügt noch sonderlich gut schwimmen können dürfte, sie also für den Weg über Wasser genau wie wir auf ein Transportmittel angewiesen wären, wie beispielsweise das Schiff, welches damals die Expedition auf das Herzog-Uriell II Atoll brachte. Dieses Schiff könnte insbesondere deshalb von Bedeutung sein, dass Friedrich von Illmenau – Baron genau jenes Landstriches, welcher heute von dieser Spezies heimgesucht wird – noch immer verschwunden. Zumindest der Verdacht liegt also nahe, dass die Expedition auf das Atoll mehr nach Heligonia gebracht hat, als man damals offen sah. Natürlich fragt man sich, in welcher Form die Riesenmantiden nach Heligonia kamen, den zwei Meter große Insekten wären auf einem Schiff doch sicherlich aufgefallen. Die Frage nach ihrer Herkunft muss also weiter genau untersucht werden, auch wenn man sich darüber im Klaren sein sollte, dass der Ursprung dieser Spezies vielleicht nicht nur ein Landstrich, sondern auch eine gänzlich andere Kreatur sein könnte.
Zuletzt sollen noch die militärischen Details erläutert werden, welche unsere Forschungen ergeben haben, denn obwohl wir bisher siegreich blieben, muss man annehmen, dass die Riesenmantiden durchaus in der Lage sind, aus ihren Fehlern zu lernen, so dass wir jeden Vorteil brauchen können. Da die Krieger die größte aggressive Gefahr darstellen, ist natürlich wichtig, zu wissen wo deren Schwachpunkte liegen, da sie durch ihren Panzer leider recht gut geschützt sind. Die für den Angriff verwundbarsten Stellen liegen zwischen den Panzerplatten, welche besonders seitlich am Körper zu suchen sind. Diese Stellen dienen dazu, den Riesenmantiden eine möglichst große Bewegungsfreiheit zu geben und sind deshalb kaum gepanzert, sondern werden nur durch die sich teilweise überlappenden Ränder der Platten geschützt. Außerdem hat sich gezeigt, dass für den Angriff besonders schwere Armbrüste und Bögen geeignet sind, wobei die Spitzen der Bolzen und Pfeile von möglichst schmalem, rundem Querschnitt und ohne Widerhaken beschaffen sein sollten. Aber neben dem aktuellen Angriff sollte bedacht werden, dass es zweifelsohne wichtig sein wird, gegen die Auswirkungen des Duftstoffes und der Droge vorzugehen und schnell auf die Bedrohung zu reagieren. Wachsamkeit ist nun in den gefährdeten Gebieten strikt einzuhalten und wenn möglich, sind Kontrollen jeder größeren Stadt oder Burg durchzuführen, um Merkwürdigkeiten im Verhalten der Menschen festzustellen.

Von der Normierung in magischen Belangen

Welcher heligonische Gelehrte der geheimen Wissenschaften kennt das nicht: Wann immer sich eine gewisse Menge an Mitgliedern des Arcanums versammelt, um gemeinsam eine magische Handlung auszuführen ist es notwendig, die Bemühungen der jeweiligen Teilnehmenden aufeinander abzustimmen. Dabei wird die korrekte Koordination der wirkenden Individuen noch dadurch in ihrer Signifikanz angehoben, dass die Magie in Heligonia den alleseits bekannten, eine Dämpfung der magischen Radianz notwendig machenden Einschränkungen unterworfen ist. So wäre es womöglich fatal, wenn ein oder mehrere dämpfende Magi den radial abgestrahlten Magiepotentialpegel, der in einem bestimmten Augenblick zu kompensieren ist, unterschätzen und die Dämpfung grob unterdimensioniert bemaßen würde. Allein, es fehlt der allgemeine Maßstab, auf dass sich die diversen Gelehrten unterschiedlichster Herkunft ohne Missverständnis und Problematio verständigen und auch verstehen könnten. Um diesem Problem Abhilfe zu schaffen, soll nun hiermit ein unifiziertes System von Normen, Bemaßungen und Einheiten präsentiert werden, mit Hilfe dessen die Kommunikation zwischen den an einem magischen Akt Beteiligten vereinfacht oder gar ermöglicht werden soll.
Zunächst sollen hier noch einmal die wohl den meisten Wissenden der arcanen Lehren bekannten Grundlagen der magischen Bemaßung dargelegt werden, auf dass eine gemeinsame Basis des Begreifens zustande komme.
Das gesamte in einem magischen Akt freigesetzte oder investierte magische Potential, der magische Potentialpegel E hängt über den Faktor der Obviosität O mit der tatsächlichen insgesamten magischen Abstrahlung B eines magischen Aktes, dem radial abgestrahlten magischen Potentialpegel zusammen. Dabei gilt:

B=P*O

Welchen Wert der Faktor der Obviosität tatsächlich besitzt, hängt von den verwendeten magischen Techniken und Vorkehrungen statt. Ihm quasi reziprok entgegengesetzt ist der Faktor der Effizienz F , der dieselbe eines magischen Aktes beschreibt. Formulaisch erfasst bedeutet das:

 F=1/O
bedacht und sollte bei einer magischen Handlung zu jedem Augenblick von der Dämpfung I kompensiert oder überkompensiert werden, eine Forderung, die häufig auch als erste myardische Ungleichung bezeichnet wird:

 P-I<=0

Bei näherer Betrachtung fällt dem geschulten Auge mit Sicherheit auf, dass selbige Ungleichung der Handhabbarkeit gewisse und notwendige Vereinfachungen in ihren Begrifflichkeiten besitzt, von denen nun zumindest auf eine eingegangen werden soll. Wie unter Wissenden des Arcanen allgemein bekannt ist, verfügt jede Örtlichkeit über eine gewisse grundlegende Radianz, die ihr – sei es aufgrund des Wirkens von sterblichen oder unsterblichen Mächten – innewohnt. Nun ist diese Residualresonanz Po sowohl in Theorie als auch in der Anwendung einfach zu berücksichtigen, da sie glücklicherweise in den meisten Fällen von konstanter Natur und Größe ist. Dabei wirkt eine positive Residualresonanz abschwächend auf die effektive Radianz eines magischen Aktes, eine negative Residualresonanz hingegen, vergrößert die zu kompensierende Radianzmenge. Basierend auf diesen Überlegungen lässt sich die erste myardische Ungleichung zur erweiterten ersten myardischen Ungleichung umschreiben:

 P-Po-I<=0

Die zeitliche Komponente von P ist momentan noch Gegenstand der Untersuchung. Unumstritten ist, daß P im Verlauf einer magischen Handlung nur im Idealfall als konstant zu betrachten ist; in der Praxis hingegen gibt es hier starke Schwankungen, je nach verwendeter Technik und erzieltem Effekt. Wichtige Richtgrößen sind hier wohl die durchschnittliche Abstrahlung P av, sowie Höhe der Spitzenwerte P max. Exakte Untersuchungen, die den Zusammenhang zwischen Stärke der Dämpfung und der spontanen Änderung von P betrachten, sind Gegenstand der aktuellen Forschung.
Dem aufmerksamen Leser ist es wohl nicht entgangen, dass bislang stets von der „ersten“ myardischen Ungleichung die Rede war, eine Formulierung, welche implizit die Existenz weiterer myardischer Ungleichungen postuliert. Um jedoch diese weiteren Inequalitäten treffend und richtig erklären zu können, ist es nötig, eine weitere wichtige Größe für die heligonische arcane Lehre zu benennen: den phagischen Limes Z, oft auch als Aufmerksamkeitszahl bezeichnet. Besagter phagischer Limes beschreibt die Menge an unkompensierter Radianz, die letztendlich die Aufmerksamkeit der ungenannten Macht auf den magischen Akt zieht. In den meisten Fällen ist diese Größe nur sehr schwer zu bestimmen, da mit jeglichen Experimenten in dieser Richtung ein unsagbares Risiko verbunden ist. Somit ist die zweite myardische Ungleichung mehr von theoretischer, jedoch nicht zu unterschätzender Bedeutung. Ihre Aussage ist die Postulatio der sogenannten phagischen Probabilitätszone, welche sich (hier in erweiterter Form) definiert als die abgestrahlte Radianz im Bereich

 0<P-Po-I<Z

Analog dazu beschreibt die dritte myardische Gleichung den phagisch relevanten Bereich, auch als phagische Zone bezeichnet, bei deren Erreichen eine Erregung der Aufmerksamkeit der bekannten Mächte unausweichlich ist:

P-Po>=Z

Nun stellt sich berechtigterweise die Frage, wie diese doch hinreichend bekannten Formulierungen der Verständigung innerhalb der arcanen Gesellschaft zuträglich sein sollen. Die Antwort ist einfach: Jene Begrifflichkeiten und Beziehungen bedürfen eines quasi geeichten Maßsystems, eines Normenwerks. Wie ein Fürst für sein Land die Maße eines Scheffels festlegt, wie ein König Münzen festen Wertes prägen lässt, so sollte die arcane Gesellschaft für die sie betreffenden Maße genormte Referenzgrößen definieren. Zu diesem Zweck seien hier nun einige Vorschläge für solchermaßen normierte Maße gegeben:
Zur Bemaßung und Normierung des Magiepotentialpegels wurde vom Fachbereich Mechanik der Academia Rei Praeheliotica zu Schloss Idyllie in Tlamana ein sogenanntes Normkonstrukt angefertigt, welches in der Lage ist, magische Energie bis hin zu einem gewissen magischen Potentialpegel aufzunehmen und zu halten. Jeglicher Überschuss wird in die Umgebung dissipiert, so dass nach Beendigung des Ladungsprozesses reproduzierbar stets die gleiche Menge an Potential in dem Konstrukt enthalten ist. Es sei nun hiermit vorgeschlagen, dass eben dieses Maß an Potential einen magischen Potentialpegel vom Werte 1 MPP definiere.
Des Weiteren ist das Konstrukt dermaßen konstruiert, dass auch ein definierter, reproduzierbarer und konstanter Entladungsvorgang möglich ist. Der bei einer solchen Entladung insgesamt radial abgestrahlte magische Potentialpegel ist also stets gleich und wird somit als Eichung für einen radial abgestrahlten magischen Potentialpegel von 1 RAMPP und eine Obviosität und Effizienz von 1 vorgeschlagen.
Da die Entladung des Normkonstruktes zudem mit konstanter Geschwindigkeit innerhalb eines Augenblickes verläuft, sie hiermit weiterhin der Vorschlag gegeben, die momentane magische Abstrahlung dieses Vorgangs als Normierung für die Größenordnung 1 RAMPP pro Augenblick zu wählen, eine Bemaßung, die auch für die Benennung eines exakt kompensierenden Dämpfungsvorgangs zutreffend wäre.
Um die Allgemeinheit, Vergleichbarkeit und weitere Reproduzierbarkeit dieser Normierungsbemühungen zu gewährleisten, wurden die Konstruktionsanweisungen für das Normkonstrukt aufs genaueste von den Gelehrten des besagten Fachbereiches festgehalten und an alle Universitäten Heligonias zum Nachbau und zur Weitergabe versandt. Selbstverständlich ist es auch für weitere vertrauenswürdige Organisationen und Individuen möglich auf Anfrage an die Academia Rei Praeheliotica eine Abschrift der Konstruktionspläne zu erhalten.
Auf dass die arcane Gelehrtenschaft womöglich in Bälde mit gleichem Maße messe.

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