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Der Ritt nach Escandra

Die Nacht war kalt und regnerisch. Nicht das angenehmste Wetter um zu reisen, aber dieser Ritt schien endlos lang zu werden. Elf Gestalten preschten durch die Nacht, so schnell es eben ging, darunter Ritter der Thaler Ritterschaft, Magistra Tiziana von der Akademie der schönen Künste in Betis mit ihrem Begleiter Felice, Baron Hektor von Eichenstein, seine Hochgeboren Prinz Anselm von Thal, sowie Magister Londaé von Sargentis und Magister Hannes Reichenbach von der Academia Rei Praeheliotica. Vorne weg, meist einige Meilen voran, eilte ein Späher, um vor allen Gefahren und Unbillen zu warnen – und er sollte noch einiges zu tun bekommen. Der Grund ihrer Reise waren die Kunstwerke mit wohl schwerwiegender Bedeutung. Diese sollten unter allen Umständen dem König überbracht werden. Und jeder, der auf dem Convent in Idyllie zugegen war ahnte, wie groß die Gefahr dieser Reise sein konnte.
Die vom Schloss kommenden hatten nur kurze Zeit im Dorf verbracht, um sich auszurüsten und die Ritter und den Späher mitzunehmen. Kaum eine Viertelstunde hatte dies gedauert und nun saßen alle auf den besten Rössern aus dem Gefolge des Prinzen.

Die erfahrenen Reiter aus der Ritterschaft und dem Adel konnte die Kälte und die Anstrengung des Rittes nichts anhaben, die Magister aus Idyllie hatten schon eher ihre Mühen, doch die Betiser waren an ihren Grenzen. Ständig glaubten sie in den Geräuschen des Waldes Stimmen und Schritte zu hören, ständig ermahnten sie die anderen ob der Gefahr im Dunkel. All das trug nicht gerade dazu bei, die Stimmung zu heben, als plötzlich eine Gestalt am Wegrand aus dem Dunkel auftauchte.
Der Mann schien dort gestanden und gewartet zu haben.
Eine Vorhut ritt zu ihm und die armselig wirkende Gestalt war im Schein der Laterne zu erkennen. Abgetragene Kleidung, Schmutz überall und der Blick so wirr wie sein Haar.
„Hallo, da seid ihr ja!“ begrüßte er sie mit irrem Klang in der Stimme. „Wer seid ihr?“ erging die Frage an ihm, um als Antwort den Namen Aedh zu bekommen.
Aus unerfindlichem Grunde schien Aedh genau zu wissen, wo die Kunstwerke aufbewahrt wurden, denn er starrte wie von Sinnen in diese Richtung. Er sprach davon, dass man sie in die Jolsee werfen und vergessen sollte, das sei seiner Meinung nach das Beste. Ständig redete er davon, dass etwas zu spüren sei und bohrte mit der Frage „Spürt ihr es nicht?“ mehr als einmal nach. Doch die Reiter spürten nichts. Plötzlich jedoch fiel Aedh wie vom Schlag getroffen um und blieb leblos liegen. Die Reisenden gaben ihren Pferden die Sporen. Es war keine Zeit, um zu diskutieren, denn die Zeit spielte gegen sie und sie wussten nun, dass man sie erwarten würde.
Irgendwann in der Tiefe der Nacht stürzte einer den Ritter. Kein Hindernis war zu sehen, kein Stein und der Ritter war ein guter Reiter. Wohl nur ein Versehen.
Dann stand ein Bauer am Wegesrand. Mitten in der Nacht, mit einem Bündel Holz und wartete. Der Späher hatte ihn nicht gemeldet und als die Gruppe vorbei preschte tat er nichts und sagte nichts. Und doch war sich Felice sicher, die Worte „Das war’s!“ gehört zu haben – aber gerade Felice glaubte vieles zu hören im Wald. Und doch wurde die Beklemmung immer größer. Mal glaubte jemand, eine Person säße mit auf dem Pferd, mal war der Atem eines Wesens im Nacken zu fühlen. Die Nacht zog sich hin.
Der Ritter stürzte wieder. Wieder ohne Grund, doch diesmal war das Pferd so schwer verletzt, dass des nicht mehr zu reiten war.
Prinz Anselm von Thal und ein weiterer Ritter blieben zurück und wiesen die Gruppe an, ihren Ritt fortzusetzen. Als geübter Reiter und Pferdekenner untersuchte der Prinz das Tier. Sein Bein schien nicht gebrochen, doch schwer gestaucht. An die Fortsetzung des Rittes war nicht zu denken. Der Sattel wurde abgenommen und auf dem Pferd des Prinzen festgemacht, während sich die beiden Ritter ein Ross teilten. Es galt wohl im nächsten Dorf Ersatz zu suchen. Da war auf einmal eine Gestalt im Dunkel zu erkennen, gerade so als Umriss, doch zu weit im Dunkel, als dass das Gesicht zu erkennen wäre. Zu Anselm, der noch immer das verletzte Tier begutachtete tönte eine Stimme „Töte es lieber gleich!“ Anselm aber weigerte sich aber und brachte ein, dass der Tod des Pferdes nicht von Nöten sei. Er ging auf die Gestalt zu, um das Gesicht zu erkennen, doch sie wich zurück. „Feigling! Hast du Mitleid?“ „Ich habe dem Pferd das Leben nicht geschenkt, ich werde es ihm auch nicht nehmen.“ Nach diesen Worten ritt die kleine Gruppe los, um die anderen einzuholen.
Kaum waren alle wieder beisammen, tauchte die Gestalt wieder auf, nur eine Silhouette in der Finsternis, die neben Londaé ritt. „Warum reitet ihr so schnell?“ Auf die Frage des Magisters nach Name und Begehr kam nur die Antwort „Ich reite schon mal vor“. Schnell wie ein Pfeil zog der Schatten an den Reitern vorbei und war verschwunden.
Endlich hörte der Regen auf.
Der Morgen graute, als ein Dorf in Sicht kam, umgeben von einer Palisade, um die Tiere des Waldes fern zu halten. Ein kleiner Weiler, vielleicht 5 Höfe. Seltsamerweise war vom Späher nichts zu sehen und nichts zu hören.
Der größere Teil der Gruppe wollte langsam weiter reiten, nur Baron Hektor und ein Ritter sollten ein Ersatzpferd finden. Die Betiser freuten sich über den langsameren Ritt, denn die Nacht hatte sie sehr erschöpft und auch Hannes war nicht abgeneigt, da ihn Kopfschmerz quälte.
Als der Baron ans Tor klopfte, schwang dieses auf. Es bot sich ein seltsames Bild. Vor einem einzelnen Gebäude, welches die Taverne zu sein schien, stand ein Pferd. Es war gesattelt und schien auf seinen Reiter zu warten, doch war es nicht angebunden. Auf dem Weg zur Taverne lagen 3 leblose Körper, wohl einige der Bewohner, mit dem Gesicht nach unten. Hektor witterte eine Falle und folgte der Gruppe. Dort wurde die Lage besprochen. Auch wenn die Gefahr groß war, so hatten die Reiter doch die Pflicht, den Bewohnern des Dorfes zu helfen, hatten doch die Adeligen einen Eid darauf geschworen, dies zu tun. Und so wurde gewendet.
Als das Dorf wieder in Sicht kam, mochte es wohl um die achte Stunde des Tages sein. Auch wenn es nun heller war, schien der Tag nicht richtig anbrechen zu wollen. Weder Sonne noch Mond standen am Himmel und das Licht war durch die Wolken dumpf und matt.
Magister Reichenbach zog es vor, vor dem Weiler zusammen mit den Betisern und einigen Rittern zu warten, da seine Kopfschmerzen weiter zunahmen.
Mehrere der Reiter betraten das Dorf. Die Luft war geschwängert von einem Brandgeruch und Londaé fand die Ursache, als er einer der Körper umdrehte. Verbrannt, völlig verbrannt war die Vorderseite. Haut war mit Stoff verklebt und an manchen Stellen traten Knochen im schwarz verkohlten Leib hervor. Der Magister trat zurück.
Gerade aber als Londaé den Toten drehte, glaubte Hannes, noch immer von Schmerzen gequält, helles Licht zu sehen, als würde die Sonne am Himmel stehen. Nur einen Moment, dann war es auch für ihn wieder Grau in Grau.
Währenddessen erkannte Prinz Anselm das noch immer freie Pferd. Es war ein Tier aus einem Thaler Stall. Das Pferd des Spähers.
Baron Hektor betrat die Taverne. Auch hier war Brandgeruch in der Luft und die hinter der Theke zu erkennende Gestalt auf dem Boden schien wohl die Quelle zu sein.
Da war die Stimme des Spähers zu vernehmen und kurz darauf auch sein Leib zu sehen. Wie eine Marionette hing der Gefährte in der Luft, die Augen leblos und doch sprach er, gelenkt und bewegt von einer schattenhaften Gestalt hinter ihm. Einige Wort wurden mit dem Späher, nein, mit seinem dämonischen Lenker gewechselt. Jener gab an, Helios Licht zu ertragen und führte noch so manche üble Rede. Das Wesen versuchte die Zuhörer zu verführen, ihm näher zu kommen, doch Hektor warf noch einen Dolch, nach dem Körper des Spähers, um sicher zu sein, das er tot sei und nicht zu leiden habe. Dann verschwanden die Reiter so schnell sie konnten. Diesem Wesen waren sie nicht gewachsen.
Die Gruppe ritt weiter. Hannes hatte in der Pause nicht die erhoffte Erholung gefunden, und sein Schmerz wurde stärker. Während des Rittes wurde eifrig beraten. Da wohl die Nähe der Kunstwerke ein Auslöser der Geschehnisse war, wurde beschlossen, sich für einen Tag zu trennen, um zu sehen, was geschähe. Während dieser Beratung war wieder die Stimme zu hören, diesmal von Tiziana und wieder sah Hannes dieses Aufblitzen.
An der nächsten Wegkreuzung trennte sich die Gruppe. Prinz Anselm, Hannes Reichenbach und 2 Ritter nahmen einen etwas längeren Weg, während der Rest der Gruppe weiter auf dem Hauptstraße bleiben sollte. Gemäß der Karte sollte es sich dabei um einen knappen Tagesritt handeln und man würde sich zur Abenddämmerung wieder treffen, wenn man bei dem trüben Licht überhaupt von einer Dämmerung sprechen konnte.
Also folgte die größere Gruppe der Hauptstraße. Aber kaum eine Wegstunde später hörten die Reiter Hufgetrampel und trafen auf einer Kreuzung, die es laut Karte gar nicht gab, die anderen. Verwirrt wurde nach dem Losungswort gefragt und die Antwort war richtig. Aus unerklärlichen Gründen hing Hannes Reichenbach bewußtlos im Sattel. Wie konnte dies alles geschehen? Der Magister wurde wieder aus seiner Ohnmacht geweckt. Hannes Kiste wurde an Prinz Anselm übergeben, um zu ergründen, ob dies die Ursache für seine Qualen war. Die Magister kamen zu dem Schluss, dass all das eine Illusion, eine Lüge sei. Da meldete sich die Stimme wieder. Doch diesmal antworteten die Reisenden nicht mit Worten zu der Stimme, sondern mit Worten zu den Vieren. Gebete wurden gesprochen, was der Stimme sehr missfiel. Als dann auch noch die Gelehrten ihren Teil taten, geschah, womit keiner rechnete.
Die Umgebung war anders, alles war anders und jemand fragte verwirrt „Was sagt ihr da?“ Es waren die ungläubigen Worte des Spähers, der vor den Reitern auf dem Weg stand. Die Gruppe befand sich eine halbe Stunde Ritt vor einem Dorf.
Auf dem Weg dorthin hatten die beiden Gruppen endlich Zeit, das Geschehene ausführlich zu berichten. Während die Reiter um Baron Hektor nur einmal die Stimme vernahmen, war die Geschichte von Prinz Anselm länger. Er erzählte von einem Dorf, dessen Bewohner sie empfangen hätten. Wieder war die Stimme aufgetaucht und hatte offenbar sowohl einen einfachen Bewohner als auch einen Poenageweihten getötet. Während all dieser Zeit wurden Hannes Schmerzen immer größer und plötzlich erkannte dieser statt des Dorfes eine einfache Wiese in Helios Licht und keine Menschenseele. Als er das prüfen wollte, verlor er das Bewusstsein. Ein schneller Ritt brachte dann auch diese Gruppe auf die Kreuzung, wo sich alle begegneten.
Der Späher hatte nur den Eindruck gehabt, als wären die Reiter etwas geistesabwesend, doch bemerkt hatte er nichts.
Während all dieser Erzählungen kam das Dorf in Sicht. Es war genau das Dorf, in dem sie die Toten zu finden geglaubt hatten. Das Dorf, in dem das Pferd des Spähers gesehen wurde. Als alles überprüft wurde, stellte sich heraus, dass das letzte, das wirklich geschehen war, die Verletzung des Pferdes auf der Straße im Wald gewesen war.
Da die Gebete anscheinend geholfen hatten, die Illusion der Stimme zu vertreiben, wurde im Ort der Poenaschrein aufgesucht, um dort um den Beistand der Viere zu beten. Es wurde auch der Beschluss gefasst, nachts zu rasten, um den Gefahren der Nacht zu entgehen und jeden Tag einen Schrein aufzusuchen.
Im Dorf wurde das Pferd gekauft, das die Ansprüche als Reittier am ehesten zu erfüllen schien, wurde gekauft. Seltsamerweise war die Illusion, die Lüge so ermüdend gewesen, als wäre sie Realität. Doch nach einem kräftigen Mahl und einigen Stunden Schlaf, ritt die Gruppe weiter, um noch die nächste Poststation zu erreichen, bevor die Nacht herein brach. Ab dann würde die Reise auf der Reichsstraße A1 verlaufen.
Am Himmel waren immer noch Wolken, doch spitzelte immer wieder die Sonne durch und gab Hoffnung. So verging der Weg zum Nachtquartier wie im Fluge. Nach einem Gebet im Xurlschrein, war auch die Nacht so still wie jede andere und trotz des Wachwechsels hatte keiner Mühe, Schlaf zu finden.
Der Ritt des nächsten Tages begann im Morgengrauen und es sollte ein sonniger Herbsttag werden. Nun, da sich die Reiter auf der Reichsstraße A1 befanden war der Verkehr deutlich dichter als bisher. Regelmäßig begegneten sie Reitern oder Gespannen auf der Straße, aber kaum jemand hatte es so eilig wie sie. Die Ruhe des letzten Tages ließ die Zuversicht in allen wachsen. Nur der Späher schien besorgt und irgendwann meldete er auch, dass er glaubte Verfolger oder Gestalten im Wald gesehen zu haben. Da der Späher durchaus geübt in seiner Profession war, zeigte diese Nachricht auch ihre Wirkung und man ließ mehr Vorsicht walten.
Einige Zeit später hielt ein Kutscher, wohl ein fahrender Händler neben der Gruppe an. Mit flinken Worten pries er seine Waren und war bereit, auch allerlei als Bezahlung anzunehmen. Plötzlich ernst geworden teilte er mit, dass er auch die Kunstwerke im Tausch gegen seine Waren tauschen würde. Keiner stellte mehr Fragen und ohne viel Federlesens ritt die Gruppe aus Idyllie weiter.
Das Tempo war stramm, gerade so, dass es die Pferde nicht übermassig ermüden würde.
Das Gefühl, verfolgt zu werden wurde immer stärker und mit einem Male, ohne Vorzeichen stürzten 2 Bäume des umgebenden Waldes auf die Straße. Die Ritter zogen blank und so schnell es ging wurde das Hindernis überwunden oder umgangen.
Wieder verspürte Hannes Kopfschmerzen, was für weitere Unruhe sorgte, da diese wohl ein Zeichen für irgendwelche Manipulationen waren. Wieder war die Stimme zu hören und es war, als würde eine Kraft an den Kunstwerken zerren.
Dann war die Stimme verschwunden, nur Hannes Schmerzen blieben.
Der Ritt folgte der Straße und wieder blieb es einige Zeit ruhig. Ein Bauer kam mit einem Korb voll Waren entgegen und grüßte freundlich. Dann jedoch, als die Reiter schon vorüber waren, grüßte er nochmals. Allein, hinter der Gruppe ritt und ging niemand – aber warum sollte der Bauer sonst grüßen? Verwunderung stellte sich ein. Wieder wurde das Tempo für eine Weile erhöht.
Der Weg zog sich hin, aber es war erstaunlich ruhig. Geradezu verdächtig wenig Verkehr auf einer der wichtigsten Straßen Heligonias, denn die Reiter waren schon einige Meilen niemandem mehr begegnet.
Am nächsten vereinbarten Treffpunkt mit dem Späher war keine Menschenseele.
Die Gelehrten machten sich auf zu untersuchen, ob es sich wieder um eine Täuschung handeln würde. Und Hannes bestätigte dass die Straße echt sei, wenn auch mit einer Stimme, die abwesend klang. Gerade als Prinz Anselm ein Geräusch im Unterholz zu hören glaubte, war von Hannes noch ein „Da ist noch wer“ zu hören, vor er unter Schmerzen zusammensackte.
Magister Londaé versuchte noch, gegen das anzukämpfen, was da war, doch es schien nicht zu gelingen. Dann ging alles ganz schnell.
Eine Stimme rief: „Keinen Schritt weiter!“ Rings um die Reisenden tauchten Männer im Gehölz auf. Sie hielten Armbürste in der Hand und sahen auch so aus, als könnten sie damit umgehen. Aus Richtung Norden kam ein Ritter hoch zu Ross, das Visier des Helmes geschlossen und ebenfalls mit einer Armbrust bewaffnet.
Als sein Pferd stand, sprach er Prinz Anselm an, er solle die Kunstwerke übergeben und es würde niemandem etwas geschehen. Sie dürften Escandra nicht erreichen, sondern müssten ihren Weg gehen. Die Frage nach Namen und Herkunft des unbekannten Ritters fand keine Antwort. Baron Hektor forderte ihn zum ritterlichen Zweikampf, um die Sache zu klären. Doch der Ritter schlug das mit Bedauern aus, da er an höhere Eide gebunden sei. Er teilte den Gefährten auch mit, dass er zwar für das Königreich sei, aber nicht auf königlichen Befehl handeln würde. Immer wieder jedoch wies der Fremde darauf hin, dass er niemanden verletzen wollte, schon gar nicht Personen von so hohem Stand.
Während des kurzen Gesprächs kam Hannes wieder zu sich.
Als hätte ihn jemand darauf hingewiesen, blickte er den Weg zurück, den sie gekommen waren. Dann zog er seinen Dolch, machte einige Gesten und da sahen alle, was er sah. Aedh.
In der dadurch entstandenen Verwirrung zog Prinz Anselm mit einer fließenden Bewegung seinen Bogen und richtete die Waffe auf einen der Armbrustschützen. Beschwichtigend redete er auf den Angreifer ein, er solle sich zurückziehen und es würde ihm nichts geschehen. Allein, es tat sich nichts. Nach einer Weile befahl der fremde Ritter seinen Mannen, die Waffen zu senken und auch der Prinz senkte den Bogen.
Die Gelehrten währenddessen hatten andere Sorgen. Aedh begann nun seinerseits, mit den Armen zu gestikulieren und murmelte Worte vor sich hin. Die beiden Tlamaner versuchten ihn daran zu hindern, den Zauber zu vollenden. Doch es gelang ihnen nicht.
Gerade als alle ihre Waffen zu Boden richteten, begann Aedhs Magie zu wirken. Eine unnatürliche Schwere und Schläfrigkeit legte sich auf die Gefährten. Magistra Tiziana konnte sich gerade so wach halten und Prinz Anselm schien vom Zauber völlig unbeeindruckt. Doch die anderen sanken in einen traumlosen Schlaf.
Der Ritter sprach mit Verwunderung: „Prinz Anselm, das hätte ich nicht von Euch erwartet. Ich zähle bis zehn, dann steigt auch Ihr bitte von Eurem Pferd ab. Sonst sehe ich mich gezwungen, Euch zu verletzen.“
Langsam und mit fester Stimme zählte er bis zehn. Prinz Anselm wich keinen Finger breit.
Dann hörte man das Surren der Sehnen und den dumpfen Aufschlag der Bolzen auf und durch die Rüstung des Prinzen. Leblos fiel Anselm vom Pferd.
Diesen Moment nutzte Tiziana. Sie zog ihr Gürtelmesser, ritt auf Aedh zu und verwundete ihn am Arm. Dann aber gab sie ihrem Pferd die Sporen um das Kunstwerk, das in ihrer Satteltasche war, zu retten. Trotz ihrer bescheidenen Reitkünste trieb sie ihr Pferd immer weiter an und sie klammerte sich mehr an den Hals des Tieres als sie im Sattel ritt. Erst einige Meilen weiter, als sie sicher war, niemand würde sie sehen, versteckte sich die Magistra im Unterholz und beobachtete die Straße.
Dort verharrte die Betiserin. Es war zu unwahrscheinlich, dass sie unverfolgt bliebe. Und tatsächlich kamen einige Minuten später der fremde Ritter und Aedh die Straße im gestreckten Galopp entlang geprescht. Den Vieren sei Dank, Tiziana blieb unbemerkt. Sicherheitshalber verließ sie auch weiterhin ihr Versteck nicht. Wohin sollte sich auch gehen? Eine Weile später kam Hannes Reichenbach mit zwei Rittern der Thaler Ritterschaft die Straße entlang, ebenfalls im schnellsten Ritt. Tiziana gab sich zu erkennen.
Hannes berichtete was geschehen war. Die Angreifer hatten Anselm schwer verwundet, ihn aber notdürftig verbunden. Anscheinend achteten sie das Leben der Überfallenen tatsächlich so hoch, wie sie sagten. Anselm sei versorgt und auf eine eilig gebaute Schleiftrage legt worden, um ihn zum nächsten Posthalterei zu bringen. Allerdings waren die Kunstwerke, die Hannes bei sich trug, verschwunden und wer sie genommen hatte, war wohl außer Frage. Irgendwann seien zwei Reisende aufgetaucht, die immer nur dumpf den Satz „Wir wollen nach Süden“ von sich gaben. Da Hannes diese als Diener des Unsichtbaren einschätzte, die entweder auf der Suche nach Aedh oder Tizianas Kunstwerk, ritt er in diese Richtung, um die Betiser Magistra zu finden.
Kaum hatte er das erzählt, kam Baron Hektor auf seinem Schlachtross angeprescht. Mit wutverzerrtem Gesicht fragte der Haudegen, nach dem Ritter und Aedh. Als er die geforderte Antwort erhalten hatte, galoppierte der weiter und keiner wagte zu fragen, was er vorhatte.
Wieder eine Weile später kam Londaé zusammen mit dem Späher des Weges. Londaé nahm sich etwas Zeit, um einige geschehene Dinge zu erklären. Hektor war der Spur der Angreifer gefolgt, die wohl einen kleinen Umweg genommen hatten. Nachdem der Prinz soweit versorgt war, folgte Londaé mit dem eben angekommenen Späher ebenfalls der Spur. Doch wie sollte es nun weiter gehen? Nach einigem Hin und Her kam man zu dem Schluss, dass die Aufgabe, das verbliebende Kunstwerk nach Escandra zu bringen, noch immer Vorrang hatte. So ritten Tiziana, Hannes und der Späher zusammen mit den Rittern wieder gegen Norden, um die verbliebenen Ritter und den Prinzen einzuholen. Allerdings wurde wieder ein Umweg gewählt. Keiner hatte Lust, die Begegnung mit den Dienern des Unsichtbaren zu wagen. Londaé selbst folgte Baron Hektor in südlicher Richtung.
Die Gruppe um den Prinzen war bald ausgemacht. Sie ritten Richtung Norden, kamen aber nur langsam voran. Anselm war noch immer ohne Bewusstsein und eine ordentliche Versorgung seiner Wunden war unbedingt von Nöten. Wieder wurde der Späher losgeschickt. Die nächste Posthalterei konnte kaum mehr eine halbe Wegstunde entfernt sein und der Thaler Recke sollte alles für die Ankunft vorbereiten.
Als die Begleiter Anselms in der Dämmerung im nächsten Dorf ankamen, wussten sie auch, dass der Späher seinen Auftrag erfüllt hatte.
Heißes Wasser und Verbandstuch lagen für Anselm bereit, für die anderen war ein kräftiges Essen bereitet und der Schlafsaal des Gasthofes stand ihnen offen. Doch konnte niemand viel für Anselm tun, denn ein einfacher Verband konnte hier nicht weiterhelfen und es war kein Heiler zugegen.
Eine gute Stunde später kamen auch Baron Hektor und Magister Londaé an. Irgendwann in der Dämmerung hatten sie die Spur verloren und waren zurückgekehrt, um den anderen zu helfen.
Londaé als erfahrener Heiler machte sich sofort daran, den Prinzen ausgiebig zu behandeln, was die halbe Nacht in Anspruch nehmen sollte. Keiner wollte berichten, was hinter der verschlossenen Tür geschah, aber am nächsten Morgen war Anselm soweit genesen, dass er aus eigener Kraft reiten konnte.
Hannes Reichenbach machte sich auf, in der Dorfschmiede die Rüstung des Prinzen zu flicken. Der Schmied hatte seine Freude daran, nach langen Jahren endlich wieder etwas anderes zu tun, als Hufeisen anzupassen und nie brannte das Feuer in seiner Esse heißer als in dieser Nacht.
Baron Hektor jedoch schnaubt noch immer vor Wut. Er bestellte ein Mahl für sich, eine Kanne starken Kaffee und setzte sich in die Gaststube. Nach dem er satt war, blieb er dort sitzen, rammte seinen Dolch immer wieder und wieder in die Tischplatte und wartete. Eine Duellforderung war noch offen und wenn der Fremde Ehre besaß, dann würde er kommen.
Dann, Stunden später, ging die Tür auf, der Torwächter kam herein und flüsterte dem Wirt etwas ins Ohr. Dieser deutete auf Hektor. Der Recke jedoch musste nicht erst hören, was der Wächter zu sagen hatte. Er sprang auf, nahm Helm, Schild und Schwert und ging mit entschlossenem Schritt auf den Dorfplatz.
Dort befand sich der Erwartete, hoch zu Ross, das Visier noch immer geschlossen. Erst jetzt fiel dem Baron auf, dass weder Rüstung noch Ross des Fremden Wappen, Markierungen oder Brandzeichen hatten. Sehr ungewöhnlich, denn es war eine Rüstung, die einem Ritter würdig war und gleiches galt für das Pferd.
Der unbekannte Kämpe stieg von seinem Reittier. Da er kein Schild hatte, warf auch der Baron das Seinige weg. Es war ein Kampf der Ehre.
Die beiden Recken umkreisten sich wie Raubtiere. Ihre Schwerthiebe waren hart und unerbittlich und das helle Klingen der Waffen war weit zu hören. Sie waren einander ebenbürtig. Jeder versuchte, den anderen zu überlisten, doch immer nur mit Mitteln, die auch diesem Kampf würdig waren, denn hier standen sich Edelmänner gegenüber. Mal erzielte der eine einen Treffer, dann der andere, doch keiner konnte einen großen Vorteil erringen und das meiste hielten die schweren Panzer ab.
Dann jedoch gelang es Baron Hektor, seinen Gegner zu Fall zu bringen. Einen Augenblick der Unachtsamkeit nutze er unerbittlich und der Fremde lag am Boden und hatte auch schon Hektors Schwertspitze an der Kehle.
„Ergebt ihr euch?“
„Ja, ich ergebe mich!“
Der Liegende erhob sich, beide steckten die Waffen weg und verneigten sich voreinander. Der Ehre war genüge getan.
Der Fremde bedauerte noch einmal zu tiefst, dass der Prinz von Thal so schwer verwundet wurde und war sichtlich erfreut darüber zu erfahren, dass es ihm schon wieder besser ginge.
Der Baron der Lormark wünschte den Namen des Fremden zu erfahren. Jener verwies wieder auf die höheren Eide, die er geschworen hatte und nannte ihn nicht. Als Ausgleich nahm er aber den Helm ab und zeigte dem Baron sein Gesicht. Dieses Gesicht würde Hektor von Eichenstein, Baron der Lormark sicher nicht vergessen.
Noch im Morgengrauen wurde der Gasthof verlassen. Der Tag schien zwar nicht regnerisch zu werden, aber es hingen doch einige Wolken am Himmel. Jedem war eines bewusst: Einen weiteren Angriff dieser Art würde die Gruppe nicht überstehen. Die Macht des Gegners war zu groß. Auch wurde viel darüber gesprochen, ob es besser gewesen wäre, sich zu trennen und die Kunstwerke auf verschiedenen Wegen zu transportieren. Keiner wusste es zu sagen, denn zu vieles an den Verfolgern war mysteriös. So verging die Zeit und man kam so gut es die Umstände erlaubten voran. Keine Stimmen, keine Gestalten im Unterholz.
Zur vierten Stunde kam am Horizont eine Gruppe Reiter in Sicht. Rüstungen waren zu erkennen und alsbald, waren die Wappenröcke der Heliosgarde des Königs zuzuordnen. Welche Erleichterung. Die Königlichen, angeführt von einem Heliosritter kamen vor den Reitern aus Idyllie zu stehen. „Mein Name ist Nicoforus und seine allerdurchlauchtigste Majestät der König schickt uns, um euch Geleit nach Escandra zu geben.“
Die Brieftaube, die Magister Dekanus Rasmus losgeschickt hatte, war also an ihrem Ziel angekommen.
Die Gardisten flankierten also die Gruppe um Prinz Anselm und gemeinsam ging es gegen Escandra. Nicht alle Zweifel waren durch diesen Schutz beseitigt. Würde es der unbekannte Gegner wagen, seine Hand auch gegen die Heliosgarde zu erheben? Doch nichts geschah.
Die Nächte waren so ruhig wie die Tage und eine halbe Woche später kamen die stolzen Mauern von Escandra, der Stadt des Königs in Sicht. Kein Torwächter wagte es, die Gruppe am Durchritt zu hindern, niemand stellte sich in den Weg, der geradewegs auf den Palast zu führte. Und als das angesteuerte Tor in Sicht kam, öffnete sich dieses, als hätte man auf die Reiter gewartet. Und mit dem betreten dieses Palastes, so groß und weitläufig wie ein ganzer Stadtteil wussten alle der elf, die aus Idyllie kamen, dass sie nun endgültig in Sicherheit waren. Wenn nicht hier, dann nirgends sonst.

Traktat über die edlen Gesteine fertiggestellt

Mira Mabignon, Magistra an der Academia Rei Praeheliotica und Geweihte der Saarka, hat rechtzeitig zum diesjährigen Gelehrtenconvent in Idyllie, Tlamana, ihr Werk „Traktat über die edlen Gesteine“ fertiggestellt. Das Buch widmet sich vornehmlich den magischen und invokatiblen Kräften der Steine. Es ist ab sofort in der Bibliothek von Idyllie einzusehen und dort auch käuflich zu erwerben. Voraussichtlich wird es in einigen Monden auch in anderen Bibliotheken zur Verfügung stehen.

Warum Maschinen ?

„(…) Warum Maschinen, liebe Zuhörer, warum? Immer wieder bricht der Disput zwischen den Gelehrten aus, wo denn die Vorteile der Apparati liegen und ob denn überhaupt ein Vorteil besteht. So möchte ich denn hier noch einiges dazu sagen, was jedoch nur meine Überzeugung wiederspiegelt und sicher nicht die der Allgemeinheit.
Zuvorderst ist zu klären, warum denn nun die Apparati gerade in Heligonia so weit verbreitet sind. Bei genauer Betrachtung muss dieser Punkt aber anders hinterfragt werden. Warum sind sie in anderen Ländern so selten? Nun, dafür gibt es 2 Gründe. Der erste ist jener, dass ein oder zwei der Vorteile der Hohen Mechanik (vor allem bezüglich der Dämpfung) in Heligonia ganz besonders vorteilhaft sind. Der zweite ist das Wissen über diese Kunst. Auch wenn man in vielen Ländern hin und wieder Kundige findet, so ist denn das einzig mir bekannte Land, das eine entsprechende Organisation beheimatet – nämlich den Ordos Mechanicus – unser geliebtes Königreich.
Eines eben jener speziell heligonischen Vorzüge ist die Dämpfungseignung der Maschinen. Auch wenn ein Apparatus von Magie durchdrungen ist, so ist denn diese für das Auge des Unsichtbaren wesentlich schwerer zu entdecken, als dies sonst der Fall wäre. Die Theorie besagt, dass die Mechanik an sich schon auf dem richtigen Wege ist und die Magie nur den letzten Schritt tut, um die gewünschte Funktion zu ermöglichen. Ein interessantes Beispiel wäre eine gasgefüllte Kugel aus Metall. Nun wurde schon öfter ein dünner Ballon mit Gasen gefüllt, auf dass dieser auch aufstieg, aber die Kugel ist denn nun deutlich zu schwer. Hier hilft die Kraft der Magie. Der natürliche Effekt des Schwebens eines solchen Ballons würde dermaßen verstärkt, dass auch die Kugel abhebt. Es wird also kein neuer Effekt geschaffen. Und gerade dieses Nicht-Erschaffen von etwas Neuem sondern das geschickte ausreizen von Vorhandenem bewirken die dämpfungstechnisch günstigen Eigenschaften.
Allerdings wurden in den letzten Jahren immer wieder – wenn auch äußerst selten – rein magische Konstrukte gefunden, die einen ähnlichen Effekt aufwiesen. Die Fäden waren so geschickt gewoben, dass es so etwas wie nach außen abstrahlende Kraft nicht gab. Alle Kraft war ihrem Zweck zugeführt, nichts ging nach außen. Wo nichts abstrahlt, kann nichts wahrgenommen werden. Wo nichts wahrgenommen wird, da wird auch nichts erkannt. Wo nichts erkannt wird, da ist auch keine Schuld. Der Effekt ähnelt also dem der Apparate, wenn auch auf einem anderen Weg. Leider ist das Wissen um diese Kunst der Konstrukte äußerst komplex und wohl kaum jemandem bekannt.
Auch der Zeitaufwand, um einen Apparatus zu aktivieren wird oft als äußerst günstig gesehen. Einen oder zwei Schalter umgelegt, ein paar Räder gedreht und schon entsteht ein kleines Wunder. Wie kurzsichtig diese Meinung doch ist! Kaum einer, der eine Maschine bei ihrer Arbeit betrachtet, denkt daran, wie sie entstand. Die Idee zu haben, diese Idee in Skizzen zu bannen und diese Skizzen schlussendlich in einen Apparatus umzusetzen, das geht nicht über Nacht. Meist ist die Zeit, die eine Apparatur zum Bau benötigt nicht in Stunden und Tagen zu messen, sondern in Wochen und Monaten. Und damit ist mitnichten eine ruhige Zeit des Studiums und der Theorie gemeint. Mal ist die Arbeit schwer, mal diffizil. Nie jedoch so, dass man unachtsam sein dürfte. Und ist dann nach langen Mühen das Werk einmal vollbracht und funktioniert, dann will das Gerät gewartet werden. Die Kraft zehrt die Teile aus und die Reparaturen nehmen ihren Teil der Zeit. Der Schein der schnellen Funktion ist zwar und nicht völlig falsch, doch man bedenke die lange Zeit davor. So mancher Zauber ließe sich wirken in dieser Zeit. So mancher Kreis würde gezeichnet, voll von großer Macht. Doch der Mechanicus weiß, Geduld ist seine Tugend und Geschwindigkeit ist nicht der Weg, der zu einem neuen Apparat führt.
Doch wenn eine neue Maschine durch die kundige Hand des Apparatisten geboren wurde, dann zeigt die lange Zeit der Arbeit ihre Wirkung. Kaum ein Apparat wird erschaffen, nur um ein kleines Licht zu erzeugen, es sei den zur Übung. Meist ist die Dichte der Kraft, die dem Gerät innewohnt so groß wie seine Komplexität. Für die schwere Aufgaben wurden die Werke der Apparatisten schon eingesetzt, großes bewegten sie. Und wieder erklingt der Ruf, die Apparati seien mächtiger als die gewöhnliche Magie. Doch auch wenn dies die Hoffnung vieler ist, so ist es denn falsch. Die Kraft der Maschinen liegt nicht in ihrer Natur, sondern in ihrem komplexen und doch soliden Aufbau. Es wäre denn durchaus möglich, das gleiche zu tun, auf anderem Wege. Ein Detail darf aber nicht verschwiegen werden: Die Präzision. Nun ist es allen Kundigen bekannt, dass bei der Magie Kräfte im Spiel sind, die den Nutzer ohne weiteres in den Wahnsinn, ja den Tod treiben können, vom Unsichtbaren ganz zu schweigen. Wird ein Zauber erst einmal gewirkt, so ist der Sprechende doch sehr anfällig für Störungen und Ablenkungen und selbst der mächtigste Kreis kann wertlos sein, wegen einer einzigen falschen Rune. Sicher hat ein trockener Hals und das dadurch entstandene Räuspern schon mehr als einem Beschwörer das Leben gekostet und finstersten Kreaturen ein unerwartetes Mahl beschert. Die Maschine jedoch wird während des Baus immer wieder getestet, Teil für Teil und am Ende in Einem. Immer wieder geschmiert und kalibriert. Und so kann der Apparatist sicher sein, dass die Funktion des Tests auch genau so zu Tage tritt, wenn es darauf an kommt. Das kalte Funktionieren ersetzt das menschliche, aber fehlerhafte des Zaubernden. Wehe aber dem, der den Apparat falsch plante und baute. Wehe dem, der Versuche unterließ und blind auf seine Fähigkeiten vertraute. Denn die Maschine wird dann eben so präzise den Fehler des Erbauers wiederholen. Denn der Apparat kennt weder Freund noch Feind und auch keine Gnade.
Manchmal zum Segen, manchmal aber auch zum Fluch zeigt sich hier aber auch eine weiter Eigenschaft, die aus den bereits genannten erwächst. Ein Apparat ist geradezu beneidenswert effizient! Wurde der Weg konsequent beschritten, so geht kaum Kraft verloren, die Funktion wird exakt erzeugt und die Kraft der Mechanik durch die Kraft der Magie verstärkt. Wohl kein anderer Zauber kann mit ähnlich geringen Mengen der Kraft so viel bewirkten. Und doch, was ist dieser Vorteil schon, gegen den Pferdefuß der Zeit, die aufgewendet wurde, um das Gerät zu bauen. Alles und doch nichts. Gerade hier ist es schwer zu sagen, wo der größere Vor- oder auch Nachteil liegt, so wie bei vielem.
Lange könnte die Liste der Beispiele geführt werden und noch weiteres wäre auffindbar, das die Apparati bestärkt oder auch abschwächt. Aber eine Erkenntnis würde immer stärker werden. Weder der Zauber noch der Apparat hat die größere Macht. Jedes hat den seinen Vorteil. Jedes seinen Nachteil. Alles ist eines und doch nicht.
Wo aber liegt der Grund, dass die Apparaturen so großes Aufsehen auf sich ziehen, auch wenn nur wenige ihre Funktion begreifen. Wo ist die Ursache zu suchen, dass Menschen, die kaum wissen was des denn sei, staunend vor laufenden Zahnrädern stehen? Der Grund liegt tief im Geist der Menschen. Es ist die Faszination, die diese Dinge ausstrahlen! Die pure Begeisterung, die ein Apparat in einem Betrachter hervorruft. Wer könnte sich schon der Urgewalt erwehren, wenn riesige Wasserräder stampfend an Zylindern arbeiten? Wer fühlt nicht die schiere Kraft, wenn sich ein Druckkessel mit Dampf füllt und zischend und bebend den Kolben hebt? Und oh welch Genuss ist der Anblick, wenn Zahnräder zum ersten mal ineinander greifen und ihren gleichförmigen und schnellen Tanz beginnen, ohne Makel und Fehl. Nur wenige sind unter uns, die je die Ehre hatten, die Großen Maschinen zusehen, deren Funktion hier nicht genannt wird. So gewaltig, dass sie ein einzelner weder bauen noch begreifen kann. Welche Ehrfurcht sie erwecken!
Und vielleicht findet jeder in dieser Begeisterung und dem kaum verständlichen Erstaunen einen Funken von sich selbst. Vielleicht ist es die Erkenntnis, dass die Welt an sich einer Maschine gleicht und jeder, wie ein kleines Zahnrad seinen Tanz vollführt. Frei und doch gebunden in der Funktion, im Schicksal der Welt. Vielleicht ist es dies, vielleicht auch nicht, aber wer möchte das begründen? Denn wird es begründet, wird es dadurch vielleicht auch zerstört. Und wer möchte es missen, wohl keiner derer, die unter uns weilen. Dieses Gefühl, das unser Antrieb ist. Die Faszination der Maschinen.“

Von den Laufmaschinen

In den Studentenkneipen der Oase Gebeh, dem Haupthaus des Ordo Mechanicus, hört man so manches. Wie unter allen Studenten üblich, werden die gängigen Späße getrieben, obskure Spiele gespielt und gewisse Rituale gepflegt, die wohl jeder von uns während seiner Lehrzeit miterlebt hat. Wie es unter Studenten so üblich ist, kreisen aber auch Geschichten von besonders kühnen, dreisten oder dummen Taten, die Kommilitonen oder Magister leisteten. Viele jener Geschichten sind schon so alt, daß keiner mehr sagen kann, was daran echt und was Ausschmückung ist, aber das ist auch nicht wichtig, denn allein das Amüsement ist der Zweck dieser Legenden, die mit Begeisterung weitergegeben werden. Jede Fakultät hat gemäß ihres Fachgebietes und ihrer Mentalität einen eigenen Schatz an Zitaten und Mähren und so kreisen denn die meisten Geschichten in Gebeh – natürlich – um Apparati. Wer wurde dort nicht als Erstsemester mit dem Scherz der Kolbenrückholfeder gefoppt und wurde nicht jeder einmal zu den Gärtnern geschickt, um einen Resonanzrechen zu holen (Ganz zu Schweigen von den Jaldi-Lufthaken)?
Die Geschichte, die ich hier aber niederschreibe, wird nicht so offen erzählt, da sie nachweislich wahr ist und so, oder so ähnlich, vor ungefähr 60 Jahren tatsächlich passierte.

Vor eben jener Zeit arbeitete in den Werkstätten von Gebeh eine kleine Gruppe äußerst talentierter Apparatisten, fünf an der Zahl. Ihre Leidenschaft war der Bau von Fortbewegungsmitteln. Es gibt viele Gerüchte warum und weshalb, aber es sei wie es sei, ihre Leidenschaft galt vor allem Wagen, die sie zur Perfektion brachten. Sie alle arbeiteten üblicherweise am selben Gefährt, aber noch in stetem Wettbewerb. Wenn sich der Eine eine bessere Lenkung ausdachte, baute der andere noch bessere Achsen und der Dritte konstruierte die unglaublichsten Antriebe. Genauso geschah es mit dem Korpus und der Aufhängung. Und jedes Modell, das sie bauten, war grandioser als das vorige, angetrieben vom heimlichen Wettstreit, wer der beste Mechanikus der Fünfe sei.
Eines Abends jedoch, als sich die Herren wieder mit ihren Ideen übertrumpfen wollten, sprach einer von Ihnen: „Ach, ich mag keine Karren mehr bauen. Unser Ziel ist es doch, die Mechanik der Welt zu verstehen. Nun, ich weiß nur zu gut, wie ein Rad rollt und wie man es antreibt, aber ich sehe keinen Gewinn darin, Kleinigkeiten immer noch weiter zu treiben. Ich will Neues tun. Laßt uns die Mechanik der Natur betrachten und sie nachbauen, auf daß wir aus ihr lernen. Laßt uns die Eleganz der Lebewesen beobachten, um sie unseren Maschinen einzuverleiben. Räder sah ich in der Natur noch keine, aber Beine hat es viele. Laßt uns Laufmaschinen bauen!“
Die ersten Blicke seiner Kollegen waren verwundert und es herrschte langes schweigen. Dann jedoch stürzten sich die Fünfe in eine hitzige Diskussion, die erst mit dem Morgengrauen endete und ihre Ideen benötigten in dieser Nacht viel Schmierstoff.
An den nächsten Tagen und auch in den Nächten wurde eifrig geplant und gedacht, aber es zeigte sich, daß jeder eine andere Vorstellung hatte, wie denn eine Laufmaschine zu sein hätte. Letzten Endes einigte man sich, daß jeder seine eigene Idee verfolgen und bauen sollte und insgeheim war denn auch jeder froh darum. Denn so konnte ihr heimlicher Wettstreit, noch besser weiter geführt werden. Jeder von ihnen konnte nun beweisen, daß er der Beste sei.

Der Erste machte sich die Spinnen zum Vorbild. Nicht die Schnelligkeit mancher dieser Tier faszinierte ihn. Vielmehr war für ihn die Fähigkeit interessant, Wände zu erklimmen, ohne erkennbaren Halt und Tritt. Der Mechanikus baute also ein achtbeiniges Gerät von seltsamem Aussehen. An den Enden der Beine befanden sich eigenartige Vorrichtungen, einer Käseglocke nicht unähnlich. Der Mechanikus nahm auf dem Steuersitz Platz und setzte das Ganze in Bewegung. Der Gang der mechanischen Spinne war weder schnell noch elegant. Um es genau zu sagen mußte man sich in der Nähe des Gerätes vorsehen, nicht von einem umherwirbelnden Bein getroffen zu werden. Aber es erfüllte seinen Zweck. Zuerst erklomm der Mechanikus die höchste Düne im Umkreis der Oase, danach einen Lagerschuppen und zum krönenden Abschluß machte er sich an das Hauptgebäude des Ordens, um es zu besteigen. Aber auf halbem Wege, also doch in beträchtlicher Höhe, blieb das Gerät stehen. Oder besser hängen. Der Mechanikus hatte die Kraftreserven der Maschine überschätzt und die vorhergehende Versuche hatten schon zu viel der Leistung aufgesogen. Da hing der Mechanikus nun und das Erstaunen der Zuseher schlug sehr schnell in Erheiterung über. Nachdem sich die Menge vom Gelächter erholt hatte, dauerte es 2 Stunden, bis man einen Weg fand, den Lenker der Maschine aus seiner Lage zu befreien. Nach weiteren 2 Tagen war auch die Maschine, die an der Wand verharrte, geborgen. Nach diesem Vorfall widmete sich der erste der Fünf anderen Gebieten der Mechanik. Die Maschine verschwand in den Archiven und kommt bis heute einmal im Jahr zum Einsatz, wenn der große Kuppelbau der Versammlungshalle gereinigt wird.

Der zweite der Fünf war ein Perfektionist. Er war der Meinung, daß die höchste Kunst darin läge, den Gang des Menschen bis ins kleinste Detail zu kopieren. Also tat er sich mit einem Anatomen zusammen und begann seine Arbeit. Aber je länger er arbeitete, desto größer wurden die Fragen und um so komplizierter wurde es. Er erforschte Muskeln und Sehnen, Gelenke und Knochen. Aber immer wenn er eines erforscht hatte, entdeckte er zwei neue Dinge. Nun, es kam wie es kommen mußte: Die Arbeit dauerte und dauerte und verschlang immer mehr vom Vermögen des Mechanikus. Der Anatom konnte bald auch nur noch Ratschläge, aber kein Wissen mehr beisteuern, denn solche Details, die der Mechanikus zu Tage brachte, hatte er noch nie gesehen. Immer wirrer wurden die Gedanken und Theorien des Wissenschaftlers und immer kleiner seine Barschaft. Doch die Arbeit ließ den zweiten der fünf nicht los, obwohl er sehenden Auges in den Ruin steuerte. Und wenn man Jahre später in Darbor einen Bettler in Lumpen sah, der im Wahn den Passanten auf die Beine starrte, dann war es der Mechanikus, der über der unlösbaren Aufgabe all seine Habe verbrauchte und dem Irrsinn verfiel. Der Anatom jedoch machte sich einen guten Namen, wenn es um die Heilung von Brüchen und Verrenkungen der Beine ging und verdiente so manchen Dukaten. Sein Name wird noch heute in so manchen anatomischen Büchern erwähnt, obwohl man munkelt, daß es nicht sein Wissen, sondern das des Mechanikus war, welches ihn berühmt machte.

Der dritte entschloß sich, etwas zu bauen, was noch nie da war. Er nahm sich kein Vorbild an der Natur und war der festen Meinung, nur etwas völlig neues könnte neue Erkenntnisse bringen. So baut der werte Herr ein sternförmiges Gebilde mit 5 Beinen. Der Mechanikus war fest davon überzeugt, dass sich dadurch ganz neue Möglichkeiten ergeben würden. Man könne sich doch in alle Richtungen gleichermaßen bewegen, ohne das Gerät zu wenden, denn der Winkel zischen den fünf Beinen war gleich groß, wie bei einem Seestern. Die Gangart bereitete gewisse Schwierigkeiten. Man konnte ja kein Tier mit fünf Beinen beobachten, um seine Schrittfolge nachzuvollziehen. So ersann sich der Gelehrte einen eigenen Bewegungsablauf. Das war das Problem. Um den genauer Hergang des Unglücks zu verstehen sollte man zumindest die Vorlesungsreihe „Stabwerksgetriebe Räumlicher Art“ genossen und verstanden haben. Für alle anderen sei kurz gesagt, dass sich in dem Bewegungsablauf ein winziger Fehler befand und sich nach einigen Schritten das zweite mit dem fünften Bein verhackte. Unglücklicherweise wurden die Beine von langen Antriebshebeln mit Kraft versorgt. Einer dieser Hebel brach und einige Zahnräder wurden durch die geballte Kraft eine halbe Meile weit geschleudert. Das führte dazu, dass die Maschine noch heute in der Inoffiziellen Liste der spektakulärsten Fehlschläge eine Sonderstellung einnimmt, denn so ein „Wurf“ gelang seitdem keinem anderen Apparatisten bei einem Fehlschlag. Hier bewahrheitet sich wieder die alte Weisheit „Gewaltig ist des Schlossers Kraft, wenn er am langen Hebel schafft“. Offensichtlich gilt das auch – und ganz besonders – für Maschinen. Der Mechanikus, der das ganze halbwegs unbeschädigt überstand, stellte zwar weitere theoretische Grundlagen für den Gang mit fünf Beinen auf, eine Maschine dieser Art baute er aber nicht mehr.

Der Vierte und der Fünfte waren die härtesten Rivalen. Die beiden Herren versuchten sich zu übertrumpfen, wo es nur ging. In diesem Falle jedoch hatten sich die beiden an der Geschwindigkeit festgebissen. Der eine baute eine Maschine, die ähnlich wie der Vogel Strauss auf zwei Beinen einher schritt, der andere imitierte den vierbeinigen Gang der Pferde. Keines der beiden Geräte war sonderlich schön, außerdem verbreiteten sie auch fürchterlichen Lärm und Gestank. Ihr Rütteln war so stark, dass nach jedem Test die Schrauben neu festgezogen werden mussten und die „Reiter“ verschütteten ob des Zitterns immer die Hälfte des ersten Getränks nach dem Absteigen. Doch eines musste man den beiden Gefährten lassen: Sie waren schnell. Selbst bei den ersten Proberitten hatten die Pferde, die sie begleiten wollten, nicht die geringste Chance. Und das, obwohl die beiden Gelehrten fest versicherten, bei weitem nicht die Endgeschwindigkeit erreicht zu haben. Nun, das Unheil nahm in Form einer Wette in einer Taverne seinen Lauf. Ausgelöst von den ersten gesetzten Dukaten, wer das schnellere Gefährt baue, hatte nach einem Mond fast jeder auf einen der beiden Konkurrenten gesetzt. Und so wurde ein Rennen vereinbart. In diesem Moment kamen die Heilkundigen zu Wort, die sich sehr kritisch ob der hohen, bis dato unbekannten Geschwindigkeiten äußerten. Man hörte eine Menge mehr oder weniger glaubhafter Aussagen von ihnen. „Ihr werdet blind werden!“ „Euch wird das Blut in den Adern gerinnen!“ „Die Haut wird euch abgehen!“ Aus unerklärlichen Gründen kamen die Heiler nicht auf das einfachste und auch naheliegendste: „Ihr werdet euch den Hals brechen!“. Genau dieser Fall trat ein. Die beiden Reiter hatten sich einige Meilen entfernt von der Oase (die Magister hatten das Rennen in Gebeh selbst untersagt) und starteten unter dem Jubel ihrer Anhänger die Maschinen. Was genau geschah, kann keiner sagen. Unter ohrenbetäubendem Lärm wurde eine Wolke aus Sand aufgewirbelt, vermischt mit dem Rauch der Maschinen. Diese Wolke war so groß und dicht, dass kein Zuseher von sich behaupten kann, das Rennen auch nur ansatzweise gesehen zu haben. Erwiesen ist jedoch, dass wenige Augenblicke später ein äußerst unangenehmes Geräusch zu vernehmen war, welches nur entsteht, wenn Gerätschaften an einem Hindernis zerschellen. Der Haufen aus verformten Gerätschaften befand sich über 500 Schritt weit weg und aus diesem konnten die beiden Gelehrten nur noch leblos geborgen werden.

Und wo finden wir die Moral dieses Irrsinns? Wenn du einen Apparat bauen willst, dann hast die selben Dinge zu beachten wie beim setzen einer Schraube: Erfinde die Schraube nicht jedes mal neu. Platziere sie da wo sie auch trägt, sonst ist sie umsonst. Überlege, ob es nicht auch eine einfache Niete tut. Und wenn du die Schraube anziehst, dann denke immer daran: Nach Fest kommt Ab!

Von der Definition von Ritualen

Eine kurze Zusammenfassung
von Gedanken und Überlegungen

Als ich vor kurzem über einen Text stolperte, welcher betitelt war mit ‚Kleine Ritualkunde‘, verfasst von einem gewissen Gared Le Mur der Magiergilde zu Etraklin stieß ich auf eine Beschreibung, die mir seltsam erschien:

[..] Typische Rituale sind Wiederbelebungen, Dämonenbeschwörungen oder die Verbannung solcher Kreaturen, Teleportationen oder aber auch die Schaffung magischer Gegenstände. Wie man aus dieser Aufzählung ersehen kann, handelt es sich hierbei meist um größere Mengen der Magie, die hier geformt werden. [..]

Nun stellt sich für einen unbedarften Leser doch die Frage, ob diese ‚Definition‘ denn überhaupt richtig ist bzw. stellte sich mir die Frage, wie man ein Ritual denn am geschicktesten definieren sollte. In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass ich mitnichten die Kompetenz des verehrten Gared Le Mur anzweifle, der in seinem Text auch eher die praktische Seite von Ritualen anschneidet und diese theoretischen Dinge nicht näher behandelt, sondern es war vielmehr ein Stein des Anstoßes, der mir diese Frage in den Geist stieß.
Stellen wir uns also die Frage ‚Was kennzeichnet ein Ritual?‘ oder ein wenig anders formuliert: ‚Wie unterscheidet sich ein Ritual von einer anderen magischen Handlung?‘
Ein Ritual will, durch Benutzung verschiedener Techniken, einen magischen Effekt erzeugen. In diesem Fall soll die Frage nach den Grundlagen der Magie ernachlässigt werden und auch die eigentliche Definition von ‚magischer Effekt‘ wird einfach als gegeben vorausgesetzt. So scheint es also, dass ein Ritual denselben Zweck verfolgt wie ein gewöhnlicher Zauberspruch, nehmen wir als Beispiel ‚Isadurils kleine Heilung‘.
Trotzdem bleibt die Frage nach den Unterschieden von Ritualen und Zaubersprüchen, welche ich hier als Beispiel für im Volksmund als nicht-rituelle magische Handlungen gelten lassen möchte. Der erste Unterschied der uns meist auffällt ist die Tatsache, dass ein Ritual meist für einen speziellen Zweck entworfen wird und selten sehr oft Verwendung findet, während Zaubersprüche für immer wiederkehrende Problemstellungen benutzt werden. Ein anderer Unterschied ist die Kraft, welche ein Ritual von einem gewöhnlichen Zauber unterscheidet: Viele Rituale bündeln wesentlich mehr Energie als für einen gewöhnlichen Zauberspruch Verwendung finden würde (und benötigen daher mehrere Magier oder eine spezielle Kraftquelle). Alternativ sind manche Rituale auch gar nicht so kraftintensiv, sondern zeichnen sich durch ihre große Komplexität aus: Viele Rituale werden abgehalten um Ziele zu erreichen, die nur durch komplizierte Methoden und Techniken erreichbar sind, weshalb sie sich meist mehrer Magier bedienen. Es gibt auch eine Grauzone im Bereich sehr mächtiger Zauberformeln, welche noch einmal im Verlaufe dieses Texts erwähnen finden wird: Einige wenige Zauberformeln sind hochkomplex und fordern selbst den Besten unserer Zunft alles ab, teilweise mehr als manch ‚leichtes‘ Ritual.
Die Tatsache, dass Rituale meist wesentlich länger dauern als gewöhnliche Zaubersprüche liegt wohl in den oben genannten Tatsachen begründet: Zum einen sind Rituale meist weniger gut vorbereitet und perfektioniert als Zaubersprüche, welche teilweise über Jahrhunderte hinweg entwickelt wurden. Zum anderen verlängert sich die Dauer natürlich auch durch die größeren Energiemenge oder den erhöhten Komplexitätsgrad des gewünschten Effekts. Schließlich wird bei den meisten Ritualen in sehr kleinen Schritten vorgegangen, während Zaubersprüche meist komprimierter sind. Diesbezüglich ist die Dauer zwar ein Unterschied zwischen Zauberspruch und Ritual, wohl aber nur ein abgeleiteter aus den anderen Unterschieden.
Fassen wir also die wichtigen Unterschiede noch einmal zusammen:
1) Zaubersprüche finden für häufig gebrauchte Effekte Anwendung
2) Zaubersprüche benötigen weniger Energie und/oder
3) Zaubersprüche besitzen einen wesentlich niedrigeren Komplexitätsgrad als Rituale.
Aus dieser Grundlage lässt sich leicht eine einfache Tatsache ableiten: Zaubersprüche sind Rituale.
Dies erkennt man daran, dass ein (im Volksmund so genanntes) ‚Ritual‘ sich nur in Stärke, Komplexität oder Spezialisierung von einem Zauberspruch unterscheidet. Und wirklich, wenn man einen beliebigen Zauberspruch mit einem (sog.) Ritual vergleicht, erkennt man die Ähnlichkeiten: Zwar verwendet man für Zaubersprüche eigentlich keine Kreise oder Vielecke, aber die Verwendung von Komponenten, Gesten, speziellen Worten, Konzentrationsübungen, etc. findet bei beiden Verwendung. Wenn also sich zwei Dinge nur im Grad, nicht aber in ihrer Art unterscheiden, dann können sie wohl unter einem gemeinsamen Begriff verbunden werden, was der Wirklichkeit auch reichlich näher liegt als eine strikte Trennung von zwei Dingen, die eigentlich nicht wirklich getrennt sind. Dementsprechend führt die Verwendung von zwei komplett verschiedenen Begriffen für zwei eigentlich gleichartige Dinge höchstens zu Verwirrung und falschen Herangehensweisen.
Dementsprechend kann man allgemein ableiten:
‚Jede Handlung, welche dazu dient, einen magischen Effekt herbeizuführen ist ein Ritual.‘
Nun unterscheiden sich die verschiedenen Arten von Ritualen wohl voneinander:
1) mindere Rituale – zum Beispiel Zaubersprüche – sind relativ einfach in Struktur und verwenden nur wenig Energie. Meistens sind sie hochspezialisiert.
2) große Rituale – wie sie der Volksmund kennt – unterscheiden sich in zwei Arten, nämlich nach dem Grund ihrer Anwendung, welche dazu führen, dass meist mehrere Magier teilnehmen:
– um größere Energien zu bündeln
– um komplexere Effekte zu erreichen
Daran erkennt man auch, warum es eine Grauzone geben kann zwischen diesen beiden Unterteilungen, denn diese Grenze ist natürlich fließend.
Theoretisch gibt es eine dritte Form (nennen wir sie ‚primitive‘ Rituale), welche nur kleinste Effekte besitzen oder nur pseudo-magischen Zwecken dienen. Hier ist die Grauzone zum puren Aberglauben wohl aber recht groß und umfassende Definitionen und Studien wären für eine wirklich exakte Einteilung nötig.
Damit hoffe ich, einen kleinen Anstoß zur Nomenklatur gegeben zu haben. Doch nicht nur dazu soll diese Definition dienen, denn wenn man versteht, was Rituale sind, dann versteht man auch, dass verschiedene Techniken, welche nur in ‚Ritualen‘ respektive nur in Zaubersprüchen vorkommen wohl durchaus für das jeweils andere verwendet werden können. Wie bereits geschrieben wurde: Wenn man zwei Dinge, die eigentlich gleichartig sind, als verschiedenartig betrachtet, kann dies nur zu falschen Ideen führen.

Phantastischer Reisebericht

Eines Abends vor nicht allzulanger Zeit gab im „Irrlicht“ zu Arnstein ein junger Ziegenhirte namens Ames Bund folgende Erzählung zum Besten:

„Heda, Leute, hört mich an! An diese Geschichte denkt ihr noch in Jahren. Ich kann sie selbst kaum glauben, doch sie ist passiert, so wahr ich hier sitze!
An einem schönen Tag im Frühling habe ich die Ziegen zum Bröller geführt – ihr wißt schon: Da, wo der Finsterbach im Berg verschwindet. Und als ich die Herde durch die Furt treiben wollte, da ging zuerst alles gut, aber dann wurde eines der Tiere von der Strömung erfaßt und weggetrieben. Ich überlegte nicht lange, sondern jagte den Rest der Herde kurzerhand auf die jenseitige Wiese, ließ sie allein und rannte der Ziege am Ufer hinterher. Bald hatte ich sie eingeholt, aber der Bröller war schon gefährlich nahe. Also rannte ich weiter, bis ich sie überholt hatte, sprang in das eiskalte Wasser und versuchte, sie im Vorbeitreiben zu erwischen. Leider trübte die schräg stehende Sonne meinen Blick, und so entging mir das arme Tier. Es trieb in den Bröller hinein, wurde verschluckt und war verschwunden.
Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen. Ich habe noch nie ein Tier verloren. Ich nahm also meinen ganzen Mut zusammen und tauchte in den dunklen, kalten Bröller hinein.

Ihr müßt wissen, daß ich keine Furcht kenne und die Gefahr mindestens genauso liebe wie schöne Frauen und guten Wein.
Anfangs dachte ich, ich würde ertrinken, doch dann tauchte mein Kopf wieder aus dem Wasser auf und ich atmete begierig die kalte, nasse Luft. Es war stockdunkel, aber ich konnte vor mir die Ziege meckern hören. Als ich auf sie zuschwimmen wollte, merkte ich, daß ich von einer starken Strömung weitergetragen wurde. In völliger Finsternis ging es über allerhand Stromschnellen hinweg. Nur mein Gehör sagte mir, daß ich mich der Ziege näherte. Und während ich so schwamm, fragte ich mich, wohin dieser unterirdische Fluß wohl führen möge… ob er wohl jemals wieder zutage treten würde?

Plötzlich sah ich vor mir einen geheimnisvollen Lichtschein. Ich wunderte mich, was das wohl für ein unterirdisches Leuchten sei. Wohnte etwa jemand hier, an diesem unheimlichen Ort?
Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: es war die magische zerbrochene Stadt, die nur die allerweisesten der Gelehrten kennen. Fahles Licht leuchtete über den grauen Ruinen und die Abbilder vergangener Menschen wandelten ohne Ziel in den staubigen Gründen herum und suchten nach Dingen, die längst vergangen sind. Ich aber wurde weitergerissen, fortgetragen von den unterirdischen Strömen hinab in die Schwärze, immer tiefer hinab, bis ich dachte, nun sei es um mich geschehen. Doch plötzlich sah ich abermals einen fahlen Lichtschimmer. Ich fragte mich schon, ob ich wieder in der magischen zerbrochenen Stadt sei, doch dann vernahm ich plötzlich ein Hämmern. Um mich herum verbreiterte sich die Höhle zu einer großen Halle und das Wasser floß merkbar ruhiger. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: es waren die sagenhaften Zwergenminen von Doromanosch. Und dann gewahrte ich die Zwerge, wie sie mit spitzen Hacken und Hämmern und Meißeln den Fels aufbrachen und ich sah, wie ihnen der Schweiß von der Stirn und den nackten, muskulösen Oberkörpern rann und ich schaute ihre traurigen Gesichter. Hier war also der Ort, wo all die Kristalle und Edelsteine gewonnen wurden. Und mir war, als würde ich ganz deutlich ihre tiefen und klagenden Gesänge aus den rauhen, jahrhundertealten Kehlen hören. Sie handelten von kostbaren Gemmen, großem Reichtum und verlorenem Glück. Gerne hätte ich etwas von dem Reichtum mitgenommen, aber ich wurde weitergerissen, durch wilde Strudel hindurch in lange, unheimliche Höhlengänge hinein. Hätte ich nicht ab und zu meine Ziege meckern hören, hätte ich aufgegeben, das könnt ihr mir glauben. Aber plötzlich wurde es wieder hell und luftig und ich merkte, daß ich in einem frischen, kleinen Bach schwamm, der plätschernd und murmelnd ins Freie hinaus führte. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war der verwunschene Parimawald. Warm schien die Sonne durch die Zweige und ich sah wundersame Blumen und freundliche Phiaræ standen drumherum und die Vögel zwitscherten und die Bienen summten und alles war voll Zauber und mir war, als würde ich in der Zeit vor- und zurückblicken können, vieles habe ich gesehen, fürwahr – fragt mich nachher, wenn ihr noch Geld habt, ihr Leute! – Ich jedenfalls wurde weitergerissen, dorthin wo der Fluß sich wand, wieder hinab in die finsteren Abgründe, und als ich gerade dachte, es würde gar nicht mehr hell werden, sah ich in einem flackernden Lichterschein hohe, uralte Holzregale vor mir aus der Dunkelheit auftauchen. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war das geheimnisvolle unterste Kellergeschoß der Universitätsbibliothek in Escandra. Denn die Regale, es waren Bücherregale mit schweren, staubigen Tractaten darin über die Gestalt der Welt, über die wahre Absicht der Götter, über den Sinn des Seins und die Geheimnisse der Gestirne. Nur die Eingeweihtesten der Eingeweihten wissen von diesen Regalen und nur die Gelehrtesten der Gelehrten verstehen, was in den Büchern dort zu lesen ist. Ich aber sah, wie ein Mann mit einem Studiermantel und einem wunderlichen Hut auf dem Kopf auf einer hohen Leiter stand. Seine Schultern hingen herunter und er hatte auf der obersten Sprosse eine Kerze abgestellt, damit er mit beiden Händen sein gar schweres Buch halten konnte. Und mir war, als würde er sich zu mir herumdrehen und mich ansehen mit seinen tief in den Höhlen liegenden Augen, und er winkte mir freundlich zu mit seinen dünnen, knochigen Fingern und ich erkannte, es war Rolvanus Esgadran, der Klügste der Klugen unter all den gescheiten Escandrinischen Gelehrten. Er sah mich irritiert an, und sein Gehilfe rannte stotternd auf mich zu, um mich zu ergreifen. Ich aber wurde weitergerissen, hinein in einen gurgelnden Höllenschlund, und es war nichts als Schwärze um mich, aber ich verzagte nicht, denn ich wußte, gleich würde wieder eine neue Ungeheuerlichkeit die Dunkelheit erhellen. Und sowie ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, nahte sie auch schon: Ich erkannte ein düsteres, unheimliches, mit unfaßbar grausamen Schriftzeichen verziertes Portal, auf das ich unaufhaltbar im Strom des unterweltlichen Flusses unweigerlich zuraste. Zuerst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war das magische und höchst geheime Tor der Unschuld. Niemand darf von ihm wissen, denn wer von ihm erfährt, wird hindurchgehen wollen und sogleich seine Unschuld verlieren. Ich versuchte natürlich, gegen die Strömung anzuschwimmen, aber ich wurde weitergetrieben, immer weiter auf das Tor zu. Und ich bekam große Angst, weil ich ein rechtschaffener Ceride bin, dem seine Unschuld lieb und wichtig ist, aber ich konnte nichts mehr tun, als hindurchgerissen werden durch jenes grauslige Portal der Verrohtheit und ich selbst fühlte mich auch ganz grauslig und schuldig und ich hatte ein rabenschwarzes Gewissen. Was würde nur mit mir geschehen, wenn ich nicht mehr unschuldig sein würde?
Dann stieß ich hindurch.

Und ich schaute mich um und rätselte, was sich wohl hinter jenem wunderlichen Tor verbörge und lustig und froher Dinge, wie ich war, war ich höchst beruhigt, daß der Fluß nicht darauf zufloß, sondern davon weg. Irgendwie glaubte ich, daß mein naives und unverdorbenes Wesen dahinter ein Ende genommen hätte. Lustig, nicht war?

Doch ich hatte nicht viel Zeit, darüber nachzudenken. Plötzlich war nämlich alles ganz hell und weiß und voller Licht und Frische. Ein kühler Wind wehte und ich fröstelte ein wenig. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war ein milchiggrauer, reißender und eiskalter Gletscherbach in den verschneiten, unerreichbaren Eisregionen des Schlangenkamms. Niemals war diese Landschaft von eines Menschen Fuß betreten worden, und doch war mir, als würde ich ein Singen hören, so süß und sehnsuchtsvoll, daß ich glaubte, ich müsse sterben, und da begriff ich, daß es Saarka selbst war, die nur allein und in der Einsamkeit singen darf – seit der Zeit, als sich ihr unbedachtes Singen einmal gegen den Göttervater gewandt hat.

Bevor ich aber von ihrem Singen gefangen war, wurde ich zum Glück weitergerissen, hinein in einen tiefschwarzen Schlund und in rasender Geschwindigkeit durch einen engen Tunnel immer weiter durch die felsigen Urgründe des Königreiches.

Als ich schon dachte, es würde nimmer enden mit dieser schauerlichen Höllenfahrt, lichtete sich die Schwärze um mich herum. Das Wasser floß langsamer und ich war fürwahr verwundert: Die Wände, sie waren mit den gar allerprächtigsten und kostbarsten Kacheln gekachelt, die ich in meinem jungen Leben als Ziegenhirt zu Gesicht bekommen habe. Dann verbreiterte sich der Kanal zu einem riesigen Saal. Wunderschöne Kristallleuchter erhellten kunstvolle Deckenfresken, filigrane Rundbögen wurden von schlanken, weißen Marmorsäulen getragen. Es gab wunderschöne Statuetten aus Marmor, die Körbe unter dem Arm trugen mit allerhand Obst und Gemüse darin. Alles war dermaßen opulent geschmückt, daß mir sogleich klar war, was das alles war: Es konnte nur die prunkvolle Lustbadetherme des Prinzen Anselm von Thal sein. Warm schien die Sonne durch hohe, hellbunte Bleiglasfenster auf ein Sprungbrett aus Parimafederholz, und ich sah, wie ein anmutiger, junger Mann mit einem wahrlich schwungvollen und eleganten Sprung ins Wasser eintauchte. Und als er direkt neben mir wieder auftauchte und mich freundlich grüßte, erkannte ich ihn: Es war Prinz Anselm von Thal. Natürlich entgegnete ich den Gruß, schließlich habe ich schon viel gehört von dem jungen Prinzen und seinen abenteuerlichen Abenteuerreisen. Der junge Adlige wollte sich auch sogleich mit mir unterhalten und meine romantische Geschichte anhören – ich aber wurde leider weitergerissen, wieder hinein in den unterirdischen Kanal.
Nach einiger Zeit sah ich noch einen anderen Kanal, und dann noch einen anderen, noch einen und noch einen. Die Kanäle wurden immer mehr. Bald waren sie neben mir, hinter mir, vor mir, über mir, unter mir und so weiter. Alles schien nur noch aus Kanälen zu bestehen. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es konnte nur das überaus verschlungene Kanalgewirr des Betiser Hafenviertels sein. Überall war zwielichtiges Volk, Verkäufer, Reisende und wunderschöne Frauen, die mir interessierte Blicke zuwarfen. Manche schienen von mir angetan, denn sie sprachen mich an und wollten etwas von mir – ich aber wurde weitergerissen, fort von jenen wunderschönen Geschöpfen des Luxus und der Anmut wieder hinein in die dunklen, brodelnden Abgründe. Und es ging immer tiefer und tiefer hinunter, bis alles ganz schwarz und schaurig war. Uhuuu!

Ich fragte mich schon, wohin ich als nächstes gelangen würde, als ich vor mir ein Hämmern vernahm. Die Höhle um mich herum verbreiterte sich zu einer großen Halle und das Wasser floß merkbar ruhiger. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es waren die sagenhaften Zwergenminen von Tikon. Und dann gewahrte ich die Zwerge, wie sie mit spitzen Hacken und Hämmern und Meißeln den Fels aufbrachen und ich sah, wie ihnen der Schweiß von der Stirn und den nackten, muskulösen Oberkörpern rann und ich schaute ihre traurigen Gesichter. Hier also war der Ort, wo all die köstliche Schokolade gewonnen wurde. Und mir war, als würde ich ganz deutlich ihre tiefen und klagenden Gesänge aus den rauhen, jahrhundertealten Kehlen hören. Sie handelten von dunkler, cremiger Süße; von mit Honig durchsetzten Schokoladenbergen; von tiefbitterem Kakao und dem ewigen Kampf gegen den Liebeskummer. Gerne hätte ich etwas von den Köstlichkeiten mitgenommen, aber ich wurde weitergerissen, hinab in die Schwärze, die sich allerdings langsam in ein tiefes Blau wandelte. Aber auch das Blau um mich herum wandelte sich, es wurde heller, und mir war, als würde ich im Ozean selbst durch eine Röhre schwimmen. Bald machte ich etwas unter mir in den Wässern aus, und ich wunderte mich, was es wohl sei. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war das legendäre Xurliana. Das uralte und wegen eines lange vergangenen Frevels im Meer versunkene schönste Reich Heligonias. Es gab üppige, reichgeschmückte Gärten mit saftigen Früchten; es gab wunderbare, prächtige Städte, ganz aus edelsten Edelsteinen und kostbarstem Perlmutt manufaktiert. Alles war so wunder- wunderschön, daß es fast ein wenig an Prinz Anselms Hallenbad erinnerte. Doch kuriose Fischmenschen schwammen auf den aurazithenen Straßen herum, die mit reinem Septonith gepflastert waren und ein weiser Alter mit einem Silberbart hielt ein gestrenges Gericht über diejenigen, die sich versündigt hatten gegen ihren Herren und Vater, den Gott des Meeres, Xurl selbst…

Ich aber wurde weitergerissen, in eine starke Strömung hinein. Zunächst dachte ich, daß es etwas völlig anderes wäre, aber dann erkannte ich: Es war der unheimliche, auf keinen Seekarten verzeichnete Malström in der mittleren Jolsee, vor dem sich alle Seeleute fürchten, aber nicht ich, weil ich gleich mit erkannt hatte, daß meine Irrfahrt nun ein Ende haben könnte. Als ich nämlich einen kurzen Blick auf den blauen Himmel hoch über dem Strudel erhascht hatte, schwamm ich wie ein Ostarier nur schwimmen kann rückwärts den Malström hinauf und gelangte endlich in das ruhige Wasser der südlichen Jolsee, wo ich alsbald eine Insel am Horizont ausmachte. Meine Ziege war auch schon unterwegs dorthin, und ich, nicht faul, folgte ihr natürlich.
Ich dachte zunächst, daß es etwas völlig anderes wäre, aber irgendwie hatte ich es schon erwartet: Das Herzog-Uriel-II.-Atoll. Endlich konnte ich wieder Ostarischen Boden betreten. Ich wurde von einer Menge begeisterter Betiser Bürger empfangen, die gerade Urlaub machten und die mich mit exotischen Cocktails stärkten. Enthusiastisch lauschten sie meinen abenteuerlichen Berichten und später am Abend machten sie am Strand ein schönes Feuer und wir tranken Zuckerrohrschnaps und tanzten Flamingo.

Tja, der Rest ist schnell erzählt. Ich bin mit dem nächstbesten Schiff nach Darian gereist und von dort auf Schusters Rappen wieder nach Hause, nach Ostarien, nach Arnstein. Und heute bin ich hier und habe nichts als diese Ziege und meine romantische und abenteuerliche Geschichte. Ihr Leute, ich frage euch: Bin ich nicht ein reicher Mann?“

Soweit der Bericht des Ziegenhirten. Über den Wahrheitsgehalt der Erzählung mag ich nichts sagen. Da ich die Geschichte aber dennoch sehr amüsant finde, hoffe ich, auch Euch damit etwas Unterhaltung und Kurzweil beschert zu haben.


Endlich ist Baron Leomar wieder ganz der Alte.
Laßt uns diese glückliche Stunde feiern
bei einem Fläschchen Tatzelfelser Honigmeth
in Ravani in der gemütlichen Taverne
„Zum Geprellten Zecher“
gar nicht allzu weit von Drachenhain entfernt.
Tretet ein, feiert mit uns,
befreit Eure Beutel von unnötiger Last
und vergeßt nicht:
Alles Erwerbenswerte
für Druidh, Schamanen und Gelehrte
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Trense, Kelch und Olibanum

Die Flucht im Kastenwagen

Wahrlich ungemütlich war es in der Kutsche, die rasante Fahrt auf holpriger Straße ließ das schwere Gefährt alle Nas` lang bockig aufspringen und dann wieder, einhergehend lauten Krachen, Haftung zum Boden finden. Das Schaukeln war schier unerträglich. Ebenso war es im Innern derart heiß, dass man meinen konnte, Helios selbst säße, anstatt des braven Bronu, auf dem Kutschbock. Fenster – wie in diesen modernen Betiser Kutschen – gab es nicht, lediglich ein paar schmale Ritzen sorgten für spärlichen Lufthauch.

Trotz alledem, der einzige Passagier innerhalb des Wagens fror! Er fror sogar unmäßig, so zitterte er am ganzen Leib, obwohl er in schwere Decken und Felle gehüllt und seit Stunden fast regungslos da saß. Überhaupt sah dieser Mann recht mitgenommen aus, aus tiefen Höhlen, starrten nervös blinzelnd, rotunterlaufende Augen hervor. Der Atem ging schwer und giemend. Fahrig spielten die Hände mit dem zinnenen Becher, aus dem er soeben den letzten Schluck eines warmen Trunkes genommen hatte, der aber keinerlei Erquickung brachte.

Mit einem Mal gewahrte der Mann, dass die Beschleunigung nachließ, da erhob er sich mühsam, drehte den Becher mit zorniger Miene in seiner Hand und schlug mit dem Boden schwer an das Kutschendach über ihm und rief so laut, wie seine brüchige Stimme es ihm erlaubte: „Heda Bronu, treibe er seine Schindmähren an. Wir wollen nicht von unserem Häschern eingeholt werden. Eile er sich also, wenn ihm sein Leben lieb und teuer ist!“ Beschwerlich nahm der Erzürnte wieder Platz, beruhigte sich jedoch weder, als er bemerkte, dass seinem Befehl sofort Rechnung getragen wurde, noch als er ein wenig Halbschlaf erfuhr. Denn er war ungeduldig, er hatte zwar viel Wegstrecke hinter sich gebracht, jedoch lag eine noch ausgedehnterer Entfernung vor ihm – weiter noch, als sich irgend jemand vorstellen konnte…

„Ob sie mich so wohl aufnehmen wird?“ fragte er sich im Stillen „So viel Zeit ist vergangen, so viel geschehen. Wird sie mich überhaupt erkennen, geschweige denn wollen – so wie ich jetzt aussehe?“ Langsam und müde hob der Mann seinen Arm und griff mit seinen, wie große langbeinige Spinnen wirkenden, Händen nach einem fast blinden Kupferspiegel aus dem Lederranzen neben sich. „Wer bist Du?“ befragte der Mann sein eigenes Bildnis mit lauter Stimme „Bist DU Leomar?“…

Schlummer

Es geschah in einer dieser schwülen Sommernächte im Erntemond, da wurde Ceridian Aegidio höchst unsanft durch panisches Gezeter, gepaart mit heftigem Glockengeläut, aus seinem kurzen Schlummer geweckt. Der Bischof des Fürstentums Drachenhain hatte sich, nach beendetem Gebet, bereitwillig und in noch kniender Position, in den sanften Schlaf begeben, denn das Warten war seine Sache nicht. „Bischof, Bischof“ jemand zerrte nun an ihm „Ihr sagtet, ich solle euch rufen wenn, wenn, wenn…“ die Stimme erstarb in einem tränenersticktem Seufzer. Der Greis reckte und streckte mühsam seine knarrenden Glieder und nahm die bereitgestreckte feiste Hand beim Aufstehen zur Stütze. Oh, wie gern wäre er einfach zurückgesunken in dieses tiefe, süße Schläfchen. Doch weder der fürstliche Leibdiener Kuhmundus vor ihm, noch das unmäßige Geläut der Drachentrutzer Glocken, ließen diese bequemste aller Möglichkeiten zu. Mit dem Erwachen kehrte, gleich dunkler Schatten, nach und nach auch die Erinnerungen zurück. Die Erinnerungen daran, zu welchen Umständen die Glocken läuten und der dicke Kuhmundus ihn rufen sollte, schließlich hatte er selbst dies so angeordnet – die Erkenntnis traf ihn wie ein Blitzschlag: „Leomar stirbt!“

Mit einer Behändigkeit, die den Leibdiener in wahres Staunen versetzte, kleidete sich der höchste ceridische Priester des Fürstentums in bischöfliches Ornat, langte nach Rauchfass nebst Olibanum und machte sich sogleich eilenden Schrittes auf den Weg zum Palas der Drachentrutz, wo er wohl erwartet wurde. Weit hatte er nicht zu gehen, denn Richilesruh, das Klosterstift der Feste, in das er erst seit einigen Stunden einquartiert worden war, lag in unmittelbarer Nähe zur Festungsburg des Fürsten Waldemar von Drachenhain. Das Gotteshaus, sowie all seine Kammern und Gänge, waren ihm alles andere als unbekannt, schließlich hatte er vor mehreren Dekaden an deren Planung und Erbauung mitgewirkt und als Priester der Drachenhainer Herrscherfamilie lange Zeit darin gelebt. Erst die Berufung zum Abt des Landes St. Aluin durch den Fürsten von Drachenhain vor zwei, und die spätere Erwählung zum ceridischen Bischof des Fürstentums Drachenhain im vergangenen Jahr, durch den neuen Primus geschehen, führten den alten Mann doch noch zu neuen Aufgaben und neuen Ufern.

Der Weg zur Heimstatt der Drachenhainer Familie war ihm also mehr als bekannt. Und so drängten sich dem Bischof in dieser ihm vertrauten Umgebung allerhand Bilder aus der Vergangenheit auf. Der Bischof erinnerte sich an die Taufen der beiden Drachenhainer Kinder, Syria und später dann Leomar – neben dem Eheschließen – hatte er diese Segnungen stets am liebsten getan. Ein Lächeln umspielte für einen Augenblick seine Lippen, dann aber erstarb dieses, als ihm wieder bewusst wurde, dass nun wohl für den jüngsten Sohn des Fürsten nach langer Krankheit der Kreis des Lebens geschlossen werden würde. „Wasser öffnet und Öl schließt den Bund zum Einen“, pflegte er immer zu sagen. Doch wie wenig trafen diese Worte auf Leomar zu, der schon vor Jahren und aus freien Stücken, den strahlenden Weg des Einen verlassen und sich dem Ogedentume zugewandt hatte. Auch seine Schwester, Prinzessin Syria Jaldis, ist im Grunde keine Ceridin mehr, im Wonnemond war sie wegen ihrer unceridischen Handlungen von ihm selbst exkommuniziert worden. Ein stechender Schmerz machte sich in der Brust des alten Mannes breit, stets hatte er sich Vorwürfe deswegen gemacht. Wie dem auch sei, Leomar ist – ob er will oder nicht – getaufter Ceride und soll nach dem Willen das Fürsten auch entsprechende Verabschiedung von der Welt der Lebenden erhalten.
Oh, wie traurig war nur dieser Tag und welch betrübliche Aufgabe lag noch vor ihm: „Warum Prinz wolltest Du nicht gesund werden? Warum nur, musst nun Du im Sterben liegen, so jung, wie Du bist?“ rief er aufs Geradewohl in die schwüle Welt hinaus. Zu seiner Verwunderung erhielt er umgehend Antwort: „Geht es Euch übel, Herr Bischof? Kann etwas für Euch tun?“ erkundigte sich die atemlose Stimme des Kuhmundus hinter ihm. Der Leibdiener war Ceridian Aegidio wohl so pflichtbeflissen wie leise gefolgt. „Nein, nein mein Sohn. ICH benötig keinen Beistand. So du jedoch tatsächlich in einer Weise dienlich sein willst, dann schicke für deinen jungen Herrn ein Stoßgebet zu allen Heiligen. Auf dass von dort oben vielleicht noch einmal Unterstützung komme!“
Der Bischof war inzwischen am Burgtor angelangt. Misstrauische Äuglein auf der anderen Seite des Gucklochs verengten sich kurz, weiteten sich aber schließlich vor Schreck und Ehrfurcht binnen Sekunden und Ceridian Aegidio wurde, nebst Kuhmundus, umgehend durch die kleine Türe im Burgtor eingelassen.

Bereits hier am Eingang konnte er das Heulen und Klagen der Weiber vernehmen, die wohl in der Küche beieinander saßen, um den jungen Herrn zu betrauern, anstatt ihrem Herrn jetzt zur Hand zu gehen. War er zu spät gekommen? War Prinz Leomar bereits tot?

So schnell er vermochte humpelte der Bischof durch die weiten Gänge bis hin zum großen Kaminzimmer entlang. Dann endlich gelangte Ceridian Aegidio an die neue stählerne Tür, holte noch einmal tief Luft, raffte sein Gewand und trat ein.

Inmitten des großen, fackelerhellten Raumes war das Bett des Prinzen von Drachenhain aufgestellt, dicke Felle und volle Daunendecken sollten ihn vor der Kälte schützen. Leomar lag nur still da, die Augen geschlossen. Der Anblick hatte sich seit seinem letzten Besuch am Morgen nicht verändert, oder doch? Ihm schien als atme der Prinz auf andere Weise. Schnappte er nicht richtiggehend nach Luft? Der Bischof hatte lange genug Menschen in ihrer letzten Stunde gepflegt, um zu wissen, das dies Anzeichen des nahen Todes waren. Mühsam hob und senkte sich der dünn gewordene Brustkorb und pfeifend bliesen die schorfigen Lippen letzten Lebenshauch ein und aus.
Der alte Mann schluckte schwer, sein Hals fühlte sich so trocken, wie noch nie in seinem lange Leben an. Bei allen Heiligen, das dürfte doch nicht wahr sein! Reiß dich zusammen, alter Narr, du wirst gebraucht! sagte Ceridian Aegidio zu sich selbst und fasste sich ein Herz: „Waldemar, alter Begleiter. Erlaubt mir von Eurem Sohn Abschied zu nehmen und ihm die letzte Ehre zu erweisen!“ Der Bischof hatte sanft aber vernehmlich gesprochen, dennoch rührte sich die Gestalt des Fürsten, der in tiefer Trauer vor der Bahre kniete, nicht. Ceridian Aegidio trat ohne eine Antwort abzuwarten ins Zimmer, auf den augenscheinlich sterbenden Prinzen von Drachenhain zu.

Die Suche

Es war windstill. Ein merkwürdiger Augenblick in der weiten Tiefebene. Normalerweise wurden die knorrigen schwarzen Bäume, die vereinzelt Wurzeln in der moorige Landschaft geschlagen hatten, vom Wind derart drangsaliert, dass sie schon die Gestalt alter gebeugter Vetteln angenommen hatten. Der bleierne Himmel fand in vielen stillen Tümpeln und Weihern ein Spiegelbild seiner selbst und um die Anmut düstererer Tristheit noch zu vervollkommnen hingen wie vergessene Spinnenweben Nebelfetzen klebrig in den Büscheln hoher blasser Gräser.

Es war ein Augenblick vollkommener Ruhe und Stille.
Diese Erfahrung nach all dem Aufruhr zu machen, war fremd und beunruhigend. Sie wollte das beklemmende Schweigen mit ihrer Stimme durchbrechen, wollte irgendetwas zu der Frau neben sich sagen, nur damit sie wieder das Gefühl ihrer eigenen Existenz zurückerlangte. Ein Finger legte sich auf ihre Lippen und gebot ihr Still zu halten und da begriff sie, wie kostbar dieses Schweigen der Welt war und sie ließ sich nun ohne Argwohn hineintreiben. Sie beruhigte ihre Gedanken auf ein Maß hinunter, dass sie ihr nicht mehr vorhanden schienen. Dieses Glück vollkommener Ruhe sollte aber nur kurz währen, denn ein Rabe glitt auf leisen Schwingen zu einem der näher gelegenen schwarzen Bäumen und ließ sich in dessen blattlosen Krone nieder. Sofort kehrten ihre Gedanken lauthals wieder zurück. Da waren Erinnerungsfetzen an das Treffen der Gelehrten, welche die verwirrenden Bilder der Traummaschine deuteten. Der Luchnische Knoten war aufgetaucht und nach einer langen Diskussion hatte man sich darauf geeinigt, dass die Seele des Prinzen wohl in der Anderswelt zu finden sei.

Da war der Schmerz des väterlichen Verrats; sein Schwert, das nicht nur ihr Gesicht zerstörte, sondern auch das Vertrauen zu ihm.
Da waren sorgenvolle Stimmen, die auf sie einredeten, dass sie sich schonen und ausruhen müsse.

Da war die väterliche Hand, die sich ihr aus feiger sicherer Ferne wie eine Klaue genähert und ihr das ceridische Kreuz der geliebten Mutter vom Hals gerissen hatte.

Da war die lange zermürbende Reise durch den tauenden Winter in den kalten Frühling hinein nach Luchnar. Da waren die entsetzten Blicke der Adeligen, die sie aufsuchte, ob ihres derangierten Äußeren.
Da waren so viele gute und schlechte Ratschläge. Da war die Frustration, dass sie auf keinen Druidh getroffen war. Denn sie stellten ihr letzte Hoffnung dar, das Geheimnis um ihren Bruder zu lösen. Man hatte ihr bedauernd mitgeteilt, dass sich die Druidhs um die akuten Probleme des Landes kümmern mussten und deswegen gegangen waren. Wohin, dass hatte man ihr natürlich nicht sagen können.

Und da war plötzlich die Rabenfrau an ihre Seite getreten. Sie brachte Stille und Einsicht in ihren laut hallenden Geist. Rabe, der Götterbote, hatte sie zur rechten Zeit an den rechten Ort geführt.
Prinzessin Syria riss ihren Blick von der luchnischen Moorlandschaft los und betrachtete sich eingehend ihre Reisegefährtin. Sie hatte diese Frau vor einigen Monaten auf Schloss Idyllie kennen gelernt, als sie ihre geraubte Rabenmaske, nebst der Diebe einforderte. Anagok, die Schamanin der Apulaq-Taq, stand aufrecht neben der Prinzessin und hatte ihre klaren Augen in die Stille hinein gerichtet. Seltsame schwarze Tätowierungen zogen sich von ihrem Scheitel über den geraden Nasenrücken hinab bis zu ihrem Kinn. Die Augenhöhlen hatte sie mit einem Gemisch auf Kohle und Fett dunkel gefärbt. Die Anagok war von eher schlankem Wuchs und doch strahlte sie eine Größe aus, die manch einen Baron klein und unscheinbar neben ihr erscheinen ließ. Syrias Gedanken schweiften ganz kurz zu ihrem Vater und wie von selbst rückte der kleine bohrende Schmerz in ihrem Herzen für diesen Augenblick in den Vordergrund. Als Syria den Blick aus ihrem Inneren wieder hinaus in die Welt richtete, schrak sie ein wenig zusammen, denn sie blickte in die weite Ferne der hellen Augen der Rabenschamanin. Sie hatte ein unglaubliches Gespür für Schicksale und von ihm hervorgerufene Gefühlsregungen und so öffnete sie den Mund und sagte etwas in der Sprache der Apulaq-Taq. Allerdings konnte es die Prinzessin nicht verstehen und doch wusste sie instinktiv, was die Schamanin meinte. Vielleicht reagierte ihr verschüttetes Erbe auf diese Form der Sprache?

Prinzessin Syria wendete eine ihrer Übungen an, um ihre innere Ruhe wieder herzustellen. Zufrieden nickte die Apulaq-Taq und richtete ihre Augen wieder auf die Landschaft.
Hier würde sich etwas ereignen, dass für die Suche von Wichtigkeit war.
In einiger Entfernung schlängelte sich träge das Band eines breiteren Baches durch das Moor und dort an dessen Ufer entdeckten sie eine Bewegung. Bei genauerer Betrachtung waren es sogar zwei.

Die eine Bewegung wurde von einem Wesen hervorgerufen, das sich die ganze Zeit über im Schatten einer Trauerweide verborgen hatte und nun auf breiten Tatzen am Ufersaum entlang trottete. Es trug einen dicken schwarzen Pelz am Körper und gemahnte an einen kleinen Bären mit einem mächtig langen Schwanz an seinem Hinterteil. Als sich dann das Wesen aufrichtete, konnte man ein fast menschliches Gesicht statt der langen Schnauze erkennen. Ein breiter Gurt, der ein Schwert auf dem Rücken des Wesens hielt, war die einzige Bekleidung des Gesellen. Ruhig schaute sich der Schwarzschwanzleberling, wie ihn die Anagok flüsternd bezeichnete, um und trottete dann wieder auf allen vieren unbekümmert am Ufersaum entlang, als sich die zweite Bewegung rührte. Es war ein Menschenmann, soweit man das über die Entfernung her erkennen konnte, der aus seinem Versteck hervorkam und sich dem viel größerem Bärenwesen in den Weg stellte. Syria fühlte, wie sich die magischen Kräfte der Natur hoben, sie kurzzeitig umspielten und dann, zu dem Mann flossen, der einige Gesten mit den Händen vollführte. Das Wesen verengte seinen milchigweißen Augen zu Schlitzen und entblößte fauchend scharfe Reißzähne. Vor Wut schnaubend richtete es sich auf, dann griff es zu seinem Breitschwert, zog es und stürzte sich mit einer Geschwindigkeit auf den Mann, die nichts gutes Erahnen ließ. Doch die flink geführte Klinge, die für die Beobachter zu einem wirbelnden Silberkreis geworden war, traf nie ihr Ziel. Stattdessen wurde nun der Schwarzschwanzlerberling von den Kräften der Natur gepackt und in die Dunkelheit, aus der es hervorgekrochen war zurückgeschleudert. Augenblicke später war alles wieder still. Selbst die herbeigerufene Magie ruhte wieder friedlich, wie der träge dahinfließende Bach. Die Prinzessin, die die Luft angehalten hatte, stieß sie zwischen den Zähnen wieder aus. Sie wusste zwar nicht, was sie gesehen hatte, aber sie erkannte nun in dem Mann einen der Druidh wieder. Das war ihr gottgewolltes Schicksal, dass sie nun endlich einen Wissenden über das Tor in die Anderswelt befragen konnte. Sie hatte kaum diesen Wunsch in ihren Gedanken geformt, als sich die Hand der Rabenschamanin auf ihre Schulter legte. Ihre Berührung sprach davon, dass es noch nicht an der Zeit sei. Lebhaft erinnerte sich Syria an den Moment, als die Druidhs sie ob ihres Glaubens an die Ceridische Kirche, des Landes verwiesen hatten. Aber das schien schon Jahrhunderte her zu sein. Denn heute gehörte sie, dank ihres Vaters, keiner Konfession mehr an. Und dennoch, wenn diese Kunde diesen Mann dort nicht erreicht hatte, und er in ihr die Prinzessin aus Drachenhain erkannte, dann würde ihn das Misstrauen derart überwältigen, dass er ihr sicherlich nicht den Weg in die Anderswelt zeigen würde. Aber, worauf warteten sie eigentlich noch?

Der Druidh blickte noch einmal hochkonzentriert, so schien es, in die Dunkelheit hinein, welche die Trauerweide in seiner Nähe durch die Form ihrer Krone entstehen ließ. Und da hob sich eine weißschäumende Welle aus dem Bachbett empor, wie es eigentlich nur ein Fluss hervorzubringen vermochte. Ein leichenfahles mächtiges Kaltblut sprang mit donnernden Hufen vor den überraschten Mann. Mächtige Arme sprossen dem unförmigen Pferd aus der Brust und griffen nach dem Druidh.

„Kelpie“, sagte die Anagok.

„Es war eine Falle“, flüsterte die Prinzessin. Und dann erkannte sie den Wink des Schicksals. Wenn sie den Druidh das Leben retten konnte … sollte man meinen, dass er ihr ein wenig Dankbarkeit zeigen würde. Das fahle Kelpie mit grünschimmernden Bachalgen anstelle einer fließenden Mähne trug die Absicht, den Druidh im Wasser zu ertränken.

Die Prinzessin schmiedete eine Trense aus dem Gewebe der alten Magie, die sie hier wild und frei umspielte. Eine Windböe fegte über das Moor, ergriff die beiden Menschenfrauen und brachte sie wie auf Rabenschwingen bis hin zu den Kämpfenden. Das Element der Luft und das der Magie waren die Fessel, die sich schleunigst um den Kopf des Andersweltrosses wanden. Das Wesen bäumte sich auf und warf den Kopf unwillig hin und her, doch konnte es die Trense, die es nun an den Erschaffer band, nicht abstreifen. Auf dem Kelpie lag nun ein Bann, der es in den Gehorsam der Prinzessin zwang.
Wutschnaubend blieb das Ross nun mit allen vier Hufen auf dem festen Ufersaum stehen und rollte mit den blassgrünen Augen.

Triefendnass rappelte sich der Druidh im Bachbett auf und betrachtete sich die Gesellschaft, die ihm das Leben gerettet hatte.
Die Prinzessin reichte ihm die Hand, die er zögern ergriff. Misstrauen war ihm ins Gesicht geschrieben, als er sich seine beiden Retterinnen besah. Narrende Trugbilder, die es in diesen Zeiten überall in Luchnar gab, scheinen diese beiden Frauen allerdings nicht zu sein.
„Ich bin eine Suchende“, sagte die Prinzessin.
„Was sucht Ihr denn?“ fragte der Druidh.
„Die Seele meines Bruders.“
Nun dämmerte es dem Druidh, wer da vor ihm stand. Sein Misstrauen loderte wild auf. Sie, eine Ceridin, bat ihn, einen Druidh, um Hilfe?! Sie stand unter dem Schutz der Weltlichen Macht Luchnars, doch nicht im Einverständnis der Druidhs. Und da kam dem Mann noch ein Gedanke, warum war die Prinzessin ausgerechnet eben jetzt an diesem Ort, um ihm das Leben zu retten? Das roch doch nahezu nach einem eingefädelten Plan.
Da richteten sich die blassen Augen der Schamanin auf ihn und sie sagte nur ein Wort, doch überzeugte es ihn: „Rabe.“

Der Frettchenreiter

Wieder schien der Wagen an Fahrt zu verlieren, doch allein ein Klopfen des Mannes mit Namen und Titel Prinz Leomar von Drachenhain genügte, um den Kutscher zum Gehorsam zu bewegen. Das Gefährt sprang daraufhin unmäßiger denn je. Das Holz knarrte bedrohlich. Die holpernden Geräusche und unsteten Bewegung riefen in Leomar fast vergessene Erinnerungen wach. So schossen ihm fremde bizzare Bilder von einem vermaledeiten Streitwagen und von verwunderlichen Fahrten über Stock und Stein in den Kopf. Er spürte förmlich Bogen, nebst Pfeilen, in der Hand und Stoßspeer unter dem Arme ruhen – was waren das nur für Visionen? Mehr und mehr wich der schwarzer Schleier von seinem Sinn, und er sah endlich klarer. Mit der aufgehenden Erkenntnis, wuchs jedoch auch noch etwas anderes, etwas dunkles und gleichzeitig schmerzendes in ihm. Dieses Etwas erstarkte im selben Maße, wie das Vergessen verflog. Rasende Kopfschmerzen hämmerten mit einem mal auf Leomar ein, so stark dass er die Augen schließen musste. Als er sie wieder öffnete, fand er die Umgebung vollkommen verwandelt.

So saß er nun nicht mehr im engen stickigen Kastenwagen, sondern stand in einer einspännigen Kutsche. Vor ihm lenkte ein kleiner Kerl in geckenhaftem Rock das Gefährt. Dunkles Blut troff von seinen Händen. Der kleine Mann stand mit dem Rücken zu ihm und so sah Leomar lediglich seinen pelzigen Hinterkopf. Den Prinzen packte das kalte Grauen. Was war nur mit Bronu, seinem Kutscher, geschehen. Hatte dieses seltsame Wesen ihn getötet, und war das Blut an seinen Händen am Ende das des armen Bronu? Leomar verlangte es nach Klarheit und so fasste er vorsichtig nach dem Burschen vor ihm. Nur eine noch Handbreit und er konnte den wilden Schopf berühren, da wandte sich das Wesen mit einem Mal um. Der Prinz starrte erschrocken in das spitze Gesicht eines Frettchens, das nun mit seinen scharfen Zähnen nach ihm schnappte. Vor Schreck und Entsetzen wich Leomar zurück und stieß mit dem Kopf schwer gegen die plötzlich wieder vorhanden Rückwand des Kastenwagens. Mit Erleichterung erkannte er, dass er sich wieder auf seiner Flucht befand und sank erschöpft danieder.

Der Kampf im Spiegel

Der Druidh hatte sie durch das Moor geführt. Wind war aufgekommen und hatte die Spiegel des Himmels zerstört. Immer wütender und Kälte mit sich führend fegte er über die Seen und Tümpel. Wellen kräuselten sich, zerstörten die Spiegel, die wie Tore in die Anderswelt anmuteten. Immer tiefer mussten sie in das Reich der Andersweltwesen eindringen, die in der heutigen Zeit, immer mehr Luchnisches Land für sich und ihr unmenschliches Treiben beanspruchten. Sie hatten einen Baum erspäht, ebenso von dunklem Holz, wie die anderen, der mit seinem Stamm derart vom Jahrzehntelangen Wind gebeugt ein Cairn bildete, einen Tor in die Anderswelt. Doch war, kurz bevor die Schamanin ihren Weg antreten konnte, ein Blitz vom Himmel gefahren und hatte den Baum in lodernde Flammen aufgehen lassen.
Irgendwer wusste, dass sie da waren und dieser jemand beanspruchte Leomars Seele für sich.

„Es ist nicht ganz so, wie Ihr denkt, Prinzessin aus Drachenhain, niemand kann die Cairns zerstören“, sagte der Druidh, „nur können wir diesen hier nicht durchschreiten. Das Land zeigt uns deutlich, dass Gefahr auf der anderen Seite lauert.“

Der Wind erhob sich weiter und gebar einen Sturm, der unbarmherzig über die Ebene fegte. Seine kalten Finger rissen an den Umhängen, in die sich die drei Menschen gehüllt hatten, doch berührte er das fahle Pferd, dass ihnen grimmig die Zähne gefletscht folgte, nicht im geringsten.
Aus aufkommendem Nebel, der sich wie eine Quellwolke von der linken Seite her auftürmte, stürmten Luchna hervor. Es waren um die zehn Männer, die wohl zur Jagd gerüstet waren. Sie riefen einander etwas zu und verschwanden dann zur rechten Hand wieder im Unterholz, ohne die Fremden eines Blickes zu würdigen. Der Prinzessin war etwas aufgefallen und sie rief dem Druidh eine Frage zu: „Wer von den Clans trägt Braun?“ Schweigen antwortete ihr.

Da trat eine großgewachsene Gestalt aus dem Nebel hervor. Er trug eine schwarze allesverhüllende Rüstung. Sie kannte ihn nur zu gut, denn er war einmal der erste Ritter von Tatzelfels gewesen. Cawadoc trat an sie heran und sein brennender Blick bohrte sich in ihre Augen. Dann drehte er sich herum und ging. Die Prinzessin erkannte im dichter werdenden Nebel, dass er die Hände hob und sich langsam des Helmes entledigte. Er wollte sein Geheimnis vor ihr lüften und dafür musste sie ihm folgen.

Der Wind riss wieder an ihrem Mantel, als eine Hand sie an der Schulter berührte. Der Nebel war augenblicklich verflogen und mit ihm Cawadoc und sein Geheimnis, dass sie fast gelüftet hätte. Vor ihr Gähnte eine Spalte, die sich tief ins Erdinnere grub. Hätte sie noch einen Schritt gewagt, dann wäre sie in den sicheren Tod gestürzt.

„Wir sind Nahe der Anderswelt“, rief der Druidh über den laut heulenden Sturm, der ein wenig enttäuscht darüber klang, dass ihm seine Beute entkommen war. „Leider bedeutet das aber nicht, dass hier ein Tor zu finden ist. Wir müssen weiter.“ Der Druidh führte sie eine geraume Weile an der Schlucht entlang, bis sie an einen recht breiten Bach gelangten, der sich todesverachtend in die Tiefe stürzte. „Wo ist nun das Tor?“ Die Prinzessin musste ihre Stimme erheben, um den Sturm zu übertönen. Es gefiel ihr ganz und gar nicht, als der Druidh in die Schlucht hinab deutete. Der Wasserfall bildete mit einem Felsvorsprung, auf den er prallte, um sich dann in die endlos scheinenden Tiefen zu ergießen, ein Tor.

Der Prinzessin schien das Unterfangen, ausgerechnet dieses Cairn bereisen zu wollen, als zu gefährlich und aussichtslos. Man musste mehrere Meter über rutschigen Fels in die Tiefe steigen, nur um auf einem schmalen Steinband balancierend zwischen herabstürzenden Wassermassen und glitschiger Wand durch das Tor zu gelangen. Außerdem hatten sie nicht ausreichend Seil dabei.
„Magie“, grübelte die Prinzessin, doch der Druidh wehrte ab.

„Das ist das einzige sichere Cairn im Umkreis mehrerer Tagesreisen. Wir dürfen niemanden auf der anderen Seite auf uns aufmerksam machen.“
In diesem Moment stieß die Anagok den Schrei eines Raben aus. Es klang sehr sehr wütend und gleichzeitig, wie eine Herausforderung. Dann stieß sie ihren langen Stab, der mit schwarzen Federn und buntem Allerlei geschmückt war, in den Boden. Mit geschickten Fingern öffnete sie einige Beutelchen an ihrem Gürtel und begann damit ihr Gesicht mit roter Farbe zu bemalen. Ehe es sich Prinzessin Syria versah, trug auch sie dieselbe Bemalung wie die Anagok.
Die Schamanin holte aus dem Rucksack, den sie getragen hatte, die geschnitzte Rabenmaske hervor und hob sie dem Sturm entgegen.

Wieder fühlte die Prinzessin, wie damals, als sie zum ersten mal dieses Heiligtum der Apulaq-Taq ansichtig wurde, ein leises Verlangen danach es zu besitzen.

Der Sturm versuchte der Anagok die Rabenmaske aus der Hand zu reißen, so als stelle er ebenfalls gierige Besitzansprüche, doch musste er sich dem Willen der Schamanin beugen.

Plötzlich war es Windstill. Es war fast wie ein Schock. Aus dem lauten Schreien des Elementes Luft war betäubendes Schweigen geworden und nur das leise Flüstern, des sich in die Tiefe stürzenden Baches war zu hören.
Anagoks Mund umspielte ein leises Lächeln, als sie sich zur Prinzessin herumdrehte und ihr die Rabenmaske in die Hand drückte. Es ging alles sehr schnell.

Flugs war die Schamanin auf den Rücken des Kelpie gesprungen und zwang das Andersweltwesen auf den Bach zu. Es gehorchte wiederwillig schnaubend. Plötzlich brandete die Welle wildschäumend wieder empor, verschluckte Ross und Reiterin, um sie hinab in die Schlucht zu tragen. Doch das Kelpie war ein Wassergeist und so sprang es im rechten Augenblick durch das Tor hindurch.

Der Prinzessin war es in diesem Moment, als würde sich ihr ein großes Gewicht auf die Brust setzen. Sie blickte auf diese Stelle hernieder und sah, dass aus der Maske wohl ein Rabe geworden war, der sich nun auf ihrem Gewand ein Nistplatz gesucht hatte. Ob des Gewichtes, dass immer mehr zunahm, musste sich die Prinzessin niederlegen. Eine Schwinge, so schwarz wie die Nacht brachte ihr Träume.

Wildbunt umfloss sie wie singendes Wasser ein Regenbogen. Er führte sie mit sicherem Geleit in die Anderswelt hinein. Sie hätte schwören können körperlos zu sein und doch fühlte sie das fahlweiße Ross, das sie gegen seinen Willen zu tragen hatte, unter sich durch die Welten jagen.
„Mein Blut ist dein Blut“, hörte sie sich sagen und fühlte, wie sich ein Messer aus Bein in ihre Handfläche grub. „Und dein Blut ist sein Blut“, ein weiterer Schnitt wurde hinzugefügt, so dass ein blutiges Kreuz entstand.
Warm floss der Lebenssaft ihren Unterarm herunter und vereinigte sich mit den Farben des Regenbogens. Plötzlich ein Ruck und sie waren angelangt.
Wild peitschten die Wolken schweigend über den Himmel, der sich ihnen zu Füßen ergoss. Bäume wuchsen wie Vögel kreischend schuppenglitzernd durch die Ebene ziehend, wie große Herden einzelgängerischer Spreggans.
Dunkelheit ergriff drohend grell von ihres Verstandes Herz Besitz, drückte schmollend mit weitausgreifenden umfangenden Armen zu, als würde eine verhasste Tochter Heim kehren. Blutrotes Kreuz, engstirniger Glauben, Tod im Schatten hinter sich herziehend, beschienen von den Vieren, sich abwendend, duldend im Weg voraus.

Lachender Verrat umspielte sie wie ein uralter Greis und biss sich wie die Schlange allesverschlingend in den eigenen Schwanz.
Der Strudel des Allverstandes zog sie in den durchtriebenen Wahnsinn, hell weiß leuchtend und inmitten der Schwärze ein Kreuz, blutrot.
Immer wieder das Kreuz, blutend, sich in einen Strom vereinigend floss das Erbe voran, weg, weit fort. Weißblendende Hufe trugen ein weißblendendes Ross, denn hier war alles nicht so, wie es draußen erschien.
Hier sind die Gedanken die Geburt der Welt.

Auf einem weißen Ross folgte die schwarze Frau mit den Rabenschwingen dem blutroten Strom. Sie hatte in der Quelle dessen einen Drachen erspäht, der hinter ihr dunkel und gewaltig, wie ein Gebirge, den Horizont begrenzte. Sein Atem war der Wind, der ihr Leben einhauchte und seine Augen folgten ihr, wie das Wohlwollen eines Vaters, der auf sein allerliebstes Kind acht gibt.
Sie folgten seinem Blut, dass das Flussbett ausfüllte. An seinem Saum wuchsen Lilien aller Farben und eine Nachtigall erhob trällernd ihre Stimme. Ein Löwe mit goldener Mähne ruhte im hohen weichen Gras. Sein Schnurren war gewaltig und erfüllte beruhigend die Luft. Es war so schmerzhaft schön hier, dass man dazu genötigt wurde, zu verweilen. In weiter Ferne graste ein schwarzes edles Ross. Man hatte ihm den Sattel abgenommen, denn der diente einer Gestalt als Kopfunterlage. Der junge Mann ruhte sich im wärmenden Sonnenschein aus. Die Idylle um ihn herum, ließ ihn alsbald dämmrig einschlafen.

Die Reiterin hielt an und kniff die Augen zusammen. Sie vermeinte aus der Stirn und aus dem Herzen zwei silberne durchscheinende Fäden wahrzunehmen, die sich über der Brust zu einem vereinigten. Der Seelenstrang verlor sich in der Helligkeit der Luft über ihm.

„Bruder“, sagte die Frau und trieb ihr Pferd neben den Schlafenden. Dieser erwachte: „Schwester?“ fragte er verwirrt und blinzelte in das Sonnenlicht empor. „Es ist Zeit Heim zu kehren“, sagte die Frau.

„Nein, es ist Zeit für die Jagd“, erwiderte er und setzte sich auf. Mit schnellen gewohnten Handgriffen sattelte er sein Pferd und saß auf. „Komm mit mir, wir jagen heute Verräter“, forderte er sie lächelnd auf und reichte ihr die Hand. „Dein Körper stirbt“, sagte die Frau mit den Rabenschwingen. „Das ist mir einerlei.“ Der junge Mann trieb seinem Pferd die Hacken in die Flanken und raste davon. Am Horizont war eine dunkle Sturmfront aufgetaucht. Sie spie eine Vielzahl an Reitern und Streitwagen aus. Dumpfes Donnergrollen brandete durch die Idylle und ließ die Nachtigall inne halten. Der Boden erbebte und plötzlich war ein Wagen heran. Eine Frau, gekleidet wie eine Druidh stand mit hocherhobenen Haupt darauf. Locker hielt sie die Zügel der Vier eingespannten Pferde in der Hand: „So, du willst also haben, was mein ist? Und wenn ich es dir nicht geben will?“

Der Rabe spannte seine Flügel und seine Schwungfedern reichten von Horizont zu Horizont. Er war seine Nacht, er war sein Sturm, er war die Brücke nach Hause.

Die Druidh auf ihrem Streitwagen zeigte sich beeindruckt, vielleicht sogar ein wenig verunsichert. Doch eine Luchni trug nie eine Schwäche offen zur Schau.

Es kam zum Kampf. Die Druidh war die Sonne, die Schönheit und die Ruhe in des Prinzen Leben. Sie war die süße Verlockung des Todes und hoffte jeden Augenblick, dass seine sterbliche Hülle nun endlich vergehen würde. Die Schamanin war die Nacht mit ihren schwarzen Schwingen und brach wie eine Woge aus dem Stoff der Welt über der Luchni zusammen. Wie Vögel hoben sich Tag und Nacht empor, um einen Kampf auszufechten, der das Schicksal eines Sterblichen besiegeln würde.

Leben und Tod.
Leben oder Tod.

Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen und entsandte ihre ersterbenden Strahlen durch den einsetzenden Nieselregen. Ein prachtvoller Regenbogen entstand am blutroten Himmel, doch war er zum Vergehen verdammt. Bald schon würde die Macht der Natur über das Schicksal der Sterblichen obsiegen, denn das Rad der Zeit drehte sich unablässig voran. Denn mit der Nacht, das las er aus den Zeichen, würde die Passage durch diesen Cairn zu gefährlich werden.
Er verfolgte den Silberfaden der Prinzessin, der Seele und Körper miteinander verband mit seinem Blick in den Abgrund hinein. Schon begann der Regenbogen zu verblassen, als der Druidh hinter sich einen verzweifelten Atemzug hörte. Er drehte sich herum und erspähte im Strom des breiten Baches eine Gestalt, die sich mit verzweifelten Schwimmbewegungen an das Ufer zu retten trachtete.
Der Druidh trat in das Wasser hinein ergriff die Hände der Frau. Er zog sie zu sich auf festen Boden, als der Regenbogen endgültig verblasste und die Vorboten der Nacht das Land langsam in ihre Schatten hüllten.

Die Anagok ließ sich ermattet neben der Prinzessin nieder und nahm ihr die Rabenmaske aus den verkrampften Händen. Flatternd öffnete Syria die Augen und setzte sich auf. Ein gewisses Schwindelgefühl ergriff von ihr Besitz. Da war ein Schmerz in ihrer linken Handfläche und als sie sie sich ansah, erkannte sie das rote Kreuz darin. Lächelnd zeigte ihr die Anagok das Gegenstück in ihrem eigenen Fleisch. Sie waren in dieser Reise tatsächlich verbunden gewesen.

Blut lief der Prinzessin aus der Wunde und als sie dem Rinnsal mit den Blicken folgte, entdeckte sie, dass es um einen kleinen Stein am Boden eine Lache gebildet hatte. Mit kraftlosen Fingern kratzte sie das Stück aus der Erde und musste ihren Irrtum feststellen. Sie hielt mitnichten einen Stein in ihren Händen, sondern den Siegelring ihres Bruders, der den Drachenhainer Drachen zeigte.
Wie der hier her gelangt war … das blieb ein Rätsel.

Das Erwachen

„Nun ist er ist da, gerade noch rechtzeitig um vom Prinzen Abschied zunehmen! Der Prinz und damit die direkte Linie Drachenhain, wird wohl heute noch den letzten Atemzug auf dieser Welt tun!“ dachte sich Abt Remedius von Richilesruh und ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Er, der Amtsnachfolger des jetzigen Bischofs auf dem Drachentrutzer Klosterstift, neigte vor dem Älteren ergeben das Haupt. An der trauervollen Miene des Bischofs erkannte er, dass dieser die Lage in all ihrer Gräuel auf einen Blick erfasst hatte. Allein schon dieser flinke Auffassungsgabe ließ den Abt zu seinem einstigen Mentor und Lehrmeister aufblicken. Remedius hatte ihm tatsächlich viel, wenn nicht alles, zu verdanken. Allein Ceridian Aegidio war es gewesen, der ihm, dem damals noch land- und hoffnungslosen Edlen Hrabas von Baldwiesen, von den verruchten Schenken und Straße holte und ihm in der ceridischen Kirche eine neue Heimat verschaffte. Der Alte errettete ihn und setzte ihn später, nachdem er sich bewährt hatte, neben sich in Amt und Würden. Remedius selbst dankte dem Bischof dieses Vertrauen allewege durch Fleiß und Tugend. Für ihn war der greise Mann stets Vater und Vorbild gewesen, er kannte keinen Menschen, der mildtätiger und sanfter ist.

Der Bischof erwiderte wohlwollend den Gruß, trat zu ihm an das Krankenlager des Sterbenden, besah sich mit kummervollem Blick den wie unbeweglich Daliegenden und reichte dem Abt sogleich das mitgenommene Weihrauchfass. „Er erscheint mir so viel jünger“, dachte sich Remedius im Stillen, „die Arbeiten und Aufgaben eines Bischof scheinen ihm offensichtlich gut zu tun – wie elend und alt im Vergleich zu ihm Prinz Leomar aussieht!“ Nachdem er im stillen Gebet das Rauchwerk entzündet war, füllte der edle Duft sofort jeden Winkel des Raumes aus, der Abt liebte diesen Geruch. Von fern vernahm er die ausklingenden Glocken der Feste, dann folgte Stille.

Für Prinz Leomar würde es wohl im Grunde ein schneller und damit sanfter Tod sein. Erst gestern hatte sich plötzlich das hohe Fieber entwickelt und war binnen Kurzem auf ein solches Maß angestiegen, dass den erfahrenen Heilern und Medici rasch klar wurde, dass es mit dem Prinzen recht bald zu Ende gehen wird. Entgegen allen Ratschlägen seiner Vertrauten beschloss der Fürst keinerlei weiteren Personen von dieser tragischen Nachricht in Kenntnis zu setzen. Zu Remedius Entsetzen war weder Schwester, noch Freunde oder sonstige Anverwandte benachrichtigt worden. So war es um den Abt eine kleine Runde, die den Thronfolger des Fürstentums bei seinem letzten Gang begleitete. Mit Prinz Leomar wird nun das stolze und alte Haus Drachenhain verglimmen. „Oh Einer, welche Zukunft erwartet Dein Drachenhain?“

„Cum venit tempus, quod tu floruisti in ramis tuis…“ erst leise summend, dann immer lauter werdend, stimmte der Bischof den alten ceridischen Choral an, in den erst Remedius, dann Fürst und hernach alle anderen mit einfielen. Am Ende hallte der große Raum vom Schall der frommen Worte wieder, allen Beteiligten liefen Tränen der Trauer von den Wangen.

Unendlich langsam sah der Abt wie sich des Bischofs alte Hand dem Antlitz des Prinzen näherte. Sanft lächelnd legte Ceridian Aegidio dem Prinzen zum endgültigen Abschiede die Hand auf die Stirn, wie er es wohl auch vor Jahrzehnte zu dessen Taufe getan hatte. Und da geschah plötzlich das Unfassbare. Erst dachte er der Weihrauch trübe ihm die Sinne, aber nein, mit einem Mal sah Remedius wie der todgeweihte Prinz erstmals seit Monden die Augen aufschlug und blinzelte, in tiefen Zügen einatmete, sich mit einem Male aufbäumte und letztlich vollkommen entrückt in die erschrockenen Gesichter der Menschen um ihn schaute. Dann verließen ihn die Kräfte jedoch wieder und er sank in einen ruhigen und friedlichen Schlaf. Ringsum waren nun alle hellauf begeistert und lagen sich weinend in den Armen: „Ein Wunder, ein Wunder ist geschehen!“ rief Remedius glückseligst aus und die Menschen fielen demutsvoll einer nach dem anderen zum Dankgebete auf die Knie. Abt Remedius war nun außer sich vor Freude: „Seht, der Eine hat durch die Hand des Bischofs ein Wunder getan und uns den Toten wiedergegeben! Lob und Preis Dir, oh Einer, für Dein göttliches Geschenk!“

Die Kettenhunde

Das erste, das Prinz Leomar gewahrte als er aus seiner tiefen Besinnungslosigkeit wieder zu sich kam, war der Stillstand des Wagens. „Haben wir unser Ziel etwa schon erreicht?“ Schoss es dem Prinzen durch den Kopf. Doch dann vernahm er von draußen einige Stimmen, vor der Kutsche diskutierten welche miteinander. Noch bevor er auch nur ein Wort der Unterhaltung verstanden hatte, war ihm klar: „Sie haben uns!“

Leomar lauschte nun den Männer und fand seine Vermutungen bestätigt. Eine tiefe Stimme rief gerade barsch: „Los Bronu, im Namen seiner Durchlaucht Fürst Waldemar von Drachenhain. Steig ab vom Kutschbock! Oder sollen wir dir tatsächlich Gewalt antun?“ Ein anderer sagte in etwas versöhnlicherem Ton: „He alter Freund. Lass doch den Unfug und steck das hässliche Ding weg. Du könntest noch jemanden verletzen!“ Dann vernahm Leomar zu seiner Erleichterung die zwar etwas zittrige, aber nichtsdestoweniger tapfere, Stimme seines Dieners: „Nn..nein! Der Herr hat mir befohlen ihn ins Tlamanische zu fahren und ich gehorche, jawohl!“ „Aber schau doch“ versuchte ihn der Sanfte mit einschmeichelndem Ton zu überreden „Fürst Waldemar wünscht es doch so. Willst du gegen den direkten Befehl seiner Durchlaucht handeln? Wem fühlst Du Dich denn verpflichtet, dem Fürsten oder einem…“ Leomar hatte genug gehört. Er sammelte seine letzten Kräfte, öffnete mit einem Ruck die Tür und sprang aus der Kutsche, es war helllichter Tag. „Einem WAS?…. Sprecht getrost weiter, Radulf von Ettelberg und Betzo Odalwehr!“ erschrocken wichen die beiden Gestalten, der eine groß und bullig, der andere schmal und drahtig, zwei Schritte zurück „Da hat der Fürst ja seine besten Kettenhunde auf uns losgelassen, braver Bronu. Aber sei unbesorgt, zubeißen getrauen sie sich doch nicht!“

„Euer Hochgeboren, ihr seid … gesund?“ fragte der raue Betzo mit einem Mal höchst unterwürfig „Nicht nur gesund, sondern auch bei vollen Sinnen! Macht also, dass ihr Heim zur Feste kommt und richtet dem Fürsten aus, dass der Eine sich in mir wohl getäuscht haben müsse. Bestellt ihm dies!“ Radulf hob indes an zu sprechen „Aber, aber Euer Hochgeboren, seid doch vernünftig! Geht mit uns und sprecht noch einmal mit Eurem Vater, so dass ihr im Frieden voneinander scheidet!“ während er beschwichtigend redete, setzte sich Betzo auf dessen Zeichen hin behutsam in Bewegung. Offensichtlich versuchten die Beiden ihn mit Gewalt zur Feste zurückzubringen. Was nur soll ich tun? Noch bin ich zu schwach zum Kämpfen, dachte sich Leomar, Betzo kam schon bedrohlich nahe, da war plötzlich ein Klicken und gleich darauf, des Dicken Schmerzgeheul zu vernehmen. Aus seinem Schenkel ragte die Befiederung eines tief im Fleisch steckenden Bolzens. „Das sollst Du mir büßen, Bronu! Komm Du nur heim zur Feste, dann kannst du etwas erleben!“ bellte Betzo ächzend. Radulf besann sich kurz, wahrscheinlich überlegte er, ob er lieber Leomar fangen oder doch besser seinem Kameraden zur Hilfe eilen sollte, da sah er Leomars blanke Klinge seinem rechten Auge entgegengestreckt. Radulf hob ergeben die Hände: „Gut. Ihr wolltet es nicht anders, Prinz. Betzo und ich haben getan was in unserer Macht stand!“ Dann wandte er sich zu seinem Kameraden und half diesem auf dessen unweit angeleintes Pferd, schwang sich dann auf sein eigens Ross und so ritten beide grußlos, aber vor sich hinfluchend, davon.

Als die Reiter außer Sicht waren, sackte Leomar in sich zusammen. Der Streit hatte ihn zuviel seiner Kraft gekostet. Hätten Betzo und Radulf sich in diesem Augenblick besonnen und umgekehrt, sie hätten wahrlich leichtes Spiel gehabt. Stattdessen aber stieg der brave Bronu nun doch noch von seinem Kutschbock und hob seinen jungen Herrn ins Innere des Wagens zurück. Mit den Worten: „Auf nach Tlamana, auf zu Leabell, tapferer Bronu! Bald sind wir da!“ sank Prinz Leomar wieder in die schwarze Tiefe der Ohnmacht.

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An die zu Cambrück anwesenden Gelehrten

Allgemein beklagt ihr das mangelnde Interesse des Adels an euren Forschungen und Fachgebieten. So möchte ich euch doch eine mögliche Ursache dieses Verhaltens näher bringen, wie sie sich mir zu Cambrück darstellte:
Am Adelstage wurde ich höflich eingeladen, zur Gründung der Universität einen Vortrag zu halten. Erfreut stimmte ich zu, sah ich doch die Möglichkeit, dem Auditorium zu zeigen, dass zahlreiche Geweihte eine Ausbildung besitzen, die dem Werdegang eines Gelehrten durchaus gleichwertig ist. Deshalb verzichtete ich darauf, glaubensphilosophische Ansätze zu präsentieren, die bei so manchem Gelehrten ohnehin – leider- fehl am Platze sind, sondern wählte ein sehr anschauliches und praxisbezogenes Thema. Dass mein Vortrag für die meisten unter euch nichts Neues bot, nahm ich dabei gerne hin, ging es mir doch darum, zuallererst einmal den Gleichstand des Wissens zu verdeutlichen! Mit Erkenntnissen aufzuwarten, bei denen wir Geweihten euch voraus sind, wäre wohl nicht sehr diplomatisch gewesen.
So hoffte ich nun, in die Reihen der Gebildeten aufgenommen worden zu sein, jedoch weit gefehlt, wie sich später herausstellte. Ich bot mich an, meinen hochgeschätzten Freund und Nachbarn Prinz Anselm von Thal auf seiner schweren Reise in die Erinnerung zu begleiten, was auch angenommen wurde. Nun sollten Gelehrte doch wenigstens eine Vorstellung davon haben, wie aufwändig und anstrengend Astralreisen sind, noch dazu ohne ausreichende Vorbereitung und erfahrenen Beistand. Nur um Prinz Anselm zu helfen, ließ ich mich auf dieses Wagnis ein, während Arana und Mira den Zustand seines Körpers überwachten. Darauf, wie kräftezehrend es ist, ständig in seiner Konzentration unterbrochen zu werden, will ich nun gar nicht näher eingehen. So wanderte ich nun mit den Gedanken des Prinzen zurück in seine Vergangenheit, um ihn notfalls festzuhalten und sicher zurückzubringen, wenn Aranas Bindung an die Erde nicht genügen würde. Ich ging neben Anselm und fühlte seine Angst und seinen Schmerz mit ihm, dann wurde es dunkel, und erst nach langer Zeit fand ich zurück und sah das besorgte Gesicht Aranas über mir, die veranlasste, dass ich auf mein Zimmer gebracht wurde. Von den Gelehrten war allerdings keiner mehr zu sehen. Von einem Freund erfuhr ich, dass sie sich sofort nach Beendigung des „Experiments“ eifrig in Diskussionen verwickelt und das Zimmer verlassen hätten, ohne sich weiter um die Beteiligten zu kümmern. Wir hatten also unsere Schuldigkeit getan, scheint mir.
Wie Herr Adastratus in seinem Bericht schreibt, „ist das bei uns leider so verbreitete kleinkarierte Denken völlig fehl am Platze.“ Jedoch sollte er sich selbst davon nicht ausnehmen, denn auch seine Beschreibung der Ereignisse zeigt, wie wenig ihm die Rolle von uns Geweihten bei diesem „Experiment“ überhaupt aufgefallen ist. Offenbar sieht man in uns Dienern an den Göttern in der Tat nicht mehr als Beter und Heiler. Diese Haltung ist sehr schade und führt schnell dazu, dass man sich zweimal überlegt, ob man seine Kraft und Gabe solcherart Arroganz zur Verfügung stellt. Ein fester Glaube ist zu weitaus mehr imstande als der komplizierteste Apparatus!
Die Ablehnung eurer Wissenschaft durch viele Adelige nun gründet sich zumeist auf Furcht vor diesen unbekannten Vorgängen, gestützt durch zahlreiche Ereignisse und Gerüchte von verschwindenden Dingen und Personen. Bedenkt bitte eines: Wenn einer von euch Gelehrten verschwindet, so ist das ein Schaden für seine Person, schlimmstenfalls für seine Academia. Wenn jedoch ein Adeliger verschwindet oder Schaden erleidet, so sind davon oft tausende Menschen betroffen, Chaos und Instabilität sind die Folge. Wenn also wir unser Misstrauen überwinden und solchen Vorgängen wie zu Cambrück beiwohnen, so vergeltet uns dies auch mit ein wenig Höflichkeit und Rücksichtnahme.

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