Boten-Teil: Herzöglich-Ostarische Hofgazette Seite 1 von 2

Heilige und Dämonen im Ehlerwald

Wie es scheint, kommt der Ehlerwald nicht zur Ruhe. Zuerst berichtete der
Klosterbruder Videtus aus Rodi über eine Erscheinung des heiligen Adrian
im Ehlerwald (siehe Helios-Bote 80).

Das bewog etliche Pilger sich dorthin aufzumachen, trotz der ständigen
Gefahr sich zu verirren oder gar überfallen zu werden. Im Vertrauen auf
den Beistand eines Heiligen (womöglich Adrian persönlich) begaben sie sich
tief in den Ehlerwald, und es ist nur aufmerksamen Bauern, Holzfällern
und der Ehlerwald-Patrouille sowie glücklichen Zufällen zu verdanken, dass
bisher niemand zu Schaden kam oder auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist.

Keiner dieser Pilger konnte die Erscheinung eines Heiligen bestätigen;
doch sind viele von ihnen der Ansicht, dass ein Heiliger oder sogar der
Eine persönlich die Finger im Spiel hatte, als sie aus der ein oder
anderen Notlage im Wald gerettet wurden, in welche sie sich aus purem
Leichtsinn gebracht hatten.

Es tun sich aber anscheinend noch ganz andere Dinge im Ehlerwald. Schon
mehrere Holzfäller haben berichtet, dass der Daimon tief im Wald sein
Unwesen treibe. Die meisten von ihnen trauen sich auch gar nicht mehr
weiter in den Wald als unbeding nötig. Von Blutopfern und Hexentänzen ist
die Rede, was allerdings von den verständigeren unter den Holzfällern als
Aberglaube abgetan wird.

Unbestritten sind jedoch die Berichte über daimonische Erscheinungen
von als vertrauenswürdig erachteten Holzfällern. So beschwört der alte
Hans Glockenschlag, er habe im Wald direkt vor sich einen Blitz gesehen,
von schrecklichem Donner begleitet; und dann habe er Schwefel gerochen.
Diese Aussage wurde bestätigt durch weitere Holzfäller, wie den allseits
geachteten Jakob Einbaum oder Friedrich Gerstensack, die an verschiedenen
Stellen des Ehlerwaldes dieselbe Beobachtung machten. Andere stimmten
darin zu, wenigsten von Zeit zu Zeit einen kurzen Donner tief im Wald
gehört zu haben.

Die Ehlerwald-Patrouille kann diese Begebenheiten bisher weder bestätigen
noch widerlegen, empfiehlt allerdings allen Reisenden, unbedingt auf den
Wegen zu bleiben und nicht tiefer in den Wald vorzudringen.

Unruhe im Hafen von Veitsburg

„Unfassbar!“ schallt es über den Kai, kurz nachdem das Admiralsschiff den Hafen von Veitsburg verlassen hatte. Völlig außer sich schritt Kapitän Xurlsen Kielholer an Bord der Brassach auf und ab. „Wie kann er nur?!“
Sein erster Offizier versuchte ihn zu beruhigen. „Frau Marinehauptmann hatte die Lage im Griff. Außerdem war Adminal Hinrich …“
„Es war pures Glück, dass der Admiral rechtzeitig zugegen war!“ fiel ihm der Kapitän ins Wort und wandte sich um. „Stellen Sie sich vor, was passiert wäre, wenn er nicht geplant hätte, dem Hauptmanöver beizuwohnen, um sich selbst ein Bild von der Schlagkraft unserer Expeditionsflottille zu machen.“ Schimpfend und fluchend setzte er seine Runde an Deck fort, ohne dass deutliche Worte zu vernehmen waren.
Auf dem Anleger begannen Matrosen und Hafenarbeiter zu tuscheln. Niemand wusste genau, was vorgefallen war. Es war lediglich bekannt, dass das Landungsunternehmen der Expeditionsflottille zum Manöver auf den Marinetruppenübungsplatz Veitsburg-Nord in Garstfeld abgerückt war. Dann tauchte ein Leutnant in Begleitung etlicher Amtspersonen auf, um nach einer kurzen Visite an Bord der Brassach nur mit einer Handvoll Begleiter im Schlepptau wieder zu verschwinden. Die Mehrzahl der Amtspersonen verblieb scheinbar auf der Brassach.
Nur wenige Minuten später legte das Admiralsschiff von Hinrich von Harkenberg in Veitsburg an. Man sah den Kommandant der Ostarischen Kolonialflotte eiligen Schrittes an Bord der Brassach gehen, ohne sich Zeit für die sonst üblichen Sitten und Gebräuche beim Betreten eines Schiffes zu nehmen. Am späten Nachmittag sah man den Admiral, ebenso eiligen Schrittes, von Bord gehen, sein Gesicht schwer in Sorge.
Am Abend kehrte der Admiral wieder zurück. Eine Last schien von ihm abgefallen zu sein. Kapitän Kielholer wechselte einige kurze Worte auf dem Anleger mit ihm, bevor Hinrich von Harkenberg sein Schiff bestieg und den Befehl zum Ablegen gab.
„Was immer es war,“ meinte ein Hafenarbeiter zu seinem Kollegen, „es schien glimpflich ausgegangen zu sein.“
„Du sagst es.“ antwortete er. „Hoffentlich können wir weiterhin auf unsere Expeditionsflottille zählen. Schließlich mehrt sie durch ihre großen Abenteuer das Wohl und Ansehen unseres Herzogtums. Du kennst ja selbst die Lieder, die in den Tavernen über sie gesungen werden.“
„Da sagst Du etwas. Komm, lass uns ein den ‚Goldenen Anker‘ gehen, und ein Glas zu ihren Ehren trinken.“

Brazfurter Mittsommer

On bisch Du ao a daube Sau
An baisa Mo, a wiaschte Frau
Odr no sonscht an Luada
An Mittsommr, da leh mer fei
Ao mol des Bockshorn grode sei:
Heit bisch ao Du an Guada!

Dunkelsteiner Schattentheater für gepflegte Zerstreuung

Holt euch anspruchsvolle Unterhaltung in die Stube. Von nun an könnt Ihr selbst für die abendliche Zerstreuung sorgen. Das Durchfüttern untalentierter BardInnen, die eh meist ums Gesinde schleichen ist jetzt überflüssig.
Noch heute per Depesche ordern!
Jedes Schattentheater wird individuell und kunstvoll gefertigt. Die Handhabung wird vor Ort fachgerecht vermittelt. Zur Grundausstattung gehört ein Abenteuer des legendären Kapitän Kielholer. Zusätzlich kann das Repertoire mit der ogedischen Mythensaga oder den ceridischen Lebensbilder ergänzt werden. In Arbeit befindet sich das Werk über wahre Verbrechen: „Die glaubhaftesten Lügen vor darianischen Kadis“. Ein Almanach, der für umfassende Unterhaltung während der kalten Saarkamonde sorgt.
Die vielbeachtete Vorführung bei der Novitätenschau zu Lodenburg sorgte für Aufsehen und Anerkennung. Schon bald könnt Ihr stolzer Besitzer dieses einzigartigen Unterhaltungs-Apparatus sein.
Selbstverständlich wurde das Schattentheater vom Herzoglich-Ostarisches Patentamt geprüft und mit der Patentnummer 57A672-ERPO-755 versehen.
Die Zulassung ist dortig bei der Abteilung Patenterteilung, Schustergasse 127c, Zimmer 665 einzusehen. Der Amtsleiter, Amtsdirektor Hilbert von Egelbrech sowie Sachbearbeiter Amtmann Parzifal Schwertfeger-Nadelbinder werden auf Nachfrage Einsicht gewähren.
Vor Nachahmern und minderwertigen Fälschungen wird gewarnt!

Expeditionsflottille auf Abruf

Die Admiralität zu Ankur lässt vermelden, dass die 1. Herzöglich-Ostarische Expeditionsflottille weiterhin im Dienste des Ersten Seeherrn, Jareck von Jolberg, steht. Jedoch steht sie fürderhin für die Dauer von zwei Jahren auf Abruf und unter strenger Beobachung. Zu diesem Entschluss kam es nach einer eingehenden Prüfung durch eine Kommission des Amts für Interne und Externe Revision unter der Leitung von Leutnant Damiano von Nigramsfall. Unterstützt wurde er dabei unter anderem von Hilltrud von Forsberg-Nieblschütz von der Zentralabteilung für Personalwesen sowie Gilbert Glitschaal vom Kontrollreferat für Organisatorische und Operative Abläufe.
Die längst überfällige Kontrolle fand ohne vorherige Ankündigung während des laufenden Manövers des Landungsunternehmens am 28. Tag des dritten Poënamond im Jahre 49 n.A.III statt. Die Entscheidung wurde den Offizieren und der Mannschaft noch am selben Tag und im Beisein des Admiral der Ostarischen Kolonialflotte, Hinrich von Harkenberg, verkündet.

Über die Namensgebung von Kriegsgerät

Neuerdings sind einige böswillige Gerüchte aufgekommen, die mich nötigen, persönlich das Wort an die ehrsamen und fleißigen Bewohner der stolzen Stadt Betis zu richten. Es ist in der Tat richtig, dass die vier Pavesen, die üblicherweise bei den Landungsmissionen der Ostarischen Expeditionsflottille mitgeführt werden, traditionell Betiser Vornamen tragen. So fiel den Matrosen vor geraumer Zeit der formschöne Gleichklang zwischen dem Defensivgerät „Pavese“ und dem allseits bekannten Namen „Corvese“ auf. Da sich die Pavesen schon oftmals als Speerspitze der Lagersicherung bewährt haben, war es somit nur eine Frage der Zeit, bis die stete Verteidigungsbereitschaft und Standhaftigkeit der Betiser Bürger hier in Form von klangvollen Vornamen ihren Niederschlag fand. Zum einen dienen die Namen der vier „Fratelli Pavese“ natürlich der Unterscheidbarkeit der einzelnen Defensivwaffen. Zum anderen soll (im Verbund aller vier) der traditionell starke Familienzusammenhalt in der freien Reichsstadt geehrt werden. Die Benennung der Pavesen ist somit auch ein Ausdruck der langjährigen und gewinnbringenden Zusammenarbeit der Ostarischen und der Betiser Flotte. Nur Personen ohne jeden maritimen Hintergrund und in Unkenntnis Ostarischer Traditionen können hierin einen Akt böswilliger Beleidigung erkennen.

Expeditionsbericht

Wie befürchtet, gestaltet sich die Orientierung im Ödland schwierig: Obwohl die Gegend nördlich von Härtwigs Hafen noch grün und fruchtbar ist und es an markanten Landschaftspunkten nicht fehlt, ist der Kompass schier nutzlos. Himmelsrichtungen scheinen keine Rolle mehr zu spielen, und die Landschaft, die man eben noch durchwandert hat, verändert sich im Rücken auf subtile Weise. Wir versuchen, mehr oder weniger nördliche Richtung zu halten und erreichen schließlich eine Burgruine. Dort entdecken wir eine Tafel mit den Symbolen der Viere, durchbrochen mit einem ceridischen Kreuz. Im Innenhof kämpfen drei Männer miteinander, augenscheinlich unsere ersten Ödländer. Als wir zu Hilfe eilen, stellt sich heraus, dass es sich nur um ein Kräftemessen handelt, dem sie aber enorme Wichtigkeit beimessen. Stolz erklären sie uns „Mein Gott ist Javare!“ oder „Mein Gott ist Vahrim!“ Während wir noch verblüfft nachfragen, bricht ein Sturm brüllender, Waffen schwingender Ödländer über uns herein. Die drei machen keine Anstalten, uns zu helfen, und kehren uns lachend den Rücken. Nur mit knapper Not können wir uns erwehren, doch kaum einer bleibt ohne Verwundung. So schnell der Angriff über uns kam, so schnell ist er auch wieder vorbei, die Horde zieht weiter, nur eine Eule flattert herum.

Um unsere Verwirrung noch zu vergrößern, verwandelt sie sich in einen Menschen und lädt uns zum Ulsari-Fest in eine Taverne in der Nähe ein. Die Eule, vielmehr der Mensch, behauptet, ein Formwandler zu sein, eine Begabung, die hier wohl öfter vorkommt. Wir erkundigen uns nach dem Sinn des Ulsari-Festes und erfahren, dass es ein großer Tauschtag ist. Besonders begehrt sind magische Fokusse, aber so etwas haben wir natürlich nicht im Gepäck.
Unterwegs erfahren wir noch, dass das Ulsari-Fest für Erneuerung und Fruchtbarkeit steht, eigentlich nicht ungewöhnlich, da heute ja auch das ogedische Laubfest mit ähnlicher Bedeutung ist. Interessant ist auch, dass in letzter Zeit mehr Fremde in der Gegend aufgetaucht sind, darunter auch Heligonier. Letztere retten uns vor einem weiteren Angriff, als wir mehr tot als lebendig in den Hof der Taverne humpeln: Eine Gruppe aus Ankur um Ritter Gerdhelm, die die Leomark über den Landweg erreichen wollte, hängt hier schon seit mehreren Wochen fest. Alle Bemühungen, den Ort zu verlassen, führen immer wieder zum Haus zurück.
Beim Tauschtag erzählt man uns, dass es in der Nähe Orte mit Ameryllvorkommen gibt. Wir sammeln einiges davon ein, doch die Ulsari verlangen, es weit außerhalb der Taverne zu deponieren. Ulsar könne sie dann nicht mehr sehen und beschützen. Vor den Angreifern? Keine Antwort. Unsere Vermutung, es könnte der Weg aus der Tavernen-Falle sein, bestätigt sich nicht, jedenfalls solange keiner das Reisen durch Ameryll beherrscht. Für Ceriden scheint es ohnehin unmöglich zu sein.

Über unsere Angreifer erfahren wir, dass sie „Unberechenbare“ genannt, von allen Ödländern gefürchtet werden und es kein Mittel gegen sie gibt. Die Katze, ein weiterer Gestaltwandler, erzählt mir, dass die Angriffe der Unberechenbaren in letzter Zeit mehr geworden sind, dass zunehmend alte Tabus gebrochen wurden. Und obwohl die Taverne von Ulsar geschützt wird, kamen die Angreifer ungewöhnlich nahe. Es ist also eine Veränderung im Gange.

Ein Wildschwein-Gestaltwandler erklärt mir bereitwillig die Stämme der Ödländischen Gesellschaft, wobei eher die Bezeichnung Kasten passen würde:
Die Ulsari sind die Zauberer und Formwandler, sie haben verschiedene Begabungen.
Die Wogu sind die Bauern, die den Acker bestellen und für Nahrung sorgen.
Die Gorsan reden mit den Göttern.
Die Bensur arbeiten mit Papier, sie schreiben und forschen.
Die Dechmol sind die Heiler und Schamanen, sie haben Kontakt zur Geisterwelt.
Die Javare sind die Krieger. Innerhalb dieses Stammes gibt es die Garde: Sie sorgt für Recht und treibt Steuern ein.
Zudem gibt es verschiedene Aspekte, die die Stellung innerhalb der Kaste beeinflussen können, aber das erschien mir etwas unklar. Kommt etwa zu einer Berufung zum Javare der Aspekt „Glück“ hinzu, so will er sich ständig beweisen und fordert jeden zum Kampf – er wird zum Unberechenbaren.
Überraschend taucht ein Ritter des Ordens vom Wahren Wort auf, nach dem wir auf der Suche sind. Er scheint öfter anwesend zu sein und lehrt einige Kinder aus einem Buch die ritterlichen Tugenden. Jener Kodex stellt sich als verfasst von „Jorin“ heraus, einer äußerst geheimnisvollen Person in arkanen Kreisen, wenn ich mich recht erinnere. Als Ritter Larion von den acht Artefakten, nach denen wir auf der Suche sind, keinen blassen Schimmer hat, wird er uns verdächtig. Tatsächlich handelt es sich um einen Hochstapler, der die Ausrüstung des toten Larion an sich genommen hat.

Wir machen uns auf die Suche nach den Überresten des echten Larion und finden schließlich seine Gebeine im Wald. Eines der sechs Kinder ist in der Lage, mit Kobolden zu sprechen, diese haben den Ritter vom Felsen stürzen sehen, dabei sei ein großer Vogel weggeflogen.

Ob es sich dabei um Gwon, Rabe oder einen weiteren Formwandler gehandelt hat, muß offenbleiben. Die beiden Heliosgeweihten Metabor und Fernvihn Evertun wollen aber Gwon ausschließen, da der Vogel bereits anwesend war, als der Ritter noch im Fallen, also am Leben war.

Kurz darauf ist ein Tagebuch Larions in Umlauf, offenbar im Besitz der Kinder, in das ich kurz Einblick nehmen kann: Er wurde zusammen mit weiteren Ordensrittern von seinem „Patron“ ausgesandt, um die Artefakte zu finden. Man müsse sie (wieder?) sammeln und bewahren, weil sie zu große Macht hätten. Das Tagebuch schreibt er, um sich immer wieder daran zu erinnern, wer er ist und welche Aufgabe er hat. (Er schreibt auf, „um nicht vom Weg abzukommen“. Vielleicht auch für uns ein Hinweis im Umgang mit den Phänomenen des Ödlands?) Larion habe den aktuellen Besitzer des Dolches ausgemacht, einen gewissen Arwaatz. Dieser bewahrt ihn in einem Versteck auf. Larion müsse ihn nun jede Nacht beobachten, um es zu finden und hofft, dass er die Macht des Dolches nicht kennt und einsetzt.

Eines der sechs Kinder, die offenbar verschiedene Begabungen haben, spricht über das Gebein mit Larions Geist: Es sei kein Mord gewesen, er geriet mit Arwaatz in Streit und stürzte den Felsen hinab. Arwaatz werde den Dolch nun zu den Hohepriestern ins Zentrum der Ödlande bringen.

Das Ulsari-Fest endet am Abend mit der Verbrennung von alten Dingen und dem Aussprechen von Wünschen für das neue Jahr.
Wir wissen also nun, dass eines der acht Artefakte ein Dolch ist und dieser sich auf dem Weg in das zentrale Heiligtum der Ödlande befindet. Die Kinder, welche sich „Sechskant“ nennen, erklären sich bereit, uns dorthin zu führen. Die Gruppe um Ritter Gerdhelm dagegen wird zum Jolborn und damit zurück nach Heligonia gebracht werden, ihm gebe ich diesen Bericht mit. Wir anderen ziehen nun weiter in die Ödlande hinein.
Bis auf die Angriffe relativ kleiner, offenbar unabhängiger Gruppen von „Unberechenbaren“ habe ich bis jetzt keine kriegerischen Handlungen erkennen können, auch keine Vorbereitungen zu größeren Zurüstungen. Galten die Ödländer im letzten Krieg noch als bunt bemalte, mit Leder und Fellen bekleidete, Speer schwingende Krieger, so sind die Menschen hier völlig normal gekleidet, es gibt keine auffälligen Tracht-Merkmale. Bei den Unberechenbaren sah ich höchstens Lederschutz, aber keine schweren Rüstungsteile. Insgesamt stellt sich die Gesellschaft etwas komplexer dar als in den alten Kriegsberichten beschrieben. Einen Kriegs-Schamanen oder gar zusätzliche Körperteile oder andere Modifikationen aus Ameryll sah ich bis jetzt nicht.

Ebenso versicherten mir die Ulsari, dass bei ihnen niemand Boote oder gar Schiffe besitzt. Sie zeigten sich sehr überrascht vom Angriff auf dem Jolborn. Entweder geht hier etwas vor, von dem auch die „gewöhnlichen“ Ödländer nichts wissen, oder es sind bisher nur die ersten Auswirkungen einer Veränderung spürbar. Wir vermuten allerdings, dass dieser so mächtige Dolch in den falschen Händen die Krieger der Unberechenbaren und Javare vereinen und wieder gegen unser Reich aufstacheln könnte. Wem eine Kriegsfront im Norden nützt, dürfte klar sein. Ebenso klar ist uns, dass wir diese Hohepriester davon überzeugen müssen, uns beziehungsweise dem Orden des Wahren Wortes den Dolch zu sicheren Aufbewahrung zu überlassen. So wird aus unserer Expedition nun tatsächlich eher eine diplomatische Gesandtschaft – wenn wir glücklich in ihrem Heiligtum ankommen, eine Reise, die wohl mehrere Wochen dauern wird. Sofern es möglich ist, werde ich weitere Nachricht schicken.

Einsatz in Corenia

31. Tag 3. Helios 46, abends
Nach Einbruch der Nacht erreiche ich die Karawanserei „Zur großen Linde“. Ich will gerade nach einer Übernachtungsmöglichkeit fragen, da ist von draußen Geschrei und Geklirr zu hören. Unmittelbar darauf stürmen mehrere Söldner in die Taverne, entwaffnen und durchsuchen alle Anwesenden, dann werden sämtliche Gäste aus dem Außenbereich in die Taverne getrieben und ebenfalls festgesetzt. Die Söldner tragen schwarze Kleidung und das neue Wappen Arobens: Links den beridhanischen Bär auf rotem Grund, rechts den schwarzen Raben auf weißem Grund. Ein Hauptmann namens Valerian erklärt die Taverne zu seinem neuen Hauptquartier. Auf einen Zwischenruf, was das alles bedeute, antwortet er: „Der Herr will prüfen, ob man ihm hier ergeben ist.“ Ein Magus in schwarzgoldener Robe betritt den Raum, fuchtelt mit einem Dolch herum und macht einen eher hysterischen Eindruck, als würde er unter großem Druck oder auch einer Portion Rauschkraut stehen. Der Hauptmann erklärt, der Herr hier würde sich nun umsehen, ob jemand von uns nützliche Fähigkeiten habe. Ist also mit „Herr“ nicht Aroben, sondern dieser Magier gemeint? Der legt dem Nächstbesten die Hand auf die Schulter und sieht ihm in die Augen. Ist er ein Mentalist? Es muß bei dem Verdacht bleiben, da ich zum Glück unbehelligt bleibe.

Nach etwa einer halben Stunde ist plötzlich Lärm zu hören. Offensichtlich gibt es draußen Schwierigkeiten! Wir nutzen die Ablenkung für ein kleines Handgemenge und öffnen die Tavernentür: Zu meiner großen Verblüffung ist soeben ein heligonischer Truppenverband eingetroffen! Neben den O’Brians, den Magistern Quendan und Mira Mabignon und einigen anderen Bekannten ist zu meiner großen Freude auch der Orden des Lichts unter Martin Dorn dabei. Angeführt wird die ganze Gruppe von Ritter Ewald von Hüttstatt aus Tlamana, den allerdings ein vergifteter Dolch (des Magiers?) schwer verletzt hat. Magister Quendan erzählt mir, dass sie über ein magisches Tor im angrenzenden Wald angereist seien, allerdings wären die auf der Vjoshavener Seite stationierten Magister verschwunden, und alles habe wie eine magische Explosion ausgesehen. Es sei zweifelhaft, ob man von hier aus durch dieses Tor zurückkehren könne.

Kurz darauf trifft eine weitere Söldnergruppe ein, deren Befehl lautet, sich hier mit Hauptmann Valerian zu treffen. Sie haben eine zerlegte Ballista und mehrere Korbflaschen bei sich. Schnell entsteht ein weiteres Scharmützel, bei dem eine der Flaschen eingesetzt wird: Zerbrochen verbreitet sie einen furchtbaren Gestank, der die Kämpfer zu starkem Husten reizt und so außer Gefecht setzt. Als wirksames Gegenmittel stellt sich Pfefferminztee oder –öl heraus. Der Kampf ist zum Glück schnell zu unseren Gunsten entschieden. Von einem gefangenen Söldner erfahre ich, dass er vor kurzem von diesen „Rabentruppen“ angeheuert worden war, wie viele andere in den Dörfern, und man sich hier und heute sammeln solle. Versprochen waren ordentlicher Sold, Verpflegung, Stiefel und alles, was so dazugehört. Der Herr hätte Geld und habe in letzter Zeit bei den Nachbarn ordentlich eingekauft. Er will in sein Land zurück und seine rechtmäßigen Ländereien zurückerobern. Und jetzt geht es eben endlich los. Morgen sei er da. Mehr wußte er nicht zu sagen. Aroben also doch im Anmarsch! Da die Länder östlich und westlich von Corenia kaum Bedeutung haben, kann es sich bei den „Nachbarn“ eigentlich nur um den Süden handeln, das sogenannte Reich der Mitte. Dies deckt sich auch mit Arobens Ausruf beim Adelstreffen „Der Feind meines Feindes ist mein Freund.“ Gut vorstellbar, dass das Reich der Mitte jede Gelegenheit wahrnimmt, reichsfremde Unruhestifter zu unterstützen, um in Heligonia Chaos zu verbreiten. Von meinem Kontaktmann erfahre ich noch am Abend, dass das Tor im Wald bis gestern nur ein „Riß“ gewesen sei, Valerians Truppen aber heute erst Stelen zur Stabilisierung aufgestellt hatten. Es scheint, dass dieser Riß von Aroben erst vor kurzem entdeckt worden ist, und nun hier das Hauptquartier errichtet werden soll, von dem aus seine Truppen nach Heligonia übergesetzt werden sollen. Dies gilt es nun zu verhindern.

01. Tag 1. Xurl 46, vormittags

Nach einer erstaunlich ruhigen Nacht tauchen immer wieder einzelne Gruppen von Söldnern auf, die sich mehr oder weniger einfach abwehren lassen.

Mehrere Leute im Lager erzählen von ähnlichen Träumen: Sie sahen drei Personen um eine Art Liege mit einem Gefangenen. An ihm wurde ein Apparatus angebracht, der ihm unter Schmerzen die Lebensenergie oder Seele entzog. Sie wurde darauf einem neuen Körper eingegeben. Einige sprachen auch von Totenerweckung, jedenfalls erinnerte die Schilderung stark an den Essenzapparat von Aroben. Keine der drei Personen sah allerdings wie Aroben auf meinem Steckbrief aus!

NB. Aus einigen Wassergefäßen und Muscheln ist Rauschen und Flüstern zu hören, das einige Leute als Gebet an Xurl verifizieren. Die Meinung der Geweihten und Schamanen geht dahin, dass das Wasser des Ortes durch irgend etwas unrein geworden ist und gereinigt werden müsse.
Auch ein anwesender Barde hatte vor einiger Zeit eine Eingebung für ein Lied, das ich mir anhöre: Es handelt von den Wasserwesen Alalusa, die ein friedliches Volk waren, bis sie eines Tages vom Reich der Mitte überrannt wurden. In ihrer Not taten sich die Schamanen mit ihrer Kraft zusammen, und der große Alalusa kam vom Himmel herab. Er brachte drei Lanzen, mit deren Hilfe das Reich der Mitte zurückgedrängt werden konnte. Als ich kurz danach mit dem Wirt rede, spricht dieser plötzlich mit anderer Stimme zu mir: ‚Dass der große Alalusa von seinem Meer oben auf das Meer herunten sah, und etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten, ein gefiedertes Wesen ist hier und verbreitet Chaos (Rabe?). Und unsere Kinder haben die Ahnen vergessen.‘ Ich frage nach diesen Kindern, und er beschreibt die Corenier. Magistra Mira bestätigt mir darauf, dass aus diesen Menschen offenbar gerade alte Alalusa sprechen. Magister Quendan äußert auch die Vermutung, dass diese drei Lanzen oder Artefakte bis heute einen Schutz vor dem Reich aufrecht erhalten, dieser aber nun irgendwie geschwächt wurde. Wie auch immer, hier ist in der Tat etwas aus den Fugen!

Die Apparatus-Träume bestätigen sich, als ein Mann auftaucht, in dessen Körper offenbar zwei Seelen stecken: Die eine bekämpft panisch jede Erinnerung an „das Ding“, an das der Körper angeschlossen war, die andere gibt sich arrogant und überheblich. Auch als einige gefangene Söldner verhört werden, stellt sich eine gewisse Verstocktheit heraus: Sie haben keinerlei Angst vor dem Tod, da sie „der Herr“ jederzeit wieder in einen neuen Körper stecken kann. Entsprechend nutzlos ist auch der Versuch einer Abwerbung: Das Versprechen der Unsterblichkeit ist weitaus interessanter als mehr Sold.

In der Tat wird bei einem weiteren Angriff vom Orden des Lichts ein Apparatus erbeutet, der schnell als „Absauger“ bezeichnet wird. Nach einer Untersuchung von Herrn Quendan ist klar, dass keine Seelen enthalten sind, es muß also einen weiteren Apparatus geben. Kann er über Resonanz gefunden werden? Eine interessante Analyse von Magister Quendan: Der Apparatus hat sowohl magische als auch religiöse Komponenten. „Jemand, der sich damit auskennt, hat von Allem etwas Nützliches genommen und zu einem unguten Mischmasch zusammengestöpselt.“
Dieser Jemand erhält bald einen Namen: Magister Exordus Brechnuss! Dieser Magus lebte zu Zeiten Arobens und wurde offenbar ebenfalls von Rabe aus der Vergangenheit ins Leben zurückgeholt. Auf Wunsch Arobens? Er scheint für seine Pläne Spezialisten für Apparati, magische Tore und dergleichen zu benötigen und greift dafür auf alte Bekannte zurück…

Mittags:
Nun soll endlich das Tor im Wald erforscht werden. Natürlich wird es gut verteidigt, und letztendlich wird die Stele, die die Stabilisierung gewährleistet hat, vom Feind selbst zerstört. Es handelte sich auch hier um eine Mischung aus arkaner und religiöser Macht. Das Tor beginnt sich hierauf wieder zu einem Riß zu verschließen und wird äußerst instabil. Magister Quendan rät von einem Durchschreiten dringend ab. Immerhin ist es nun für beide Parteien eine Patt-Situation: Keiner kommt jetzt durch das Tor nach Heligonia.
Als wir zurückkehren, waren inzwischen drei Geweihte im Lager, die darüber klagten, dass ihnen vor einiger Zeit drei Artefakte aus ihren Schreinen gestohlen wurden. Einige erinnern sich, im Traum auf dem Apparatus eine leuchtende Kugel gesehen zu haben. Dies bestätigt unsere Vermutung, dass von Arobens Spezialisten gezielt Artefakte mit göttlicher Macht „besorgt“ und mit arkaner Magie verbunden werden. ( Anm.: Gibt es hier einen Zusammenhang zu der ungeklärten Diebstahlserie einiger religiöser Gegenstände vor etlichen Jahren in Heligonia?)

Nachmittags:
Unmittelbar darauf werden wir von einer großen Gruppe Rabensöldner attackiert. Brechnuss und ein truhengroßer Apparatus sind ebenfalls vor Ort, auf ihm die leuchtende Kugel! Trotz mehrerer tapferer Angriffe scheint eine Eroberung des Apparatus aussichtslos, wir müssen uns notgedrungen auf eine Verteidigungsstellung zurückziehen. Dennoch war Brechnuss offenbar gezwungen, seine zahlreichen Toten zu schnell wiederzubeleben, so dass der Apparatus zunehmend überhitzt: Schließlich gibt es einen lauten Knall, eine Explosion, und alle verlieren das Bewußtsein.
Das Gefühl, aufzustehen und seinen Körper weiterhin liegen zu sehen, ist schwer zu beschreiben. Sind wir tot? Während wir einem inneren Zwang folgen, zur Taverne zurückzukehren, ziehen sich die Geister der Feinde maulend ebenfalls zurück: ‚Nicht schon wieder!‘ oder ‚Er hat uns versprochen, dass das nicht mehr passiert!‘ ist zu hören. Scheint so, als ob Apparatus-Magie nicht Brechnuss‘ Stärke wäre.

Obwohl Herr Evertun, Geweihter des Helios, ein Gebet an Gwon spricht, müssen wir nach einiger Zeit feststellen, dass dieser auf sich warten läßt. Weil hier Rabe noch an der Macht ist? Oder passiert hier etwas ganz anderes? Im Laufe mehrerer Stunden erleben alle „Toten“ eine Reihe von teils verwirrenden, teils skurrilen Aufgaben, die sich aus verschiedenen Jenseitsvorstellungen zusammensetzen, überwiegend jedoch ogedischen Glaubens. Das Ganze kommt einer „Seelenreise“ recht nahe: Empfang, Prüfung des Lebens, Beurteilung, Sendung. Tatsächlich mündet der Bewußtseinszustand nach erfolgter Prüfung wieder in der Wirklichkeit, in die man (wenigstens körperlich) unversehrt zurückkehrt.
Zuvor aber begleitet mich ein Alalusa einige Schritte. Er entschuldigt sich vielmals für das, was geschehen ist, aber sie hätten keine andere Möglichkeit gesehen, mit uns in Kontakt zu treten. Es tut ihnen leid, dass sie diese Bilder wählen mußten, aber sie glauben, dass sie dadurch am besten mit uns reden konnten und wir verstehen. Sie hätten damals die Drei Lanzen nicht zurückgegeben, das sei ein Fehler gewesen. Und ihre Kinder hätten nun ihre Ahnen vergessen und so vieles andere. Als Wiedergutmachung gibt er mir eine Frage frei, die ich den Alalusa bei Bedarf stellen könne.
Außerdem sei der Aroben, den ich suche, tatsächlich hier im Land Corenia, aber nicht in der Nähe. Aber derjenige, der mit den Artefakten herumgespielt habe, sie nun nicht mehr hier.
Schließlich wache ich auf. Der vermeintliche Tod war, wie sich später herausstellt, eine tiefe Bewußtlosigkeit.

Abends:
Im Lager erfahre ich, dass offenbar alle zurückgekehrt sind und eine Frage frei bekommen haben. Allerdings hatten wohl nur Herr Evertun und ich die Ehre, vom „Hauptmann der Alalusa“ persönlich zurückbegleitet zu werden, wofür ich leider keinen befriedigenden Grund weiß.

Während der Zeit unserer Bewusstlosigkeit sorgten die wenigen Frauen des Lagers, die die Explosion nicht erreicht hatte, dafür, dass die drei gestohlenen Artefakte den Geweihten zurückgegeben wurden. Die Reinheit des Ortes kann also wieder hergestellt werden.

Nach einiger Beratung beschließt der Orden des Lichts, die Suche nach Aroben in Corenia noch einige Zeit fortzuführen, während ich in wenigen Tagen zu den Schiffen zurückkehren muß. Da sich Ritter Ewald zunehmend erholt, wird es sicher in den nächsten Tagen eine Entscheidung zu Verbleib oder Rückkehr geben. Hier in Walgenhain wurde der Beginn einer Invasion jedenfalls verhindert; Aroben muß nun erst einen neuen, brauchbaren Riß finden. Für dessen Stabilisierung benötigt er einen fähigen Magus, was nach dem Verschwinden bzw. Tod von Brechnuss zumindest zu einem zeitlichen Aufschub führen könnte. Die Gefahr eines Einmarsches ist aber leider nicht gebannt, sei es durch ein weiteres Tor oder – ganz profan – mithilfe einer Flotte.

Das Licht im Walde

Gestattet mir zuerst mich vorzustellen: Bruder Videtus, Mitglied der
Gemeinschaft des Heiligen Hilarius zu Rodi in Hohenforingen unter Führung
unseres ehrwürdigen Vaters Einfried.

So lasst mich denn nun erzählen von den Dingen, die mir bei meiner Reise
widerfuhren: Ich kehrte gerade zurück von einer Reise zu verschiedenen
Abteien und Klöstern in Drachenhain, zu denen ich mit Grüßen, Anschreiben
und kleineren Aufträgen unseres ehrwürdigen Vaters aufgebrochen war. Erlaubt,
dass ich die Inhalte verschweige; weniger als um deren Heimlichkeit, sondern
vielmehr um den geneigten Leser nicht mit Einzelheiten des klösterlichen
Austausches zu ermüden.

Ich schiffte mich daher in Jolberg aus, um den Weg durch den finstern
Ehlerwald zu nehmen. Ich dankte den braven Schiffersleuten für ihre
Gastlichkeit und versprach, sie in meine Gebete einzuschliessen.
Wohl gäbe es den Kanal; aber zuerst wäre eine Fahrtgelegenheit auszumachen
und dann müsste ich immer noch ein Stück über den Emeransee, den Ilfur hinauf
und dort, wo er nicht mehr schiffbar ist, weiter über Land ziehen. Also
gedachte ich, den Weg auf ein gutes Maß abzuschneiden und die direkte Strecke
zu gehen. Sorgen machte ich mir keine: ich war ja nur ein Mönch auf
Wanderschaft, kein reicher Händler.

Ein gut Teil der Strecke war geschafft, und ich befand mich auf der Höhe von
Waldstedt, vielleicht noch zwei oder drei Wegstunden bis zum Waldrand. Es
dämmerte bereits, doch ich war frohgemut und hoffte auf eine Unterkunft in
einem Gehöfte oder einer der Holzfällerhütten, die es verschiedentlich in der
Nähe des Waldes gibt. Im Moment waren aber nur vereinzeltes Vogelgezwitscher
und ein Rascheln im Laub hie und da meine Begleiter.

Als ich ein Knacken von Ästen hörte, machte ich mir keine Gedanken, denn die
wilden Tiere meiden die Menschen und als armer Klosterbruder war ich
vermeintlich kein Ziel für Räuber. Doch ich sollte mich irren. Vor mir und
hinter mir tauchten plötzlich wilde und zerlumpte Gestalten auf. Sie hielten
dicke Knüttel in ihren rauhen Händen und schüttelten Sie drohend. Ich
stammelte, dass ich kein Geld besitze, doch der ungehobelte Anführer,
erkenntlich daran, dass er anstatt eines Knüttels ein rostiges Schwert hielt
und vor mich trat, beschimpfte mich als „fettes faules Klosterschwein“ (obwohl
ich eine normale Statur habe und meinen Pflichten im Alltag regelmäßig
nachkomme).

Die Burschen machten Anstalten, mich zu verprügeln und hoben ihre Knüttel;
die Schläge prasselten sogleich auf mich ein und ich glaubte meinem letzten
Stündlein entgegen zu sehen. Ich hob die Arme schützend über den Kopf.
Dann hörten sie nach vielleicht einem Dutzend Schlägen auf. Der Anführer
fragte wieder nach Geld und ich beteuerte, dass ich keinen Kreuzer bei mir
führte; dies entsprach auch der Wahrheit, da ich bei meiner Reise auf die
Mildtätigkeit der Leute und Gastlichkeit der Klöster und Gehöfte angewiesen
war. Darauf machte der Räuberhauptmann ein Zeichen und die Knüttel hoben sich
erneut.

Doch bevor diese abermals auf mich herunterdroschen, rief einer von ihnen laut.
Ich sah mich um und bemerkte von fern ein helles Licht nahen. War es
ein Reisender mit einer hellen Laterne? Oder gar eine Patrouille der
Ehlerwaldkavallerie? Auf jeden Fall liessen die Kerle von mir ab und
zerstreuten sich wie auf Geheiss im Wald, viel schneller als sie kurz zuvor
herausgekrochen kamen.

Ich stand still und sah das Licht weiter auf mich zu kommen. Nicht gelb oder
rot wie eine Laterne oder Fackel; nein – weiss und strahlend schien es mir.
Und als weder Baum noch Gebüsch zwischen uns stand, erkannte ich in diesem
Schein den Heiligen Adrian.

Ich fiel auf die Knie, wollte meinem überirdischen Retter danken; und doch
brachte ich keinen Ton heraus, sondern starrte nur. Da lächelte der Heilige
mild und legte mir seine Hand auf den Kopf. Sofort liessen meine Schmerzen
nach und die größten der blauen Flecke verschwanden. Schliesslich brachte
ich ein Gestammel des Dankes hervor. Bruder Adrian lächelte noch einmal,
drehte sich um und ging zwischen den Bäumen hindurch wieder tiefer in den
Wald.

Ich blickte noch lange seinem Leuchten hinterher. Doch dann, gestärkt durch
die Hand des Heiligen, gürtete ich mich und eilte auf den Waldrand zu. Nach
etwa zwei Stunden langte ich bei einer Holzfällerhütte an, deren Bewohner
mich gastlich aufnahmen. Als ich nach einem kurzen Mahl, das mir die
Holzfäller anboten und das aus Gerstengrütze bestand, meine Geschichte
erzählte, gafften mich die meisten nur staunend an. Einer aber nahm mich
beiseite, liess sich den Heiligen ausführlich beschreiben und vertraute mir
an, dass er diesen selbst schon einmal erblickt hatte, und dass Bruder Adrian
ihm den Weg gewiesen habe, als er zu tief in den Wald gegangen
war und von der Nacht überrascht wurde. Erstaunt fragte ich ihn, ob denn
noch andere diese Begegnung gehabt hätten; der Holzfäller aber schwieg.

Und nun will auch ich schweigen und euch Gelegenheit geben in euch zu gehen
und über die wundersamen Taten des großen Heiligen nachzudenken.

Ostarien feiert

Seit nunmehr 15 Jahren ist Angilbert I. Uriel Herzog von Ostarien. Er folgte seinem Großvater Uriel II. im Jahre 26 n.A.III. auf den Thron des Herzogtums, nachdem sein Vater Aftalun, der heutige Primus Pacellus zu Gunsten einer Laufbahn in der Ceridischen Kirche darauf verzichtet hatte. Da der Herzog, der seine im Kindbett verstorbene Mutter Evanna von Lodenburg nie kennengelernt hatte, in kindlichem Alter war, wurde die erlauchte Herzogenwitwe Walluma von Carajon, seine Großmutter zur Regentin bestimmt, die von nun an mit gestrenger und weiser Hand die Geschicke des Herzogtums lenkte. Der junge Herzog wurde von Jahr zu Jahr mehr in die Regierungsgeschäfte eingebunden. Seit jeher gilt der dunkelhaarige, hübsche Jüngling als Wohl und Glück Ostariens, seit dessen Thronbesteigung sich das Blatt im Herzogtum zum Guten gewendet hatte. So waren es Ödling, Pustelplag und Teemoranien, die allesamt um das Jahr 26 besiegt wurden. Auch fiel in diese Zeit der Aufstieg der Ostarischen Marine, heute unser aller Stolz und Ruhm. Sicher mag die Wende im Schicksal Ostariens in gleichem Maße der klugen Politik der Regentin, wie auch dem wackeren Streiten der Getreuen und Verbündeten geschuldet sein. Auch mag man einwenden, daß die entscheidenden Schlachten noch zu Lebzeiten, des allerdings schon sehr siechen Uriels II. geschlagen wurden. Herzog Angilbert I. aber symbolisiert das Herscherheil und das Selbstverständnis des heutigen Ostariens wie kein anderer. Kein anderer Ostarischer Herzogsname wurde so oft, voller Inbrunst in die Welt geschmettert wie Angilbert I. (lang lebe er!).
Wir wollen die Ereignisse um die Übernahme der Regentschaft des jungen Herzogs dem geneigten Leser in den folgenden Artikeln näher bringen:

Seite 1 von 2

Präsentiert von WordPress & Theme erstellt von Anders Norén